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Predigt von Pfr. Dr. A. Givens am 01.12.2024:Hl. Barbara

Hl. Barbara
Dort, wo die Dinge dunkel sind, dort, wo die Erlebnisse nur schwer zu fassen sind, dort, wo die Bilder unserer Herzen nach unten drücken - da braucht es den Mut, dieses dritte Fenster zu öffnen, da braucht es die Kraft, eine andere Perspektive zu bekommen.
Datum:
3. Dez. 2024
Von:
Pfr. Dr. Ronald A. Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn – es ist kein Zufall, dass der Adventskranz noch nicht brennt. Wir warten noch, bis wir ihn mit unserem gemeinsamen Adventslied entzünden.

Aber vor dem Adventskranz liegen ganz viele Kirschzweige. Wahrscheinlich wissen ganz viele von Ihnen, dass in der neu angebrochenen Woche, am Fest der hl. Barbara, Kirschzweige geschnitten werden, man sie daheim in die Vase stellt und dann darauf wartet, dass an Weihnachten das Wunder geschieht: Dass er blüht, dass der Kirschzweig, der Wille zum Leben stärker ist als der Frost und die Dunkelheit.

An jedem Adventssonntag wollen wir auf einen oder eine der Adventsbegleiter hinschauen, und diesen Sonntag ist es die heilige Barbara:
Die hl. Barbara hatte einen Vater, der wollte nicht, dass sein Kind etwas anderes sieht oder denkt, als er sich vorstellen konnte. Alle Eltern hoffen, dass ihre Kinder ganz viel von dem mitnehmen, was ihnen selbst wichtig und heilig ist, und dass sie behütet in die Welt hineingehen. Und so baut ihr der Vater einen Turm, einen Wohnturm. Oben bekam sie eine wunderschöne Wohnung und 2 Fenster, durch die sie die ganze Welt durchblicken konnte – und natürlich war das Mädchen glücklich, mit diesem Turm, mit dieser Aussicht, mit all dem, was sich vor ihren Augen ausgebreitet hat.

Aber, wie alle Kinder, ist sie größer geworden, und irgendwann reichen allen Kindern die Perspektiven der Eltern nicht mehr. Es kommen Freunde, Lehrer, man wird Jugendliche, erwachsener, und es kommen andere Perspektiven, Bilder, Erlebnisse und Sichtweisen. Der Vater der hl. Barbara lies das aber nicht zu – er wollte nicht, dass sein Kind etwas anderes sieht als er oder eine andere Meinung vertritt, und so durfte nur noch ihr Arzt das Haus betreten.

Dieser Arzt erzählt ihr von Jesus: Er erzählt, welche Freiheit Jesus gebracht hat, wie er Menschen ermutigt hat selbst zu denken und aufrecht zu gehen, wie er Frauen und Männern in seine Nachfolge berufen hat, dass sie mit neuen Augen den Himmel sehen, das Leben in seiner ganzen Fülle ergreifen, daran glauben, dass ein Mensch nie festgelegt ist, sondern in jedem Augenblick die Möglichkeit hat umzukehren, neu zu werden, einen anderen Weg einzuschlagen.

Barbara ist fasziniert von diesem Jesus, der Freiheit und Würde schenkt, diesem Jesus, der seinen heiligen Geist allen gibt, damit sie ihren Weg finden. Sie lässt sich taufen, nimmt all ihren Mut zusammen und schlägt in den Turm ein drittes Fenster– eine andere Perspektive als der Vater ihr erlaubt hat, aber die ganze Welt soll sehen, dass sie an den dreifaltigen Gott glaubt.

Zu unserem Leben gehören ganz viele Bilder und Perspektiven, und hoffentlich haben wir alle etwas von daheim mitbekommen wo wir sagen: ,,Was bin ich dankbar, dass meine Eltern mir das vorgelebt haben!‘‘; ,,Was bin ich dankbar, dass ich das mit meinen Großeltern und Geschwistern erlebt habe!‘‘

Ich bin überzeugt, eine jede und ein jeder von uns hat ein Fotoalbum im Herzen, wo wir sagen: ,,Das sind Bilder, die sind wunderschön - die geben mir Kraft und stärken mich!‘‘ Ich bin überzeugt, wir haben ein Fotoalbum, das bis oben hin voll ist mit Worten, Bildern, Erlebnisse und Eindrücken, über das wir sagen: ,,Wie schön, dass wir das gemeinsam erlebt haben und dass das zu meinem Leben gehört – wie groß ist dieser Schatz!‘‘

Aber natürlich gehört auch dazu, dass es da Bilder gibt, die wir am liebsten vergessen würden. Ich bin überzeugt, jeder und jede von Ihnen hat Bilder und Erlebnisse wo sie sagen: ,,Es ist so dunkel und so schwer, ich wäre froh, wenn ich das nie gesehen hätte, nie hätte durchmachen müssen. Ich vergesse nie, wie ich am Sterbebett eines guten Freundes stand, und dieses Bild, wie elendig er gestorben ist, sich so tief eingebrannt hat, dass ich es nie vergessen kann.‘‘

Und da sagt uns die hl. Barbara: ,,Dort, wo die Dinge dunkel sind, dort, wo die Erlebnisse nur schwer zu fassen sind, dort, wo die Bilder unserer Herzen nach unten drücken - da braucht es den Mut, dieses dritte Fenster zu öffnen, da braucht es die Kraft, eine andere Perspektive zu bekommen.‘‘

 Und wie gut ist es, wenn man da eine Freundin, einen Freund hat, dem man sagen kann: ,,Ich muss dir was erzählen. Lass uns darüber reden.‘‘ Wie gut tut es, wenn das Licht eines anderen Menschen auf so ein Ereignis fällt. Und manchmal braucht es dafür auch einen Therapeuten oder eine Therapeutin, um etwas Dunkles, etwas Schweres, etwas nicht zu Verkraftendes aufzuhellen und ans Licht zu bringen.

Und natürlich kostet es Kraft und Mut, zu den dunklen Bildern herabzusteigen und sie anzuschauen, so wie es die hl. Barbara Kraft und Mut kostete, so ein Fenster in den Turm zu schlagen.

Und darum bereiten wir uns im Advent auf Jesus vor, der von seinem Himmel in die Wirklichkeit dieser Welt hinabgestiegen ist, der Menschen in ihrer Krankheit, in ihrer Schuld berührt hat, der Menschen zugetraut hat, dass es andere Wege gibt, dass sie loslassen können, was es an dunklen Bildern und Lebensweisen in ihrem Leben gegeben hat. Sein ganzes Licht vom Himmel hat er gebracht, damit Menschen frei werden von den Perspektiven, die sie einengen und gefangen halten.

Wenn Sie nachher einen Zweig der hl. Barbara mitnehmen, dann ist es der Wunsch und die Einladung, dass Sie daran glauben, dass auch das Dunkle, auch das, was mir so schwerfällt, und auch das, was ich nicht anschauen möchte und was ich am liebsten vergessen möchte, sich unter Wärme und Licht in eine Blüte verwandeln kann.

Das geht nicht von heute auf morgen, das braucht vielleicht ganz viel Gespräch und ganz viel Liebe. Aber Gott ist derjenige, der uns immer und immer wieder die Kraft geben möchte, dass sein Licht auch auf die dunklen Seiten unseres Fotoalbums im Herzen fällt, dass dieses Licht uns helfen möge - auch diese Bilder und Erlebnisse anzuschauen und ihnen ,,Ja.‘‘ zu sagen. Auch das gehört zu unserem Leben.

Amen.