Predigt Pfarrer Dr. Givens am 4.12.2024:Gesegnet bist du!
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn.
Es ist eine alte Geschichte: Der Vater hätte gern, dass Barbara die bleibt, die sie war: Sein kleines Mädchen. Aber irgendwann wird aus diesem kleinen Mädchen eine Jugendliche und eine junge Frau. Die Sexualität erwacht, der Körper verändert sich, und sie wird eine eigene Persönlichkeit. Aber damit kann der Vater nicht umgehen – dass ihm nicht mehr sein kleines Mädchen, sondern eine selbstbewusste junge Frau entgegentritt, die eine andere Perspektive auf das Leben hat.
Viel zu oft reagieren Menschen auf Sexualität mit Unterdrückung, nach dem Motto ,,Was nicht sein darf, das kann nicht sein.‘‘. Aber Wegschieben und Unterdrücken funktioniert nicht, das funktioniert weder bei der Sexualität noch in sonst einem Lebensbereich. Barbara findet einen guten Weg, indem Sie ein drittes Fenster in den Turm schlägt und sagt: ,,Das könnte eine Perspektive, könnte ein Weg, könnte eine andere Sichtweise sein.‘‘ Doch der Vater kommt mit dieser Perspektive nicht klar.
Es ist schon verwunderlich, dass die Kirche in all den Jahrhunderten nie gemerkt hat, dass da eine Nothelferin in ihren Reihen ist, die der Kirche den Spiegel vor Augen hält. Da sind die Frauen in unserer Kirche, da sind diejenigen, von denen die Männer der Kirche ein klares Bild haben - wie sie sein sollen, wie sie aussehen und leben sollen. Und immer und immer wieder stehen die Männer der Kirche auf und sagen, dass alles so bleiben soll, wie es ist.
Da drüben ist ein Engel, der sagt: ,,Gesegnet bist du.‘‘ Das ist die erste Haltung, die es braucht, wenn man verstehen will, was zum Martyrium und zum Tod der hl. Barbara geführt hat: Das als Segen zu empfinden, was sich im anderen verändert und an Lebendigkeit zeigt, das, was das Wesen des anderen erwachsen macht. Und, Sie alle wissen das im Wesentlichen viel besser als ich, zu einer Ehe, einer Partnerschaft oder einer engen Beziehung gehört es auch, dass das Leben und der Andere sich verändern. Dann braucht es viel innere Arbeit, um immer wieder auch sagen zu können: ,,Ich will begreifen, worin der Segen darin liegt, dass du mir jetzt ein anderer Freund, eine andere Freundin geworden bist. Dass du dich als mein Kind verändert hast, dass du dich als der Mensch an meiner Seite verändert hast.‘‘
Das ist harte Arbeit, aber es ist notwendig, sich immer wieder ins Herz zu schreiben und zu sagen: ,,Ich begegne einem gesegneten Menschen, und Gott hat sich dabei etwas gedacht, dass sein Segen auf diese Art und Weise in mein Leben tritt.‘‘
Wie gut täte es seiner Kirche, wenn sie begreifen würde, dass die Frauen, die heute auf Augenhöhe in dieser Kirche ihre Berufung, ihren Glauben, ihr Frausein leben wollen, Gesegnete sind. Gesegnete, die nicht erst eine Weihe, eine Erlaubnis und einen Zuspruch brauchen, sondern dass seine Kirche sagt: ,,Was sind wir froh, dass der Segen eurer Perspektive, das Turmfenster eures Lebens, eurer Lebenserfahrung in den Raum der Kirche scheint!‘‘
So, wie jede Beziehung nur gelingen kann, wenn wir dem anderen zubilligen, dass seine Lebenserfahrung, seine Lebenswirklichkeit und seine Lebensperspektive dabei helfen kann, das Haus unseres Lebens, unsere Freundschaft, unserer Familie und unserer Gemeinschaft hell zu machen. Es würde dunkel bleiben, wenn sein Blick nicht hereinfallen könnten.
Darum ist es gut, dass der andere Engel hinter mir steht, der auch zum Fest der hl. Barbara geschaffen worden ist. Die Kinder haben am Sonntag gekichert, als ich gesagt habe ,,Schaut euch den Engel mal genau an!‘‘, weil sie natürlich gesehen haben, dass auf der einen Seite eine Frau und auf der anderen Seite ein Mann ist, sehr deutlich an den Geschlechtsmerkmalen zu sehen.
Aber die Botschaft ist eine ganz wichtige: Wir Menschen sind unterschiedlich und unterscheiden uns, da gibt es kein Besser und kein Schlechter, da gibt es nur dieses Bewusstsein: Wir haben einen Ursprung im Willen Gottes, in aller Verschiedenheit, wie wir sind und wie wir fühlen, wie wir unsere Geschlechtlichkeit erfahren und wie wir lieben. Und eine Gesellschaft, die sagt ,,Nur das männliche Fenster oder nur das weibliche Fenster sind Perspektive für unsere Gesellschaft‘‘, bleibt arm.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es im Turm des Lebens auch die vielen kleinen und großen Fenster gibt, die Menschen mit ihrem Leben, ihrem Körper, ihrer Sexualität und ihrer Lebenserfahrung machen und die alle auf ganz unterschiedliche Weise Licht in diese Welt hineinbringen. Denn wenn es stimmt, was wir glauben, dass der Ursprung unseres Lebens und unseres Seins und noch vor dem ,,Ja‘‘ unsere Eltern das ,,Ja‘‘ Gottes steht und dass wir Ursprung im Himmel haben, dann gibt es keinen und keine auf dieser Welt, die nicht auch ein Himmelslicht in diese Welt hineinbringen würde. Dann können sich eine Gesellschaft und eine Kirche nicht erlauben, auf dieses Licht und auf diesen Durchblick zu verzichten, wenn sie nicht im Dunkeln bleiben wollen.
Amen.