Zum Inhalt springen

Predigt Pfarrer Dr. Givens am 15.12.2024:Lichterkinder

Lichterkinder
Was gibt es kostbareres als Menschen, als Freunde, als Familie, die mit uns daran glauben, dass es möglich ist, die Dunkelheit dieser Welt mit dem, was wir haben, hell zu machen? Was hindert uns daran, die Frage zu stellen, die die Menschen Johannes gestellt haben?
Datum:
17. Dez. 2024
Von:
Pfr. Dr. Ronald A. Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn.

Es ist ein großer, dunkler Raum, viel dunkler als hier jetzt bei uns in der Apostelkirche, und man sieht ein Licht. Dieses Licht wandert durch diesen Raum, von einer Ecke nach oben nach unten, kreuz und quer, überall hin - kein Kerzenlicht, sondern es ist das Licht von einem Handy. Zwei Frauen halten dieses Handy in Händen, so ähnlich wie die heilige Lucia, die im 4. Jahrhundert hinabgestiegen ist in die Verliese und die Keller von Syrakus, um dort ihrer Familie, ihren Freunden und den anderen Christen etwas zu essen und zu trinken zu bringen - etwas Hoffnung.

Auch diese beiden Frauen sind in dem großen dunklen Raum verzweifelt unterwegs mit ihrem Handylicht, und sie suchen sie suchen den Verlobten. Das letzte Mal hat die junge Frau ihren Verlobten vor drei Jahren gesehen, dann ist er irgendwo in Damaskus in die dunklen Verliese und Gefängnisse des Assad-Regime verschwunden. Seither haben die beiden Frauen den zukünftigen Schwiegersohn den Verlobten nie mehr gesehen, und jetzt suchen sie ihn in diesen dunkeln Verließen - denn irgendwo da unten, irgendwo unter Damaskus, müssen noch Geheimverliese sein. 3000 Gefangene sind aus den Gefängnissen des Assad-Regimes befreit worden, aber die Weißhelme, eine Freiwilligen-Organisation in Syrien, und ganz viele Frauen steigen hinab in die Verliese, um die geheimen Gänge zu finden.

Natürlich haben die Weißhelme in Moskau angefragt, man möge doch bitte, weil die Zeit davonläuft, die Wärter geflohen sind und weil diese Gefangenen dort unten in diesen Geheimverließen nichts zu essen und nichts zu trinken haben, verraten, wo diese Geheimverliese sind. Lawrow, der Außenminister, hat mitteilen lassen, dass es in Damaskus keine Gefangenen gab und keine Verließe gibt.

Die hl. Lucia ist im 4. Jahrhundert durch ihre Stadt Syrakus gelaufen, hinab zu den Verließen, wo sich niemand hineingetraut hat, weil sie daran geglaubt hat, dass sie etwas bewirken kann. Und damit sie ihre Hände frei hat und so viel wie möglich an Nahrung und an Hoffnung in diese Dunkelheit hineintragen kann, hat sie sich das Licht auf dem Kopf festgebunden, um die Hände frei zu haben und ist so hinuntergestiegen, um zu helfen.

Wir alle sind wie Lucia. Wir alle haben am Tag unserer Taufe eine Taufkerze in die Hand gedrückt bekommen und man hat uns zugesagt und zugesprochen: „Du bist eine Lichtbringerin, du bist dein Lichtbringer!“ Aber wir alle wissen, wie das ist: Da gibt es die inneren Stimmen, die natürlich auch dem jungen Mädchen Lucia gesagt haben: „Du bist viel zu jung, du bist viel zu klein, wie soll das gehen mit dem Licht, den Händen?“

Wir alle kennen diese inneren Stimmen, die uns sagen: „Das müssen andere machen.“ Natürlich, man müsste, man könnte, man sollte, aber ich… ich weiß nicht, wie das geht, ich kann das nicht…

Da hilft nichts anderes, als sich immer wieder daran zu erinnern: Ich habe eine Taufkerze in die Hand gedrückt bekommen, und Jesus traut mir zu, dass ich ein Lichtbringer, eine Lichtbringerin bin. Es geht nicht darum, was ich müsste, sollte oder könnte. Jesus hat mir genug Licht gegeben, damit ich kann. Ich bekomme das hin, ich habe genug inneres Licht, um das, was mein Traum ist und das, was meine Gerechtigkeit ist und das, was meine Liebe ist, hell aufleuchten zu lassen. Ich möchte keine Dunkelbringerin sein, ich möchte kein Dunkelbringer sein, ich bin von Jesus berufen, eine Lucia zu sein, eine Lichtbringerin, ein Lichtbringer zu sein!

