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Predigt Pfarrer Dr. Givens am 19.01.2025:„Oh Herr, sie haben keinen Wein mehr!“

Sie haben keinen Wein mehr!
Manchmal braucht es ganz lang, bis jemand akzeptieren kann zu sagen und zu zeigen: „Ich hab keinen Wein mehr, ich kann nicht mehr.“
Datum:
19. Jan. 2025
Von:
Pfr. Dr. Ronald A. Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn.

Da hat sich Jesus auf den Weg gemacht, von Nazareth hinüber in dieses Dorf nach Kana. Auch die Jünger haben sich auf den Weg gemacht vom See in Galiläa hinauf in dieses Dorf, nach Kana, um eine Hochzeit zu feiern, einen schönen Tag, eine schöne Nacht, Freude miteinander zu erleben. Und dann geht der Wein aus.

Das ist unsere Situation kurz vor der Bundestagswahl: Der Wein ist uns ausgegangen. „Oh Herr, sie haben keinen Wein mehr!“ Gut, dass Maria das bemerkt, und gut, dass sie den Mut hat, das auch ins Wort zu bringen, das anzusprechen: „So können wir nicht mehr weiterfeiern. So können wir nicht weitermachen. So kann es nicht mehr weitergehen, der Wein geht zu Ende, es braucht eine Lösung.“

Da gehört Mut dazu. Sie können ja mal in den nächsten Wochen hinhören, wer von den Politikerinnen und Politikern den Mut hat, uns zu sagen: „Wir haben keinen Wein mehr. Wir können so nicht mehr weitermachen, so nicht mehr weiterleben.“

Es sagt viel über uns aus, dass man uns das scheinbar nicht zumuten kann: „Es gibt keinen Wein mehr. Es muss sich etwas ändern. Es kann nicht so weitergehen, wie es weitergegangen ist.“ Natürlich könnte man sagen: „Damit wir weiterfeiern können, müssen die, die aus Nazareth gekommen sind, oder die, die vom See heraufgekommen sind, gehen. Wir feiern nur mit denen, die in Kana sind!“ Das würde vielleicht das Fest ein wenig verlängern. Dann müssen halt die, die von auswärts sind, gehen.

„Was er euch sagt, das tut.“ Es ist gut, Menschen zu haben, die spüren, dass jemand sagt: „Ich habe keinen Wein mehr, ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr so weiterarbeiten, wie ich es bisher getan habe.“ Es tut gut, wenn einer oder eine in einer Beziehung den Mut hat zu sagen: „Du uns geht der Wein aus. So können wir nicht mehr weitermachen. Da muss sich etwas verändern. Wir sind an unsere Grenzen gekommen.“

Es tut gut, wenn da jemand dieses Gespür hat, wie Maria zu sehen: Da hat sich etwas grundlegend verändert, ich muss das ins Wort bringen, behutsam ansprechen. Ich habe keinen Wein mehr, ich kann nicht mehr.

Oder den Partner, die Partnerin, den Freunden, Arbeitskollegen, den Nachbarn zu sagen: „Ich glaube, du kannst nicht mehr, der Wein geht aus.“

Im Hospiz lag eine Frau, jeden Tag bekleidet, als würde sie gleich aus dem Haus gehen: Mit Schmuck, die Haare frisiert, die Kleider ganz sauber. Der Tod durfte nicht sein.

Eines Tages lag auf dem Nachttisch der ganze Schmuck. Die Haare waren zum ersten Mal nicht frisiert. Da saß sie wie immer in ihrem Sessel, aber ganz anders. Da habe ich sie gefragt: „Warum haben Sie heute den Schmuck nicht angezogen? Was hat sich verändert?“ „Ich habe verstanden, dass mein Leben zu Ende geht. Ich kann nicht mehr.“

 Manchmal braucht es ganz lang, bis jemand akzeptieren kann zu sagen und zu zeigen: „Ich hab keinen Wein mehr, ich kann nicht mehr.“ Wie gut ist es dann, wenn man einen Partner oder eine Partnerin hat, die sagt: „Was er euch sagt, das tut, was dir dein Herz sagt, das mach.“ Nichts beschönigen, nicht drum herumreden, sondern dem anderen zuzusprechen. „Wir werden gemeinsam einen Weg aus dieser Krise herausfinden. Wenn dein Herz dir einen Rat gibt, dann mach das. Dann hab den Mut, das umzusetzen.“

Und das ist ja eine Zumutung, das, was Jesus tut, denn er lässt Wasser schöpfen. Er traut der ganzen Festgemeinde, die da versammelt ist, eine Entscheidung zu:

Gehen wir nach Hause und das Fest ist vorbei? Schicken wir einen Teil von denen, die als Freunde eingeladen waren, nach Hause, damit es für die, die aus Kana sind, reicht? Oder können wir einfach mit Wasser weiterfeiern?

