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Predigt Pfarrer Dr. Givens am 16.02.2025:Die Stimme der drei Hirten

Die Stimme der drei Hirten
Es gibt eine Stimme, die sich durch unsere Geschichte hindurchzieht, die Stimme, die von der Nächstenliebe redet, vom Zusammenhalt und von der Menschenwürde.
Datum:
16. Feb. 2025
Von:
Pfr. Dr. Ronald A. Givens

Schwestern und Brüder im Herrn.

Ein Wanderer kommt zu einer Wasserstelle.

Dort stehen so unglaublich viele Schafe und Ziegen, wild durcheinander, fast nicht zählbar, so viele sind dort. Je näher er kommt, desto mehr sieht er, dass es da junge und alte Tiere gibt, in allen Schattierungen der Fellfarbe, und die drei Hirten, denen diese Herden gehören, stehen an der Seite und schauen ihren Tieren dabei zu, wie sie Wasser trinken.

Eine Weile schaut er diesem Durcheinander, diesem Treiben zu, dann fragt er die Hirten: „Warum führt ihr eure Herden nicht getrennt, eine nach der anderen zur Wasserstelle? Wie wollt ihr sie denn später auseinanderhalten? Wie sollen denn die Schafe und Ziegen wissen, wem sie nachher nach Hause in den Stall folgen sollen?“

Da lächeln die 3 Hirten nur und sagen „Hab Geduld!“

Die Tiere trinken weiter, und als alle Tiere getrunken haben, steht der erste Hirte auf, geht mitten unter die Tiere und ruft laut: „Ma-He!“

Ein Teil der Ziegen und ein Teil der Schafe, mitten unter den anderen, macht sich auf den Weg und folgt diesem Hirten nach Hause in den Stall.

Verwundert schaut der Wanderer, da kommt schon der zweite Hirte, stellt sich mitten unter die Schafe und Ziegen und ruft: „Ma-He!“

Und wie beim ersten folgt wieder ein Teil der Schafe und Ziegen ganz bereitwillig diesem Hirten und geht mit ihm nach Hause in den Stall.

Da tritt der Wanderer ganz verwundert an den verbliebenen Hirten heran und fragt: „Würden mir die Schafe und Ziegen genau so folgen, wenn ich wie die anderen Hirten ‚Ma-He!‘ rufe?“ Der sagt der dritte Hirte: „Versuch es doch!“

Er gibt ihm seinen Hirtenstab, seinen Umhang und den Turban als Sonnenschutz, der Wanderer stellt er sich mitten unter die Schafe und Ziegen und ruft: „Ma-He!“

Nicht eine Ziege erhebt den Kopf, nicht ein Schaf ist bereit ihm zu folgen. Alle bleiben, wo sie sind. Da gibt der Wanderer den Stab, den Turban und den Umhang zurück und fragt den verbliebenen Hirten: „Warum sind sie mir denn nicht gefolgt?“ Da sagt der Hirte: „Nur ein krankes und schwaches Tier würde einer fremden Stimme folgen.“

 

Wir haben fast 2000 Jahre in Europa gebraucht, um die Stimme Jesu in unsere Gesellschaft einzuüben.

Das war nicht immer einfach und leicht. Es gab Zeiten, da haben wir die Stimme Jesu nicht wirklich gehört, haben sie verwechselt mit Kreuzzugsstimmen, mit Nationalstimmen, mit Stimmen, die Zerstörung und viel Leid gebracht haben.

Aber das Besondere an Europa ist: Immer und immer wieder ist es uns gelungen, dass wir die Stimmen Jesus nach dunklen Zeiten erkannt haben, dass wir sie hineinbuchstabiert haben in die Art und Weise, wie wir in Europa zusammenleben wollen.

Auch dann, wenn Menschen gesagt haben „Ich bin kein Christ“, gab es doch immer wieder im Letzten ein Gespür dafür:

Es gibt eine Stimme, die sich durch unsere Geschichte hindurchzieht, die Stimme, die von der Nächstenliebe redet, vom Zusammenhalt und von der Menschenwürde.

