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Predigt Pfarrer Dr. Givens am 24.08.2025:Die Kirche bewegt sich doch

Kirche unterwegs
Die Kirche kann ihren Standpunkt, ihren Standort wechseln, und sie zerbricht deswegen noch lange nicht.
Datum:
26. Aug. 2025
Von:
Pfarrer Givens

Kirche unterwegs

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

es gab in den vergangenen Tagen eine Live-Übertragung, die war so stinklangweilig, dass wenn Sie zwei Stunden da verpasst haben von dieser Live-Übertragung, von diesem Streaming, Sie gar nichts verpasst haben. Sie sahen nach zwei Stunden eigentlich immer noch so aus wie vor zwei Stunden. Es war die Inkarnation der Langweile.

Und trotzdem haben Millionen von Menschen diese Live-Übertragung angeschaut. Und ich bin mir fast sicher, Sie alle haben mindestens ein Standbild von dieser Live-Übertragung auch angeschaut: Kirche von Kiruna, die den Platz gewechselt hat, die übertragen worden ist, Millimeter für Millimeter, Stunde um Stunde, Tag um Tag, alles live gestreamt, obwohl eigentlich nichts zu sehen war. Aber was für ein tolles Bild!

Da wird eine Holzkirche von ihrem bisherigen Standort an einen anderen Platz gebracht. Was für ein tolles Bild für Kirche! Sie bewegt sich doch. Wie wäre das, wenn jeder Pfarrer und jeder Bischof die Kirche von Kiruna über dem Bett hängen würde als Zeichen dafür: Schau hin, es geht doch. Die Kirche kann ihren Standpunkt, ihren Standort wechseln, und sie zerbricht deswegen noch lange nicht.

Wie gut tut es zu sehen, dass das geht, dass – und das verdanken wir Papst Franziskus – auf einmal Dinge, die bisher nicht denkbar gewesen sind, möglich sind. Dass Standpunkt und Standorte tatsächlich sich ändern können und dass vor allen Dingen eine Kirche nicht dort bleibt, wo sie schon immer gestanden ist, sondern dass eine Kirche dorthin gehört, wo die Menschen sind, weil sich das Leben verändert, weil sich vieles verändert und weil es gut ist, mitten in diesen Veränderungen auch da zu sein.

Aber dieses Bild von der wandernden Kirche, von der Kirche, die ihren Standort wechselt, das ist auch ein sehr aussagekräftiges Bild für uns. Dort in Kiruna haben die Menschen längst gespürt: Boden hält nicht mehr. Sie haben alles ausgehöhlt und alles untergraben, um Eisenerz zum Gewinn zu machen. Und irgendwann gemerkt: Das trägt nicht. Das trägt unsere Stadt nicht und das trägt auch die Kirche nicht. Wir haben unser Fundament ausgehöhlt.

Nun muss sich die Stadt bewegen, nun muss sich diese Kirche bewegen. Wir alle bewegen uns ein ganzes Leben lang. Und je älter wir werden, umso mehr merken wir auch, dass, wofür wir am Anfang unseres Lebens dachten: das ist das Erste, das ist das Wichtigste, das muss ich erreichen – dass das eigentlich das Letzte ist.

Dafür habe ich Zeit aufgewendet, um das zu besitzen, dafür habe ich mich gestritten, um das zu bekommen, dafür habe ich meine Lebenszeit, meine Knochen und meine Nerven hingegeben, weil ich gedacht habe, das ist das Erste, was ich haben muss. Irgendwann merken wir: Von den Dingen, wo wir als junge Menschen gedacht haben, das ist das Letzte, dass das auf einmal das Erste ist.

Je älter wir werden, umso mehr merken wir: Da gibt es Dinge, die habe ich als junger Mensch nicht in den Blick genommen. Aber jetzt im Alter, da merke ich, wie kostbar das ist. Da wird das Letzte zum Ersten. Da gibt es auf einmal Werte, da gibt es auf einmal Dinge, von denen wir sagen: Die sind mir jetzt wichtiger.

Und die Live-Übertragung unseres eigenen Lebens, sie zeigt uns: Unser Lebenshaus wird immer mehr verschoben Richtung Himmel. Und da wartet eine ganz enge Tür. Die in Kiruna, die haben sich wahrscheinlich gut überlegt...

Was räumen wir denn vorher aus der Kirche alles raus, bevor wir sie verschieben? Was packen wir auf den Lastwagen drauf und was muss draußen bleiben, weil es nicht geht?