Denn das ist ja erstmal das, was Jesus zeigt: Er lässt Wasser füllen. Kann man auch mit Wasser weiterfeiern? Kann man auch mit weniger weiterfeiern? Was ist wichtiger? Der Wein oder das Zusammensein?

Was ist wichtiger in einer Ehe? Dass man sich bestärkt, „Wir schaffen das!“, auch wenn sich etwas verändert hat, auch wenn etwas bescheidener wird? Was ist wichtiger? Einen Menschen im Alltag treu zu begleiten und zu sagen: „Dann gibt es halt kein Fest. Aber ich bin da, du kannst dich auf mich verlassen, auf mich, auch wenn du dement geworden bist. Ich bin da, auch wenn deine Psyche im Moment ganz am Ende ist. Ich bin da, auch wenn dein Körper am Ende ist! Wir kommen mit dem Wasser durchs Leben. Es war gut, dass wir Wein erlebt habe. Es war gut, dass wir gefeiert haben. Aber viel wichtiger ist doch, dass wir uns haben. Dass wir miteinander durch diese Zeit kommen!“

Das ist das, was Jesus und Maria zunächst einmal sich gegenseitig und auch der Gemeinde zumuten: Da wird Wasser geschöpft. Wie viele von Ihnen müssen Wasser schöpfen, jeden Morgen, jeden Tag, immer und immer wieder, weil der Alltag alltäglich ist. Weil es halt eben nicht immer diesen Sonntag gibt, weil es nicht immer das Fest gibt.

Aber Kinder werden groß und werden stark, weil es die Beständigkeit im Alltag gibt. Eine Liebe wird zu einem Fest, weil es nicht nur die Hochzeit gibt, sondern morgens den Frühstückstisch und abends das Abendessen, und manchmal auch die ganz langweilig geteilte Zeit.

Und mitten in einer Pflegezeit, mitten in einer Demenz staunt man auf einmal, was der, von dem man gedacht hat, dass sie ganz weit weg ist, auf einmal für eine lustige Weisheiten von sich gibt, die man niemals vergessen wird.

Werden sie jemals die Küsse von Ihren Kindern vergessen, die Ihnen geschenkt worden sind, als die begeistert nach Hause gekommen sind, und all der Alltag und all das Wasser vergessen waren, weil es diesen einen Kuss der Fülle und des Festes gibt. Das können wir nicht erzwingen, das können wir nicht einfach machen.

Es ist das freie Geschenk Gottes, dass das Wunder geschieht. Aber, wer nicht das Wasser des Alltages schöpft und füllt, wer nicht darauf vertraut, dass man das Miteinander schafft, diesen Alltag, der wird den Sonntag, der wird das Fest, der wird das Weinwunder niemals erleben. Denn das ist Geschenk, und das ereignet sich an ganz unterschiedlichen Stellen: Im Kinderzimmer, im Hospiz, beim Mittagessen, in der Kirche, m Arbeitsplatz, an der Kaffeemaschine. Das kann man nicht machen, und es braucht die Treue des Alltages, damit es das Wunder von Kana gibt.

Sie haben keinen Wein mehr. Selig die Familie, die das aushält, ins Wort zu bringen. Selig das Land, welches Politiker hat, die das beim Namen nennen. Selig eine Kirche, die sich das eingestehen kann: Wir haben keinen Wein mehr. Selig, die dann sagen: Wir schaffen das, auch mit Wasser. Wir kommen durch diese Krise durch, mit Wasser, gemeinsam, und wir hoffen und glauben daran, dass das Wunder sich einstellen wird – dann, wenn der Alltag durchbrochen wird vom Wunder des Sonntags.

Amen.