Predigt Christina Feifer am 09.03.2025:Leuchtspuren hinterlassen

Die Erde ist randvoll mit Himmel,
und in jedem gewöhnlichen Dornbusch brennt Gott.
Aber nur jene, die sehen können, ziehen ihre Schuhe aus;
die anderen sitzen herum und pflücken Brombeeren.
Dieses großartige Gedicht schrieb vor gut 200 Jahren Elisabeth Barrett Browning
Mich hatte es beim ersten Hören angerührt, erleuchtet, und begleitet mich schon lange. Für mich sind das Sätze, die innere Bilder und unvergessliche Momente aufsteigen lassen.
Das beschreibt etwas Realistisches, es kann so sein: Die einen werden erleuchtet, beginnen zu strahlen, sind tief berührt – und die andere finden es zwar nett, vielleicht auch schön, aber die Brombeeren reichen vollkommen.
Wie ist das bei Ihnen, bei Euch? Welcher Satz hat Sie schonmal zum Leuchten gebracht?
Was war der Satz oder die Situation, der noch heute ganz nah ist - der Sie auch jetzt gerade tief Luft holen lässt, eine Gänsehaut hervorruft, innere Stärke spüren lässt? Eine Situation oder Begegnung, die Veränderung gebracht hat, oder sogar eine Wende veranlasst hat?
Der Blick auf die Installation hier über dem Altar erinnert mich an die Aussagen von Astronaut*innen, die die Perspektive wechseln durften, die unseren kostbaren blauen Planeten aus dem All gesehen haben: Die gemerkt haben, wie wunderschön er ist, Ort der Menschheitsfamilie, schützenswert. Und wie traurig, dass es ein Ort ist, der so vollgepackt ist mit Konflikten, mit Kriege, mit Nöten? Eigentlich ist es doch eine wunderschöne Sache. Und doch ist es nur ein winziges Gestirn im All.
Diese Sicht und Einsicht ändert alles, denn vieles relativiert sich. Wichtig ist es, sich für Erhalt und Bestand einzusetzen.
Und in jedem gewöhnlichen Dornbusch brennt Gott.
Was wäre mit Moses, mit Miriam, mit dem ganzen Volk Israel geschehen, wäre da nicht die leuchtende Zusage Gottes gewesen, die sich aus dem Dornbusch heraus direkt in Moses Herz brannte?
Diese Zusage Gottes, 'Ich bin der Ich bin da!‘, die Moses erleuchtete, ermutigte, stärkte. Das war ein Feuer, das brannte, aber nicht verbrannte. Kein Strohfeuer, sondern in die Tiefe gehend.
Und den mühsamen Rest der Geschichte kennen wir:
Moses, der Stotterer, braucht seine Geschwister, um vor dem Pharao zu bestehen. Die ganzen Streitereien und Machtkämpfe, bis das Volk ziehen darf, die Plagen. Dann, vor dem Roten Meer, scheint sich alles aufgelöst zu haben aus Angst, zerschlagen zu werden. Doch – die wunderbare Rettung, alle tanzen und freuen sich, aber ein paar Tage später das murrende Volk. Wir haben kein Wasser, wir haben kein Brot! Wie soll das weitergehen? Wären wir besser in Ägypten geblieben.
Irgendwann tanzen alle um das goldene Kalb, Moses flippt aus.
Viele Rückschläge und Durchhaltevermögen, viele Bemühungen, 40 Jahre lang.
Moses selbst verstirbt, bevor er das verheißene Land betritt, mit der Verheißung im brennenden Herzen. Aber die kann er seinem Volk mitgeben.
Es ist wichtig, sich das immer wieder zu vergegenwärtigen – in der Lesung war es zu hören:
Mein Vater (*meine Mutter) waren heimatlose Aramäer, erlebten Unterdrückung und Flucht, und Gottes Zusage und Befreiung. Nie werden wir das vergessen, unser Leben und Verhalten soll es prägen. Lasst uns dankbar sein für das, was wir haben, und lasst uns unsere Verwurzelung in Gott Jahr für Jahr durch ein Opfer bestätigen. Lasst unser Verhalten Fremden gegenüber von dieser Perspektive geleitet sein.
Eine Leuchtspur.
Liebe für Alle, Hass für keinen.
Das ist ein Gebet und Glaubensmotto der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde. Ein Mann hat das seit Jahren in den Gebeten mitgetragen und in sein Herz genommen.
Was wäre geschehen, wenn dieser Mann nicht diese Leuchtspur in seinem Herzen getragen hätte? Er würde uns erzählen:
Ich war ein verfolgter Pakistani. Wegen meines Glaubens bin ich geflüchtet, weil ich in meinem Heimatland deshalb als Krimineller diskriminiert wurde. Vor rund 15 Jahren bin ich in Mannheim angekommen und habe dort Aufnahme und Heimat gefunden. Seit 2017 bin ich deutscher Staatsbürger, und ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Taxifahrer.
Vor ein paar Tagen musste ich mit ansehen, wie vor mir plötzlich ein Kleinwagen beschleunigte und in die Menschenmenge raste. Als Taxifahrer kenne ich mich aus in Mannheim, und ich konnte die Todesfahrt auf den Planken mit meinem Taxi stoppen.
Das habe ich meiner Heimatstadt zurückgegeben, und das ist nichts im Vergleich zu dem, was mir geschenkt wurde.
Liebe für Alle, Hass für keinen.