Und wie gut sind wir in den letzten 80 Jahren damit gefahren, dass wir miteinander gerungen haben: Wie liberal, wie christlich muss dieser Kontinent sein? Wie viel sozial braucht er? Wie viel grün und wie viel Ökologie braucht Europa?

Das war ein beständiges Ringen, und immer und immer wieder sind diese Stimmen durchgedrungen: Die Stimme der drei Hirten.

Der eine Hirte, der Hirte des Zusammenhaltes, bei der viele von uns sagen, dass es wichtig ist, ihr in Europa zu folgen.

Wie sehr haben wir darum gerungen, was bedeutet es, der Stimme der Nächstenliebe zu folgen und nachzugehen?
Und wie viele haben auch in der dunkelsten Stunde von Europa ihr Leben dafür gelassen, dass der Hirte mit dem Ruf der Menschenwürde nicht ohne Herde durch Europa zieht?

Wir haben 80 Jahre lang gut damit getan, diesen Stimmen zu folgen und sie einzuüben.

Und was hat dieser Kontinent an Heiligen vorgebracht, an Frauen und Männern, die mit ihrem Leben und ihren Ideen Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt ganz praktisch in ihrer Umgebung umgesetzt haben. Die bis heute strahlen, weil sie der Stimme Jesus gefolgt sind und in ihrem Leben diese Stimmen umgesetzt haben.

Was hatten wir für mutige Politiker*innen, die diese Stimmen immer und immer wieder hineingerufen haben nach Europa, und Europa zum Erfolg gebracht haben?

Was sind da für Grenzen gefallen, Erbfeindschaften zwischen Deutschland und Frankreich? Welcher Schmerz musste Polen überwinden, um zu sagen: „Wir bauen gemeinsam an Europa?

Wie gut hat es uns getan, dass die Alpen keine Barriere mehr sind, sondern dass es ein Miteinander gibt, Diesseits und Jenseits der Alpen.

Mauern sind gefallen, Stacheldrähte sind abgebaut worden. Wir haben ganz tiefes Vertrauen zueinander gefunden, weil wir 80 Jahre lang diese Stimmen eingeübt und der Versuchung widerstanden haben, den Stimmen zu folgen, die uns in Europa tiefste Dunkelheit, größten Menschenhass, schlimmste Verfolgung und Niedertracht gebracht haben.

Es hat uns nie gutgetan, wenn wir in Europa nicht der Nächstenliebe, nicht der Menschenwürde, nicht dem Zusammenhalt nachgelaufen sind, sondern denen, die eine ganz andere Stimme hineingebracht haben, denn: Der Versucher ist nicht still geworden.

Auch dann, wenn er mit einem Flugzeug kommt, auf dem steht „Vice president“, ist mit Vorsicht zu genießen, was diese Stimme uns sagt.

Es ist eine Stimme, die keine Ahnung hat, was wir geschafft haben, dass zwischen Deutschland und Deutschland eine Mauer eingerissen wurde. Dass wir eine Erfolgsgeschichte haben mit den Millionen von Flüchtlingen, die nach dem 2. Weltkrieg dieses Land aufgebaut haben, die unsere Familien geworden sind. Wir haben miteinander geheiratet und gezeigt, dass es möglich ist, in Europa mit einer Stimme etwas aufzubauen, auch wenn wir lernen mussten, dass wir verschiedene Sprachen und verschiedene Auffassungen haben.

Es tut uns nicht gut, den Stimmen nachzulaufen und zuzuhören, die uns jetzt erzählen wollen, dass diese 80 Jahre, die wir miteinander gestaltet haben, keine Grundlage wären. Wir sollten uns nicht täuschen:

Wer die Einladung annimmt, mit Elon Musk oder mit Alice Weidel Tanzstunden zu nehmen, der darf sich nicht wundern, wenn er seinen Abschlussball mit Vladimir Putin hält.

Wir haben eine gute Tradition, auf die Stimme Jesu zu hören und ihr nachzufolgen. Wir müssen aufpassen, jetzt nicht der Stimme des Versuchers erliegen.
Amen.