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Predigt Pfr. Dr. Givens am 15.08.2024:Mariä Himmelfahrt

Maria Himmelfahrt - 2
Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.
Datum:
16. Aug. 2024
Von:
Herbert Kohl

Ein subversives und gefährliches Fest

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

selig die Brüste, die dich gesäugt haben. Selig der Schoß, in dem du geboren worden bist. Ob Pius XII. tatsächlich wusste, als er die Tradition der Urkirche, die Tradition der Ostkirche und die lange Tradition der Westkirche zu einem Dogma formuliert und gesagt hat, Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel hinaufgenommen worden von Gott, wie subversiv, wie gefährlich dieses Fest eigentlich ist?

Es ist die Fülle des Lebens, hineingenommen in den Himmel. Da ist zunächst das kleine Baby Miriam, das da geboren wird, irgendwo im Nahen Osten und überlebt. Alle Eltern wissen, dass es gar nicht selbstverständlich ist, dass ein Kind sich durchkämpft und lebt und leben darf. Sie lebt, und sie schreit, und sie wird ein Mädchen. Und irgendwann wird sie festgestellt haben: Ich darf nicht alles, was die Jungs dürfen. Ich darf nicht so sein, wie die Jungs sind. Und sie erfährt, mein Körper verändert sich. Und sie wird ihre Mutter gefragt haben, Anna, was das bedeutet. Und irgendwann, wenn die Regelblutung eingesetzt hat, dürfte dieses Mädchen nicht mehr einfach so frei durch die Gegend laufen. Irgendwann wusste sie, was es bedeutet, wenn eine Frau die Tage bekommt, wenn der Körper sich verändert. Wenn etwas eine Rolle spielt, von dem sie als Mädchen noch überhaupt keine Ahnung gehabt hat.

All das: Dieses Mädchen, das sich ins Leben gekämpft hat, dieses Mädchen, das leben möchte, dieses Mädchen, das bald erfahren hat, dass die Jungs Dinge dürfen, die sie nie darf, dieses Mädchen, das erfahren hat, dass Leben in ihr ist, dass sie Leben einmal tragen kann, dieses Mädchen, das spürt, dass Leben auch etwas kostet, dass es auch Schmerzen bereitet, das früh erfahren hat: Dann bist du unrein, dann bist du nicht sauber, dann darfst du nicht mit den anderen in die Synagoge. Dieses Mädchen hineingenommen in den Himmel – das steht dafür: Das Gott all denen dies sagt,  die Mädchen in Afghanistan, die nicht mehr in die Schule dürfen, die Mädchen, denen man sagt, ihr seid weniger wert als die Jungs, die Mädchen, die in der Krippe in Bethlehem abgegeben werden, weil die Familien mit einem Mädchen nichts anfangen können, die Mädchen, die hier bei uns lernen und zeigen, dass sie genauso Begabung haben wie die Jungs, genauso das Leben lieben wie die Jungs, die Mädchen, die frei sein wollen und diese Freiheit auch zeigen und leben, all diese Mädchen sind hineingenommen in den Himmel.

Gott sagt, das hat Platz. Das gehört zu Maria, so ist sie geworden. Das möchte ich bei mir haben, das möchte ich hineinnehmen in den Himmel. Und denen auf der Erde unten sagt er damit: Passt mir gut auf, wie ihr mit den Mädchen umgeht. Passt mir gut auf, dass sie etwas spüren, wie willkommen sie im Himmel sind. Das müssen sie schon auf der Erde spüren. Sie müssen genauso wie die Jungs lachen und lernen dürfen, frei sein und spüren, dass sie anders sind, aber nicht weniger wert sind, dass sie genauso geliebte Kinder Gottes sind wie die Jungs.

Ob Pius XII. das gewusst hat, als er gesagt hat: Dieses Mädchen ist mit Leib und Seele im Himmel angekommen? Aber da ist noch viel mehr im Himmel angekommen. Nicht nur das kleine Mädchen Miriam, da ist noch viel Schöneres hineingenommen in die Fülle des Lebens, in die Fülle des Himmels.

Wie muss das gewesen sein, als sie zum ersten Mal den Joseph gesehen hat, als sie gespürt hat: Zu dem fühle ich mich hingezogen? Vielleicht hat sie ihn gar nicht selber aussuchen dürfen, vielleicht haben das die Familien arrangiert, aber sie muss beeindruckt gewesen sein, als er gesagt hat: Ich steh zu dir. Wie wird das gewesen sein, als er sie berührt hat und als die beiden zum ersten Mal miteinander Sex gehabt haben, als sie gespürt hat, was es bedeutet, eine Frau zu sein? Und wie anders ein Mann ist? Wie sie gespürt hat, dass das auch Spaß macht, dass das Freude macht, dass das vielleicht auch wehtut und dass man lernen muss, wie man miteinander umgeht – im Bett, auf dem Feld, da, wo es die Eltern halt nicht mitbekommen.