- A. Muhammad, Muslim -
Erleuchtungen sind Prüfungen ausgesetzt: Ist es das, was ich wollte, oder ist es ein Strohfeuer? Trägt mich das, was mich so zum Strahlen gebracht hat, durch dunkle Zeiten? Hilft es gegen die tiefsitzende Angst?
Ist diese Erleuchtung der berühmte Lichtschalter im dunklen Keller, der mir das ungute Gefühl nimmt und mir hilft, mich zu orientieren? Oder ist es mir unangenehm, weil Licht Klarheit bringt, die viel Unangenehmes, Verdrängtes zum Vorschein bringt, Lichtverschmutzung für die Seele? Zu viel ist zu viel.
Eine gute Begleitung, ein guter Zuhörer vermag das zu schaffen, mir das zu vermitteln:
Alles, was du brauchst, ist bereits in dir. Du musst es nur anleuchten, anschauen, hervorkommen lassen. So wie du bist, bist du ok, auch wenn dein Verhalten es gerade nicht ist.
Du bist mein geliebtes Kind.
Mit dieser Erleuchtung im Herzen geht Jesus für 40 Tage in die Wüste, sortiert sich, spürt dem nach, was ihn bewegt. Heute hätte er wohl sein Handy ausgeschaltet und sich ganz auf sich konzentriert. Da steigen Fragen und Verführungen auf. In der Bibel steht:
Der Teufel, die dunkle Seite, versucht ihn. Heute würden wir diese Anfragen vielleicht so hören:
Erfülle deine Bedürfnisse:
Wenn du Hunger hast, dann iss, egal wo dein Essen herkommt. Egal, wie belastend es für das Klima und Kleinbauern im Globalen Süden ist. Mach aus Steinen Brot.
Und verschaffe dir deine Vorteile, egal um welchen Preis. Erfolg und Reichtum verlangen unangenehme Kompromisse. Bete mich an!
Und was interessiert dich die Sicherheit? Lebe den Rausch, das Abenteuer, den Kick. Es wird schon gut gehen, irgendwie klappt das. Stürze dich vom Tempel hinunter in die Tiefe und lasse dich von den Engeln auffangen.
Was wäre wohl geschehen, wenn Jesus diesen Versuchungen nachgegeben hätte?
Jesus wird dieses Erlebnis, diese Zeit mitnehmen auf seinem Weg. Es wird ihm innere Stärke geben in aller Konsequenz, bis hin in die dunklen Stunden und durch sie hindurch.
Aber wie lebenstauglich ist meine Erleuchtung?
Jan Frerichs, franziskanisch geprägter geistlicher Begleiter, sagt:
Nach der Erleuchtung Boden Wischen. Im Banalen das Göttliche finden und diese Erkenntnis in meinen Alltag tragen. Erleuchtung braucht Alltagstauglichkeit. Ich bin dazu berufen, aus dieser Erfahrung heraus zu leben, mein Konsumverhalten zu hinterfragen, meine Lebensweise zu verändern, nicht auf alle Vorteile und Privilegien zu beharren und auch bewusst zugunsten der Welt, auf der ich lebe, zu verzichten.
Das bedeutet aber auch, die Erleuchtung in ihrer Ambivalenz wahrzunehmen. Nicht alles, was guttut, ist auch gut. Weniger ist mehr, und als Teil vom Ganzen ist meine Verantwortung groß!
Also: Boden wischen.
Zum Schluss, im Nachklang des Weltfrauentages, noch ein Wort zu Elisabeth Barrett Browning, die Verfasserin des Gedichtes:
Sie wurde am 6. März 1806 geboren, ein kränkliches, blasses Mädchen, in einer Zeit, in der Weiblichkeit mit Kränklichkeit gleichgesetzt wurde. Sie nahm Opiate, um sich zu beruhigen zu können und zu schlafen, und lebte sehr privilegiert auf einer Zuckerplantage in Jamaika. Sklaven haben das Zuckerrohr geerntet, doch als die Sklaverei abgeschafft wurde endete ihr feines Leben dort und es ging mit der ganzen Familie zurück nach England. Dort lebte sie mit vielen Geschwistern und ihrem dominanten Vater. Ihre Mutter und 2 ihrer Brüder starben früh.
Kein einfaches Leben, aber all das, was sie dort erlebt, legt sie in ihre Gedichte. Sie schreibt, und der stolze Papa veröffentlicht sogar einen Teil, aber die richtige Freiheit kommt erst mit der großen Liebe ihres Lebens, Robert Browning, der ihr irgendwann einen Brief geschrieben hatte und sie zum Strahlen brachte. Allerdings brauchte es 5 Jahre Geduld, bis der Papa die Erlaubnis zur Heirat gab.
Sie distanziert sich und zieht mit ihrem Mann nach Italien, und hier wird das Leben frei. Leuchtende Liebesgedichte entstehen, sie lebt ganz für Kunst, Kind und Kreativität. Ihre Sonette werden später sogar von Rilke aus dem Portugiesischen übersetzt.
Sie stirbt mit Mitte 50 in den Armen ihres geliebten Robert. Aber sie hat uns unter anderem diese Leuchtspur hinterlassen:
Die Erde ist randvoll mit Himmel,
und in jedem gewöhnlichen Dornbusch brennt Gott.
Aber nur jene, die sehen können, ziehen ihre Schuhe aus;
die anderen sitzen herum und pflücken Brombeeren.
Erleuchtung. Egal ob Moses, Miriam, A. Muhammad, Jesus, Elisabeth, du, ich, wir alle hier:
Lasst uns aus der Erleuchtung leben.
Leuchtspuren hinterlassen.
Und nach der Erleuchtung den Boden wischen.