Predigt Pfarrer Dr. Givens an Pfingsten:Die Känguruh-Metholde

Wir Menschen brauchen Berührung
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
vielleicht kennen Sie die Känguru-Methode. Und falls in Ihrem Leben schon einmal die Känguru-Methode zur Anwendung gekommen ist, dann war das ganz sicher keine einfache Zeit in Ihrem Leben oder in Ihrer Familie. Vor mehr als 30 Jahren ist diese Känguru-Methode erfunden worden. Da gab es zwei Mädchen, Zwillinge, die zwölf Wochen zu früh auf die Welt gekommen sind. Und wie das bei Frühchen so üblich ist, sind die beiden Kinder dann in einen Brutkasten gelegt worden. Die eine, Curie, ist groß und kräftig mit jedem Tag geworden. Sie ist gewachsen und immer stärker geworden. Die andere, ihre Zwillingsschwester Marie, ist mit jedem Tag weniger geworden, schwächer geworden. Die Eltern waren am Verzweifeln. Das eine Kind, das eine Mädchen wächst und kämpft sich ins Leben hinein und das andere verliert immer mehr das Leben. Die Ärzte waren ratlos und hilflos wegen Curie und Marie und wie unterschiedlich sie ihren Lebensweg am Anfang gegangen sind. Und eines Abends, als es um die eine ganz schlecht gestanden ist, da hat eine der Krankenschwestern den Mut und sie nimmt Marie, die Schwächere, und legt sie zu Curie in den Brutkasten hinein. Und reflexartig kuscheln die beiden Frühchen, die beiden Mädchen sich aneinander, und Curie legt ihren Arm um die sterbende Marie. Und in diesem Augenblick kehrt das Leben in Marie zurück. In diesem Augenblick verändert sich etwas. Mit jedem Herzschlag, den die beiden aneinander gekuschelt teilen, mit jeder Berührung, mit der Wärme, die sie einander schenken, finden beide ins Leben hinein. Und da ist die Känguru-Methode geboren. Die Ärzte und die Schwestern in diesem Krankenhaus haben erkannt, damit ein Mensch leben kann, damit ein Frühchen ins Leben hineinfinden kann, braucht es Berührung, braucht es Kuscheln, braucht es menschliche Wärme. Und man hat dort in diesem Krankenhaus begonnen, Ehrenamtliche auszubilden, die dort, wo kein Vater und keine Mutter zur Verfügung gestanden sind, oder in den Stunden, wo die arbeiten waren, die Kinder in den Arm genommen haben.
Und das ist eine Erfahrung, die wir alle haben. Wir brauchen das, gerade wenn es schwierig ist, wenn wir krank sind, wenn wir am Boden sind. Wir brauchen Berührung, wir brauchen das Kuscheln, wir brauchen diese menschliche Zuwendung. Das ist genauso wichtig wie jede Medizin, jede ärztliche Fürsorge. Und es ist auch kein Zufall, dass wenn wir ins Sterben hineingehen, wir in die Embryohaltung gehen, dass wir uns einkuscheln, dass wir Berührung brauchen und Berührung suchen, dass wir Wärme suchen, dass wir Geborgenheit brauchen, wenn es schwierig wird in unserem Leben und im Sterben. Die Känguru-Methode, sie begleitet uns bewusst oder unbewusst ein ganzes Leben und sie sagt, wir können...
Ohne den anderen können wir nicht leben. Wir brauchen jemanden, wir kommen allein nicht durch die Welt. Und das feiern wir heute an Pfingsten: die Känguru-Methode Gottes.
Die Jünger sind in sich geschlossen, sie sind in ihrem Kreis. Und da kommt Gott mit seinem Heiligen Geist und sagt: „Wie könnte ich ohne euch sein?“ Und er schenkt ihnen den Heiligen Geist – und es wird ihnen warm ums Herz. Wer kennt das nicht? Wenn mich jemand so anspricht, wenn mich jemand so berührt, wenn mir jemand seine Zuwendung schenkt, dann wird mir warm ums Herz.
Da reicht oft ein Lächeln, ein freundlicher Blick, und da ist etwas von diesem himmlischen Feuer, von dieser Sehnsucht Gottes: Ohne euch kann ich nicht, ohne euch will ich nicht, ohne euch geht es nicht – spürbar.
Jesus kann nicht in seinem Himmel sein, ohne unserem Herzen mit dem Heiligen Geist zu sagen: Ich brauche euch. Ich möchte bei euch wohnen. Ich möchte die Verbindung nicht abreißen lassen.
Und so können die Jünger auch nicht anders, als hinauszugehen und den Arabern, den Griechen, den Römern und den Menschen von Mesopotamien zu sagen: Ohne euch geht es nicht. Sie finden eine Sprache, um den anderen zu sagen: Die Nachfolge Jesu, die Liebe Jesu, die Sehnsucht Gottes – das geht nicht ohne die anderen.
Das feiern wir an Pfingsten. Gott kann nicht ohne uns. Er kann die Verbindung zu uns nicht abreißen lassen. Er möchte mit uns in einer Verbindung sein – voller Liebe, voller Wärme, voller Zuwendung.
Den Heiligen Geist empfangen, Kirche zu sein, gefirmt zu werden, Gottes Heiligen Geist zu empfangen, bedeutet: Ich kann nicht ohne die anderen. Es geht nicht ohne die Fremden. Es geht nicht ohne die, deren Sprache ich erst einmal begreifen muss, deren Religion, deren Leben, deren Geschichte ich erstmal begreifen muss. Es geht nicht ohne die anderen.
An Pfingsten wird ganz deutlich: Gott sendet uns, um dieser Welt zu sagen: Wir sind keine Einzelkämpfer, sondern wir sind im wahrsten Sinn des Wortes ein ganzes Leben lang Frühchen. Wir brauchen Zuwendung. Wir brauchen den anderen. Wir brauchen Nähe. Wir brauchen etwas, das unser Herz wärmt.
Und Pfingsten erzählt auch etwas von der Begegnung mit Gott jenseits des Todes. Dieser Gott hat so eine große Sehnsucht nach uns, dass der Himmel die Rückkehr ist in den Mutterschoß. Dass der Himmel nichts anderes ist, als dass Gott – in dem Augenblick, wo wir angekommen sind bei ihm – eine Sprache sucht, die wir verstehen. Eine Zuwendung sucht, die uns einlädt in die Ewigkeit.
Der Himmel ist, dass Gott uns sagt: Ich kann doch nicht ohne dich. Ich brauche dich. Und uns so umarmt, so umfängt, so uns in seine Liebe hineinnimmt, dass unser totes Herz anfängt zu schlagen – Ewigkeitsschlag. Dass wir aus der Wärme, aus der Liebe, aus der Zuwendung Gottes in der Ewigkeit leben werden.
Der Himmel ist die große Geburt für die Ewigkeit, die große Berührung Gottes für die Ewigkeit.
Und bis dahin bedeutet es, gefirmt zu sein, Christ zu sein, die Känguru-Methode anzuwenden – für all die Menschen, die uns begegnen und anvertraut sind. Und gerade besonders für die, deren Sprache und Kultur wir mit dem Herzen lernen müssen.
Amen.