Predigt Herbert Kohl am 02.08.2025:Loslassen, um frei zu werden

Gott sorgt für mich
Liebe Schwestern und Brüder,
„Windhauch, Windhauch – das ist alles Windhauch.“
So nüchtern, fast resigniert, klingt der Anfang der Lesung aus dem Buch Kohelet. Und das Evangelium führt diesen Gedanken weiter:
Ein Mann häuft Besitz an, plant den Ausbau seiner Vorratslager – und noch in derselben Nacht stirbt er. Und Gott fragt: „Wem wird dann das gehören, was du angehäuft hast?“
Diese Texte machen uns wach: Was ist wirklich wichtig? Worauf setze ich mein Herz? Jesus sagt ganz klar: „Das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.“
Besitz – oder Besitz ergreifend?
Es ist nicht falsch, Dinge zu besitzen. Wir alle brauchen etwas zum Leben – Kleidung, Wohnung, Nahrung, auch etwas Sicherheit.
Aber es gibt einen Punkt, an dem sich etwas verschiebt. Wenn der Besitz mich besitzt. Wenn ich mich innerlich abhängig mache – vom Geld, vom Auto, vom Ansehen, von der Kontrolle über alles. Dann bin ich nicht mehr frei. Dann lebt in mir ein anderer Gott. Darum steht am Anfang der Zehn Gebote: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“
Gott will unsere Freiheit. Das ist die große Bewegung der Bibel: Freiheit aus Ägypten – durch das Rote Meer – in ein Leben mit Gott.
Und zur Freiheit gehört auch die innere Freiheit – dass mein Herz nicht an Dingen hängt, die mich binden. Henri Nouwen schreibt: „Um sich an den vielen schönen und guten Dingen, mit denen uns die Welt beschenkt, wirklich freuen zu können, müssen wir uns von ihnen lösen. Sich lösen heißt nicht, gleichgültig zu sein. Es heißt: Ich will diese Dinge nicht besitzen – und ich will nicht, dass sie mich besitzen.“ Was für ein wunderbarer Gedanke! Nur wer loslassen kann, kann wirklich genießen. Nur wer frei ist, kann wirklich loben und danken. Ein Leben in Loslösung ist ein Leben in Dankbarkeit.
Wie kann das gehen?
Vielleicht fragen Sie sich: Wie kann ich das einüben? Wie kann ich frei werden – und frei bleiben? Hier ein paar Schritte, ganz konkret: Anfangen zu verschenken. Henri Nouwen sagt: „Je mehr ich verschenke, desto freier werde ich.“ Verschenken heißt: Ich muss nicht alles für mich behalten. Ich öffne die Hand – und plötzlich öffnet sich auch mein Herz. Vielleicht fangen ganz praktisch an: ein Buch, das ich weitergebe. Kleidung, die jemand anderes mehr braucht. Zeit, die ich einem anderen schenke.
Ballast abwerfen. Stellen Sie sich einen Heißluftballon vor. Damit er aufsteigen kann, muss er Ballast abwerfen. So ist das auch im Leben.
Was brauche ich wirklich – und was schleppe ich mit mir herum? Nicht nur materiell. Auch innerlich: alte Sorgen, unnütze Vergleiche, Groll. Wenn ich nicht vergeben kann, schleppe ich großen Ballast in meinem Herzen mit. Vielleicht nehmen Sie sich in der kommenden Woche Zeit für eine kleine „Ballast-Inventur“. Gott an die erste Stelle setzen. Wer Gott die erste Stelle gibt, nimmt den Dingen die Macht über das eigene Herz. Nicht aus Zwang, sondern aus Freiheit. Wenn ich weiß, dass ich in Gottes Hand gehalten bin, dann muss ich mich nicht an Besitz klammern. Dann darf ich vertrauen – und loslassen. Eine kleine Geschichte macht das noch einmal sehr deutlich.
Die Geschichte vom Kind mit den großen Händen
Ein Vater geht mit seinem Kind in einen Süßwarenladen. Hinter der Theke steht ein alter Mann mit einer großen Bonbonschale. Er lächelt das Kind freundlich an und sagt: „Na, greif zu! Nimm dir eine Handvoll Bonbons.“ Das Kind schaut – zögert – und rührt sich nicht. „Trau dich“, sagt der Mann noch einmal. Aber das Kind bleibt stumm. Nach einer Weile greift der alte Mann selbst in die Schale, nimmt eine ordentliche Portion Bonbons und legt sie dem Kind in die Hände. Draußen fragt der Vater: „Warum hast du nicht einfach selbst zugegriffen?“ Da sagt das Kind leise: „Weil seine Hände größer sind als meine.“ Was für ein Vertrauen!
Liebe Gemeinde,
das ist eine ganz schlichte Szene – aber sie sagt so viel über das Leben mit Gott. Dieses Kind muss nicht alles selbst festhalten, sichern, anhäufen, weil es darauf vertraut, dass jemand mit größeren Händen für es sorgt. Und vielleicht ist genau das die Haltung, die Jesus uns zeigen will: Lass los. Du musst nicht alles selbst tragen. Du musst dich nicht absichern bis zum letzten Schritt. Vertraue den großen Händen Gottes. Die große Frage ist: Wie kann ich frei werden – innerlich frei? Wie kann mein Glaube mir helfen? Ich glaube, es beginnt da, wo ich Gott wieder an die erste Stelle setze. Wo ich sage: „Du sollst mein Gott sein – nicht mein Besitz, nicht mein Ansehen, nicht meine Kontrolle.“ Es beginnt da, wo ich mich traue zu sagen: „Ich muss nicht alles selbst im Griff haben. Ich darf empfangen – mit leeren Händen.“ Und es beginnt ganz konkret – mit einem ersten Schritt. Vielleicht mit dem Entschluss, etwas zu verschenken. Ein paar Dinge, die ich nicht brauche. Aber auch Zeit. Aufmerksamkeit. Ein Wort der Ermutigung. Oder ein Lächeln. Denn: Je mehr ich verschenke, desto freier werde ich. Je mehr ich loslasse, desto mehr kann ich empfangen. Viele Menschen haben das heute schon begriffen und leben minimalistisch. Sie fühlen sich freier, wenn sie möglichst wenig Dinge besitzen.
Am Ende wird Gott uns icht fragen: „Wie voll war dein Konto?“ Was hattest du alles in deinem Schrank? Sondern eher: „Wie voll war dein Herz?“ Oder: „Hast du vertraut – auf meine großen Hände?“ Und wenn wir dann – wie das Kind im Süßwarenladen – sagen können: „Ich habe losgelassen, weil ich wusste, dass du für mich sorgst“, dann haben wir das Leben gewonnen. Amen.