Und hat man das einmal geschafft, die inneren Stimmen klein zu bekommen und ihnen zu widersprechen, die starke Stimme von Jesus in sich zu ermutigen, dann kommt ganz sicher jemand daher aus der Familie aus dem Freundeskreis, aus der Politik, aus der Gemeinde, von wo auch immer, und bläst das Licht aus. „Viel zu kompliziert!“, „Haben wir alle schon probiert…“, „Du hast ja keine Ahnung…“, „Was mutest du dir da zu?“, „Da gibt es andere, die das viel besser können!“, „Du? Warum denn ausgerechnet du?“

Dann braucht es ein Adventskranz mit vielen Kerzen darauf, dann braucht es Gleichgesinnte, dann muss ich mir für meine Träume, Vision und Idee Freundinnen und Freunde suchen, mit denen ich darüber reden kann. Mit den ich mich austauschen kann und mit den ich mich bestärken kann, dass es möglich ist, auch in dieser Zeit eine Lichtbringerin, ein Lichtbringer zu werden. Dann muss ich mir eine Partei suchen, eine Kirche, Menschen, die mit mir daran glauben, dass es möglich ist - so wie es möglich ist als Weißhelm verzweifelt in den Verliesen von Damaskus zu suchen. Wo sind die Geheimverliese, wo sind die Eingänge, wie kommen wir da hin?

Und diese Frauen, die da verzweifelt suchen, wissen eines ganz genau, das haben sie bei den anderen Gefangenen erlebt: Wenn sie die Verliese gefunden haben und vor diesen Zellen stehen, und die Verzweifelten, die seit 5, 10, 30 Jahren keine Freiheit mehr gehabt haben, auf einmal eine andere Stimme hören, ist da immer noch der Mechanismus, diese Türen zu öffnen. Dreifach und vierfach sind diese Türen gesichert, niemand weiß wie man sie öffnen kann. Genau da braucht es Freunde, da braucht es Hilfe um nicht aufzugeben, um auf den letzten Metern nicht zu zweifeln. Wir brauchen, damit wir Lichtbringer und Lichtbringerin, damit wir Lucia werden, andere, die uns mit ihren Fähigkeiten und Gaben bestärken.

Was gibt es kostbareres als Menschen, als Freunde, als Familie, die mit uns daran glauben, dass es möglich ist, die Dunkelheit dieser Welt mit dem, was wir haben, hell zu machen? Was hindert uns daran, die Frage zu stellen, die die Menschen Johannes gestellt haben:

Was soll ich tun mit meinem Erbe? Was soll ich tun mit meinem Vermögen? Was soll ich tun mit meiner Zeit? Was soll ich tun mit meinem Besitz?

Wir können so große Lichtbringer in dieser Welt sein - aber natürlich, selbst wenn wir das innere Licht hell aufleuchten lassen und immer wieder dafür kämpfen, und selbst, wenn wir gute Freundinnen und Freunde gefunden haben, die mit uns das Angesicht der Erde verändern wollen, dann gibt es immer noch die Putins und die Assads. Dann gibt es immer noch all diejenigen, die Dunkelbringer sind, die alles daransetzen, Dunkelheit zu bringen.

Und darum stehen zwei neue Engel in unserer Kirche. Die beiden Engel zum Gedenken an die heiligen Lucia, die die Kindertagestätten für uns gemacht haben. Diese beiden Engel sagen: „Nicht die Dunkelmänner sind die Herren dieser Welt!“

Die Engel erzählen: „Der Herr der Welt ist ein Barmherziger, ist ein Liebender. Der Herr der Welt ist einer, der immer und immer wieder dieses Wunder bewirkt, dass da Frauen und Männer sind, die dem Licht trauen und das Angesicht der Erde verändern. Wer hätte geglaubt, dass die, die in Damaskus in den Verließen sitzen, nach 30 Jahren das Licht schauen? Wer hätte geglaubt, dass die Apartheid zu Ende geht? Wer hätte geglaubt, dass die Mauer zwischen Ost und West durch Kerzen aus einer Leipziger Kirche zum Fall gebracht wird?

Hanna Arendt hat einmal gesagt: „Die Diktatoren dieser Welt halten ihre brutale Macht noch 15 Minuten vor ihrem Sturz in allen Händen, aber: Die letzten 15 Minuten kommen.“ Sie kommen für einen Putin, für einen Assad und für all die Dunkelmänner dieser Welt - solange es Menschen gibt, die daran glauben:

„Ich kann eine Lichtbringerin sein.“

„Ich kann ein Lichtbringer sein.“

 „Ich kann zu Luzia werden!“

Amen