All das macht Maria aus. Nicht umsonst heißt es ja, das sind die Geschwister Jesu, seine Schwestern und seine Brüder leben unter uns. Da war viel Platz für Sexualität, für Zärtlichkeit, für Liebe, für Leben und natürlich auch der ganze Schmerz einer Schwangerschaft. Die Schwierigkeit beim Wasser holen, die Schwierigkeit auszuprobieren, was darf ich essen? Vielleicht gehört, wie bei vielen Frauen der damaligen Zeit und auch der heutigen Zeit, bei Maria dazu, dass sie Früh- und Fehlgeburten gehabt hat. Nicht alle Kinder werden überlebt haben, da wird sie keine Ausnahme sein unter den vielen Frauen der damaligen Zeit.

Wie hat sie das verarbeitet? Wie hat sie das verkraftet? Wird sie auch an diese Kinder gedacht haben? Und dann die Geburt – nicht nur die eine in Bethlehem mit all dem, was da schon schwierig genug war, sondern mit all den Schmerzen, mit all dem, was dazugehört. Und dann zum ersten Mal dieses Bündel Leben in den Händen halten, die kleinen Hände und die kleinen Füße, und staunen: Das war neun Monate in mir. Das haben Josef und ich miteinander ins Leben gebracht. Zu staunen, wie kostbar und wie schön das Leben ist.

Und Pius XII. sagt: All das ist jetzt auch im Himmel. All das, was das Leben hervorbringt, all das, was das Leben schön macht, all das, was uns begehrenswert und liebenswert macht, all das, was Zeugnis des Lebens ist, all die Berührungen, die Maria genossen hat, und all die Berührungen, die sie gegeben hat, all das Leben, all die Fülle des Lebens ist hineingenommen in den Himmel, weil Gott sagt: Wie gut ist es, dass ihr zärtlich sein könnt.

Wie gut ist es, dass ihr nicht nur miteinander reden könnt, sondern dass ihr noch ganz andere Sprachmöglichkeiten habt? Wie gut ist es dass ihr wisst, wie man zärtlich ist. Dass ihr darum wisst, wie man begehrt und begehrt wird. Dass ihr darum wisst, wie schön die Fülle des Lebens ist. All das, bei Gott, im Himmel.

Hineingenommen in die Fülle des Himmels, ist auch der Teil des Lebens, der runzelig und alt geworden ist. Auch der Teil des Himmels, auch der Teil des Lebens, da Maria gespürt hat, es geht nicht mehr so wie früher. Als sie gespürt hat, die Männer schauen mich nicht mehr so begehrlich an. Als sie gesehen hat, ich bin alt geworden, ich bin faltig geworden. Auch der Teil, dass sie Josef vermisst hat. Ob sie Witwe geworden ist? Das wissen wir nicht.

Aber wenn Jesus sagt, Frau, siehe dein Sohn, und zu Johannes, siehe deine Mutter, dann muss auch die Einsamkeit und das Alleinsein zu Maria dazugehört haben. Der Abschied, der Schmerz, das Wissen, alles hat sich verändert. Und wie das Sterben von Maria gewesen ist, das wissen wir nicht. Aber wir alle kennen das Sterben. Wir alle haben Menschen schon erlebt beim Sterben und wir wissen, das wird bei Maria nicht anders gewesen sein. Wir wissen nicht, ob sie leicht oder schwer gestorben ist, ob Johannes wirklich da gewesen ist und ihr die Hand gehalten hat, oder ob sie völlig allein irgendwo gestorben ist. Aber auch das Alter, auch die Beschwernis des Alters, auch die Angst vor dem Sterben und die Angst vor dem Tod, die Sehnsucht, dass da jemand ist. All das ist hineingenommen in den Himmel. Auch das gehört zu Maria dazu. Auch das sagt das Dogma der Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel. All das hat Platz im Himmel. All das gehört zu uns und gehört zu Maria.

Was für ein kostbares Fest, dass Gott sagt: Ich möchte diese Frau mit Leib und Seele, mit all dem, was dazu gehört, bei mir im Himmel haben. Und was sagt uns dieses Fest für uns als Kirche? Wie wichtig ist es, dass die Sexualität himmlisch ist? Wie wichtig ist es, dass Frau und Mann ebenbildlich sind? Wie wichtig ist es, dass der Schmerz und das Leid und das Sterben und der Abschied und das Loslassen hineingenommen ist in das große Ja Gottes. Wie wichtig ist es, dass der Himmel sagt: Zu all dem sage ich Ja. Und nichts von dem möchte ich vermissen in der Ewigkeit.

Bisher können wir noch daran arbeiten und darum ringen, dass die Erkenntnis des Himmels auf der Erde sich durchsetzt. Es gibt nichts Schöneres als das Menschsein. Es gibt nichts Schwereres als das Menschsein. Es gibt nichts Besseres, als geliebt zu sein. Und es bleibt bis zum letzten Atemzug unsere Aufgabe, das Miteinander hinzubekommen, zu lieben, geliebt zu werden, zu berühren und zu trösten, loszulassen und dann ganz und gar im Himmel anzukommen.

Amen.