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Predigt Pfarrer Dr. Givens am 30. November:Gefährten oder Tod

Gipfelkreuz
Wir sind die Rufbereitschaft Gottes
Datum:
1. Dez. 2025
Von:
Herbert Kohl

1. Advent

Liebe Schwestern und Brüder, ein wunderschöner Morgen bricht an. Man sieht an den Bergen oben, wie die Sonne sich über die Berge hinwegkämpft, die Spitzen leuchten und nach und nach wird das Rosa des Himmels hell leuchtend. Wer vor die Hütte tritt, oben in den Bergen, vor dem breitet sich ein Bergpanorama aus. Unglaublich schön und eine kristallklare Luft.

Die Wanderer, die oben auf dem Berg übernachtet haben, die die Hütte genutzt haben als Ausgangspunkt für ihre Wanderung, sie beenden ihr Frühstück, packen die Rucksäcke und machen sich auf den Weg, um ihre Tagesetappen zu schaffen. Die einen haben die nächste Hütte vor sich, andere wollen noch viel höher hinaufsteigen oder hinüber über den Grat ins nächste Dorf. Man verabschiedet sich und bei strahlendem Wetter verlassen sie die Hütte, und einzeln, zu zweit, in kleinen Gruppen geht jeder seines Weges.

Da sind auch zwei Wanderer unterwegs. Über den Grat wollen sie es heute schaffen, hinüber ins andere Tal, hinunter zur nächsten Hütte. Als sie oben sind am Grat, da sehen sie, wie die ersten Wolken aus dem Tal heraufsteigen. Noch vereinzelt und ganz klein, aber ganz schnell ist das Tal nicht mehr zu sehen. Die Wolken, der Nebel steigt herauf und auf einmal sind sie mittendrin. Man sieht nicht mehr den weiten Weg, nur noch den Schritt vor dem nächsten Schritt.

Sie suchen nach den Wegmarkierungen, und irgendwann sehen sie, dass die ersten Flocken fallen. Erst eine, zwei, ganz wenige, aber dann setzt der Schneefall ein, und mit dem Schneefall der Wind und die Kälte, und der Weg ist nicht mehr zu sehen. Es ist nicht mehr klar, wie es weitergeht, und miteinander beraten sie: Was machen wir? Gehen wir zurück oder gehen wir weiter? Sie stapfen Schritt für Schritt, aber sie gehen langsam und sie gehen unsicher. Der Weg ist nicht sichtbar und es ist nicht klar, ist es kürzer zur nächsten Hütte, wäre es besser zurückzugehen? So vergeht Stunde um Stunde, und der Schnee wird immer höher. Dafür sind sie nicht ausgerüstet. Damit hatten sie dort oben nicht gerechnet.

Plötzlich sehen sie ein paar Meter unter sich, unterhalb des Grates. Da liegt einer, da liegt einer, deutlich sichtbar in seiner Jacke. Die beiden bleiben stehen und: Ja, da muss einer hinuntergestürzt sein, da muss einer vom Weg abgekommen sein, da muss einer da unten hilflos und bewusstlos liegen. Da sagt der eine zum anderen: „Lass uns hinuntergehen, lass uns hinuntersteigen, um ihm zu helfen.“ – „Bist du wahnsinnig? Wenn wir jetzt den Weg verlassen, wenn wir jetzt auch noch Zeit verbrauchen für einen, der schon gestürzt ist, dann kommen wir womöglich beide in den Bergen um. Jeder geht auf sein eigenes Risiko, wir gehen weiter. Wir können ihm nicht helfen. Das gefährdet uns und unser Leben. Das bringt doch nichts.“

„Ich werde hinabsteigen, und wenn es mein Leben kostet. Ich möchte nicht leben mit dem Wissen, dass ich vorübergegangen bin, dass ich vorbeigegangen bin, dass ich einem nicht geholfen habe, der vom Weg abgekommen ist.“ – „Du bist wahnsinnig, schau durch den Schnee, schau durch die Kälte, schau durch den Wind, wir schaffen das nicht. Ich geh, und ich bitte dich, geh mit.“ Da stapft der eine stur weiter, geht seinen Weg alleine weiter, während der andere Stück für Stück, sich an die Felsen klammernd, mühsam hinuntersteigt zu dem, der dort unten liegt, bewusstlos.

Und als er bei ihm angekommen ist, da lädt er den anderen sich auf den Rücken. Die Last ist zu schwer. Und doch stapft er Schritt für Schritt, Meter für Meter, mit dem anderen Bewusstlosen auf seinem Rücken. Der Schnee wird dichter und der Wind pfeift. Immerhin hat er jetzt die Spuren des anderen, der alleine weitergelaufen ist, vor sich und kann den Weg einigermaßen erkennen. Und er spürt auf seinem Rücken, dass der andere ihm Wärme gibt, auch wenn er bewusstlos ist, dass der andere ihn wärmt mit seinem Körper. Und er spürt, dass sie beide einander wärmen mitten in diesem Wind, mitten in dieser Kälte. Er spürt, dass sein Rücken geschützt ist durch den, den er auf den Schultern hat.

So geht das Schritt für Schritt und Stunde um Stunde, bis er an einen Felsvorsprung kommt. Und da sieht er den Freund, mit dem er unterwegs gewesen ist, der alleine weitergegangen ist, der im Schnee kauert, erfroren. Weil er alleine unterwegs gewesen ist. Erfroren, weil er nicht geschützt gewesen ist. Erfroren, weil er allein der Kälte ausgesetzt war.

Schließlich erreicht er die Hütte, mit dem, der ihm den Rücken gewärmt hat, mit dem, dem er aufgeholfen hat. Die beiden sind gerettet.

Ihr wisst nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt, darum haltet euch bereit. Wir wissen nicht, wann der Zeitpunkt kommt, an dem wir vom Weg abweichen müssen. Advent ist die große Einladung, die Wege zu verlassen. Advent ist, dass Gott es uns zutraut, dass wir so etwas sind wie die Rufbereitschaft von Gott. Dass, wenn der Ruf des Nächsten kommt, wenn der Mensch kommt, der unseren Alltag so durchbricht, dass unser Herz uns raten muss, was jetzt richtig ist, dass wir dann rufbereit sind, dass wir dann in der Lage sind, aus dem Herzen heraus zu handeln.

Sie kennen vielleicht alle diese Armbänder mit dem roten Knopf, diesen Hausnotruf, dass, wenn man daheim stürzt, dass man drücken kann und dass dann die Malteser oder die Johanniter kommen. Das sind wir. Wir sind diejenigen, die Gott unserem Nächsten als so ein Armband ums Handgelenk gelegt hat. Wir sind diejenigen, denen Gott zutraut: Du bist der fleischgewordene Hausnotruf. Du bist derjenige, der in Bereitschaft ist, wenn der Nächste drückt und sagt: Ich bin vom Weg abgekommen. Ich brauch dich.

Amen.