Predigt Pfarrer Dr. Givens am 24.12.2024:Rettungsgasse sein.
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn.
Manch einer, manch eine von Ihnen hat es hinten auf seinem Fahrzeug. Und wenn nicht haben Sie das ganz sicher alle schon gesehen, wenn Sie auf der Autobahn unter einer Brücke durchfahren - da hängt ein großes Plakat, und auf dem steht ganz deutlich: Bei Stau, alle nach links oder nach rechts. Rettungsgasse bilden. Wir haben gelernt, dass eine Rettungsgasse notwendig ist - und man schüttelt nur den Kopf, wenn man hört, dass es dann immer wieder welche gibt, die sich hinter die Rettungsfahrzeuge klemmen und die Rettungsgasse ausnutzen, um schneller an denen vorbeizukommen, die im Stau stehen.
In Magdeburg hat einer die Rettungsgasse pervertiert. Es braucht die Rettungsgasse, damit Sanitäter, Krankenwagen, Ärzte oder Polizei im Ernstfall schnell zu denen kommen, die Hilfe brauchen, oder damit durch die Rettungsgasse ein Weggehen, eine Flucht möglich ist. In Magdeburg hat einer die Rettungsgasse, die es unbedingt braucht, genutzt, um Menschen das Leben zu nehmen.
Jetzt wird gefragt: Was machen wir, wie bekommen wir in Zukunft Veranstaltungen, wie bekommen wir Weihnachtsmärkte, wie Versammlungen sicher? Und wir alle wissen: Es geht nicht ohne Rettungsgasse. Man kann sie nicht abschaffen, man kann sie nicht verbarrikadieren, und man kann sie auch nicht verschließen. Es braucht die Rettungsgasse.
Und darum wird Gott an diesem Abend in Bethlehem Mensch. Er baut eine Rettungsgasse. Er wird ein verwundbarer Mensch wie wir. Und sein Weg, seine Rettungsgasse, wird ihn vom Betlehem über den See von Galiläa bis hinauf nach Jerusalem ans Kreuz führen. Er wird eine Rettungsgasse bauen und uns zeigen: Ja, es muss tatsächlich etwas im Konzept verändert werden bei uns Menschen. Es braucht eine Rettungsgasse an Worten, die anders sind als die Worte, die Angst machen; als die Worte, die in die Flucht treiben; als die Worte, die verletzen; als die Worte, die niedrig und klein machen. Es braucht Worte, die wie eine Rettungsgasse zum Herzen der Menschen hinführen und sie aufatmen und Hoffnung schöpfen lassen.
Genau das hatten wir doch gehofft in diesen Tagen: Dass bei alldem, was es an Veränderungen in unserem Land braucht, bei all dem, was im Wahlkampf wieder auf uns einströmen wird und bei all dem, was wir an Krisen und Katastrophen in diesem Jahr erlebt haben, wenigstens diese paar Tage an Weihnachten anders sind. Dass Sie ruhig sind, Frieden bringen, uns aufatmen lassen. Dass wir nicht schon wieder über das reden müssen, was sich ändern muss.
Und darum macht Gott uns vor, wie das gehen könnte, eine Rettungsgasse zu bilden und tatsächlich etwas zu verändern. Er wird Mensch in Bethlehem, ein verletzbarer Mensch, und er wird nicht nur Worte, sondern auch Taten bringen - Taten, die Menschen aufrichten, Taten, die Menschen Zukunft geben.
Denn was wäre denn die Alternative? Dass wir die Rettungsgasse verschließen, für alle? Dass wir die Rettungsgassen verbarrikadieren und uns abschotten? Dass wir zu allem und jedem „Nein!“ sagen? Wäre das die Alternative für Deutschland und für Europa?
Gott baut in Betlehem eine Rettungsgasse. Und er, der Mensch gewordene Gott, weiß, dass es zu allen Zeiten Menschen geben wird, die die Rettungsgasse pervertieren - mit ihren Worten, mit Ihren Taten. Er weiß, dass die Rettungsgasse, die er als Mensch gewordener Gott gebaut hat, auch von seiner Kirche, von denen, die ihm nachfolgen, immer und immer wieder pervertiert worden ist.
Dieser Abend, diese Weihnacht fragen uns: Wollt ihr ohne Rettungsgasse leben? Wollt ihr eine Gesellschaft, eine Kirche ohne Rettungsgasse haben? Ohne Worte, ohne Taten, die den Menschen erreichen, ohne Wege, die offen stehen für die, die in Not sind? Jesus wird ein Mensch wie wir. Und er lebt uns vor, dass es möglich ist, mit seinem eigenen Menschsein zur Rettungsgasse zu werden.
Der Heilige Abend, die Weihnacht ist große Einladung an jede und jeden von uns: Für die Menschen, die uns anvertraut sind, mit denen wir zusammenarbeiten, für die wir Verantwortung tragen, zu einer Rettungsgasse zu werden, und uns nicht entmutigen zu lassen wenn wir belächelt oder missbraucht werden, wenn wir dabei verletzt werden.
Jesus hatte auch für sich keine Alternative. Als das Kind von Bethlehem ans Kreuz geschlagen wird, da hält er die Rettungsgasse offen. Zum Himmel und zur Erde. Er lässt sich nicht verbarrikadieren. Er lässt nicht ab davon, wovon er überzeugt ist: Eine jede und ein jeder von uns kann zur Rettungsgasse für andere Menschen werden.
Amen.