Wer schon einmal umgezogen ist, der weiß, wie das ist. Da holt man aus dem Keller dreißig Kisten herauf, von denen man zwanzig Jahre lang dachte, die brauch ich unbedingt, nur um dann festzustellen: das kann ich jetzt wegwerfen. Wer umzieht, der muss sich genau überlegen: was nehm ich mit, was hat Platz, was ist mir wirklich wichtig.

Was ist – um im Bild zu bleiben – himmelstauglich von dem, was ich unbedingt haben muss, was ich in mein Lebenshaus hineintue? Was davon werde ich wirklich in den Himmel mitnehmen? Was passt durch die enge Tür hindurch? Denn dort oben wartet nicht das allergrößte Scheunentor, in dem ich auch noch den letzten Rest hindurchschieben kann. Dort erwartet einer, der sagt: Meinst du wirklich, das brauchst du für die Ewigkeit?

Da bleibt viel vor der Tür von dem, wo wir gedacht haben, da muss ich Schloss und Riegel davor machen, damit mir es niemand klaut.

Die Kirche von Kiruna, die hat gespürt: der Untergrund ist ausgehöhlt. Da sitzen ganz viele junge Menschen. Ich hoffe, ihr habt alle Ideale und Werte, Träume – nicht nur für das eigene Leben, sondern auch für uns als Gesellschaft. Träume, wie Kirche sein könnte, Träume, wie wir gut mit dieser Erde umgehen.

Und ich gehe davon aus, dass wir das alle auch einmal hatten, dass wir alle auch Werte haben, wofür wir auf die Straße gegangen sind, gekämpft haben, uns ereifert haben. Und hoffentlich ist nicht alles ausgehöhlt. Hoffentlich ist da noch etwas, von dem wir sagen: Das ist mein Fundament, das sind meine Werte, die höhle ich nicht aus, die gebe ich nicht auf.

In Kiruna haben sie gespürt: wir haben es zu weit getrieben. Wir haben viel zu viel nach dem Mammon gegraben, und jetzt versinken wir, jetzt stürzen wir ein, jetzt geht es nicht mehr weiter.

Und auch dafür ist diese Kirche auf diesem Schwertransporter mit seinen siebenundvierzig Rädern ein ganz tolles Beispiel. Das kennen Sie vielleicht: „Ich hab recht, und ich hab jetzt schon so oft nachgegeben. Jetzt soll mal die andere, jetzt soll mal der andere nachgeben. Immer muss ich mich bewegen, immer muss ich mich entschuldigen, immer muss ich das erste Wort finden. Immer. Jetzt bist einmal du dran. Jetzt soll einmal der andere sich bewegen.“

Die Kirche von Kiruna, die hätte sich selber nicht bewegt. Die musste man auf einen Lastwagen heben, damit da Bewegung hineinkommt, damit nicht alles zusammenstürzt. So wie in Beziehungen sich einer bewegen muss, sonst stürzt alles zusammen, sonst geht gar nichts mehr.

Darum gehen wir zur Kommunion. Das ist unser Schwerlastwagen. Wenn wir uns nicht bewegen, wenn wir das erste Wort nicht hinbekommen, wenn wir die Versöhnung nicht schaffen, wenn wir sagen: „Ich diesmal nicht, ich warte jetzt bis der andere“ – dann ist es gut, in der Kommunion zu Jesus zu sagen: „Pack mich auf dich, sei du mein Schwerlaster, hilf mir, dass ich in Bewegung komme. Hilf mir, dass ich beweglich bleibe. Hilf mir, dass ich nicht auf einem Fundament stehen bleibe, das nicht mehr trägt, sondern hilf mir, dass wir unsere Beziehung, unsere Freundschaft, unsere Ehe, unsere Nachbarschaft, unsere Familienstreitigkeiten – dass das in Bewegung kommt.“

Die Kirche von Kiruna, die wurde auf einen Schwerlaster getragen, damit es in Bewegung kommt. Darum sind wir am Sonntag hier im Gottesdienst, weil es manchmal Dinge gibt, da komm ich nicht in Bewegung. Dann ist es gut zu sagen: „Jesus, ich hab Grenzen. Ich schaff das nicht, aber ich bitte Dich: bring mich in Bewegung. Du schaffst das, wo ich an meinen Grenzen bin.“

Die Kirche von Kiruna hat sich bewegt, und wenn so eine alte Holzkirche das schafft, dann kriegen wir das ganz sicher auch hin – mit der Hilfe Jesu.

Amen.