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Predigt von Pfr. Dr. Givens am 24.11.2024:Königssucher

Königssucher.
In jedem Menschen steckt ein abgedankter König. Das ist für uns Christen eine ganz banale Selbstverständlichkeit. Als ihr getauft wurdet, da seid ihr nicht nur mit Wasser übergossen worden, sondern ein jeder von euch, eine jede von euch hat mit dem hl. Öl auf die Stirn gesalbt bekommen: ,,Du bist ein König, Du bist eine Königin, weil Jesus sein Königtum mit dir teilt.‘‘
Datum:
26. Nov. 2024
Von:
Pfr. Dr. Ronald A. Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn - was für eine Begegnung, was für ein Gespräch. Pontius Pilatus, der Statthalter von Rom, und Jesus Christus, von dem wir am Anfang gesungen haben: ,,Christkönig, Halleluja!‘‘ Was für eine Begegnung. Natürlich war es für Pilatus schwierig zu sehen, wer da vor ihm steht: Jesus hatte das Verhör, hatte eine ganze Nacht, hatte die schrecklichen Stunden der Gefangennahme hinter sich. Aber Pilatus bleibt am Äußeren stehen, er bleibt in seinen Kategorien hängen, Pilatus kann nicht sehen, welche Chance in dieser Begegnung mit diesem Menschen, mit Jesus für ihn liegen könnte.

Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger hat ein Buch geschrieben über einen König, Karl V., den mächtigsten Kaiser, den es jemals in Europa gegeben hat. Vier Kronen hat dieser Kaiser und König auf seinem Haupt vereint, und es gab fast kein Land in Europa, das nicht zum Reich von Karl V. gehört hat. Als er schwer krank wird und merkt, dass sein Leben zu Ende geht, zieht er sich in Spanien in ein Kloster zurück, und genau dort setzt der Roman von Arno Geiger an: Der König und Kaiser Karl V. hat abgedankt, hat keine Macht, keinen Einfluss mehr. Er hat alles losgelassen, er bereitet sich auf die Begegnung mit Jesus vor - in der Stille des Klosters.

Die Bediensteten um ihn herum hoffen alle darauf, dass der alte König endlich stirbt und sie wieder nach Hause können. Von der Familie ist niemand mitgegangen. Und Arno Geiger erspart kein Detail dieses kranken, alternden, abgedankten Königs in seiner Hilf- und Machtlosigkeit. Da begegnet dem Kaiser ein elfjähriges Kind, Geronimo. Die beiden beschließen, und da beginnt der Roman, zu fliehen, nach Laredo - Die Reise nach Laredo. Der Kaiser, der sich die ganze Zeit gefragt hat: ,,Wer bin ich eigentlich ohne Macht? Wer bin ich, wenn ich nichts mehr schenken kann, wenn ich nichts mehr geben kann, wenn ich nichts mehr befehlen kann, wenn ich keinen Nutzen mehr habe, wenn ich nur noch krank und hinfällig bin, wer bin ich dann eigentlich?‘‘

Er, der ein ganzes Leben lang funktioniert hat, er, der ein ganzes Leben lang Aufgaben erfüllt hat, er, der ein ganzes Leben lang für Reiche und für Menschen Verantwortung hat, der fragt sich jetzt: ,,Wer bin ich eigentlich, wenn ich nichts mehr habe? Und was sehen die anderen in mir, wenn ich nichts mehr tun kann, nichts mehr befehlen kann, nichts mehr schenken kann, nichts mehr geben kann. Wenn ich angewiesen bin auf die anderen.‘‘

Und an der Hand von Geronimo, von diesem Kind, da entdeckt der abgedankte Kaiser und König, wer er ist. Anno Geiger formuliert da im Zugehen auf das Sterben von Karl V., einen wichtigen Satz: In jedem Menschen steckt ein abgedankter König.

In jedem Menschen steckt ein abgedankter König, denn irgendwann haben wir nichts mehr zu geben, nichts mehr zu schenken, vielleicht höchstens noch etwas zu vererben, aber nichts mehr zu bieten. Irgendwann können wir nicht mehr so funktionieren, wie wir funktioniert haben, und wer sind wir dann in den Augen von den Anderen?  Wer sind wir in den Augen derer, denen wir nichts mehr bieten können, mit denen wir auch nicht mehr mithalten können, denen wir nichts mehr befehlen und über die wir nicht mehr bestimmen können? Wer sind wir dann in den eigenen Augen, wenn wir nicht mehr gesund sind, wenn wir nicht mitrennen können? Wenn wir, wie so manch eine und einer es formuliert, zur Last werden. Wovor so viele Angst haben, ,,Ich will bloß nicht den anderen zur Last werden.‘‘. Wer sind wir dann?

In jedem Menschen steckt ein abgedankter König. Das ist für uns Christen eine ganz banale Selbstverständlichkeit. Als ihr getauft wurdet, da seid ihr nicht nur mit Wasser übergossen worden, sondern ein jeder von euch, eine jede von euch hat mit dem hl. Öl auf die Stirn gesalbt bekommen: ,,Du bist ein König, Du bist eine Königin, weil Jesus sein Königtum mit dir teilt.‘‘ Und dein Königtum endet nicht an der Tür von der Intensivstation. Dein Königtum endet nicht, wenn du dement geworden bist. Dein Königtum endet nicht, wenn du den allergrößten Fehler deines Lebens gemacht hast und dich in Grund und Boden schämst. Du magst vielleicht abdanken und resignieren, aber dein Königtum bleibt. Und daran misst sich eine jede und ein jeder von uns: Ob wir Königssucher sind.

Ob wir die Intensivstation betreten und wissen: Ich besuche eine Königin, einen König, an all den Schläuchen und Apparaten. Ich begleite einen König und eine Königin, die ganz im Gestern lebt und längst vergessen hat, wer ich bin. Ich begleite einen König und eine Königin, die ohne Tabletten und ohne Alkohol den Tag nicht übersteht. Ich begleite einen König und eine Königin, die sich in der Schule unendlich schwertut und die immer und immer wieder ein Heft voller roter Striche mit nach Hause bringt.

Wir sind Königssucher.

Und wir dürfen niemals vergessen: In jeder und in jedem von uns steckt ein resignierter König. Denn nichts anderes hat der König getan, den wir heute feiern: Jesus, der Christkönig. Er hat den König und die Königin entdeckt, gerade dort, wo niemand sie sehen wollte. Und im Advent mit dem neuen Kirchenjahr bereiten wir uns ja auf dieses Paradox vor:

In diesem kleinen Windelscheißer von Bethlehem werden wir einen König entdeckt.

In dem Fresser und Säufer der Partys von Galiläa werden wir einen König entdecken.

In dem Gekreuzigten auf Golgatha werden wir einen König entdecken.

In dem in ein Leintuch Eingewickelten und in ein Grab Hineingelegten werden wir einen König entdecken.

In jedem Menschen steckt ein abgedankter König, und eine Gesellschaft misst sich daran, ob wir Königssucher sind. Ob wir den König und die Königin genau dort suchen, wo der König und die Königin nichts zu bieten hat. Wo die Königinnen und Könige auf der Flucht sind, am Rande stehen, zu schwach und zu krank sind.

Eine Gesellschaft misst sich daran, wen sie groß macht: Ob die Nation groß gemacht wird oder ob die abgedankten Könige und die Königinnen groß gemacht werden. Und eine Wahl und die, die sich da zur Wahl stellen werden, wird sich auch daran messen lassen müssen: Wem wollt ihr als Politiker dienen? Den abgedankten Königen und Königinnen? Seid ihr fähig als Politiker, die zu entdecken, die niemand sieht und niemand sehen will, und Sie in den Mittelpunkt eures Wahlprogramms zu stellen?

Eine Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit den abgedankten Königinnen und Königen umgeht - nicht mit denen, die noch etwas zu bieten und zu geben haben, die noch die Strippen ziehen können und die noch die Macht haben.

Eine Kirche und eine Gesellschaft misst sich wirklich daran, wie wir den abgedankten Königen und Königinnen dienen.

Amen.