Predigt Pfarrer Dr. Givens am 27.7.2025:Vater Unser im Himmel

Unser tägliches Brot gib uns heute
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, ein Brief und ein Interview haben mich in der vergangenen Woche sehr beschäftigt. Das Interview wurde mit dem Patriarchen von Jerusalem geführt. Es ist Pierre Battista Pizzaballa, ein Italiener, der in den Franziskanerorden eingetreten ist und der seit 1990 von seinem Orden ins Heilige Land nach Israel und Palästina gesandt worden ist und dort im Kloster in Jerusalem und in Bethlehem zu Hause ist. Er spricht neben Italienisch fließend Englisch, Französisch und Spanisch und er hat sich im Heiligen Land auch ein tiefes Verständnis für Hebräisch Iwrit, die Sprache der Israelis, und Arabisch, die Sprache der Palästinenser, erworben. All diese Sprachen hat er als Franziskaner immer und immer wieder eingesetzt, um mit den Menschen im Gespräch zu sein, gleichermaßen ansprechbar zu sein für Israelis und Araber, für Juden und für Christen, für Palästinenser und für all die, die dort im sogenannten Heiligen Land zusammenleben.
Papst Franziskus hat ihn zum Patriarchen von Jerusalem gemacht und ein Jahr später dann zum Kardinal. Als am 7. Oktober die Hamas Israel überfallen hat und zahlreiche Geiseln genommen hat, hat sich noch am selben Tag Kardinal Pizaballa angeboten, dass er selbst als Geisel bei den Hamas genommen wird, um Geiseln, israelische, freizubekommen. Immer wieder hat er dieses Angebot auch erneuert. Ich gehe in die Geiselhaft, wenn ihr dafür Geiseln freilasst. Und in diesem Interview, das Wolfgang Sievers im ZDF mit dem Kardinal geführt hat, da ging es darum, dass vor ein paar Tagen die einzig verbliebene katholische Pfarrei im Gazastreifen von Israelis unter Beschuss genommen worden ist und dabei sind 3 Menschen getötet worden. Und der Patriarch ist sofort im Anschluss daran in diese Pfarrei gereist und hat dort ein paar Tage zusammen mit den Menschen gelebt, die dort in der Pfarrei Schutz gesucht haben. Mehr als 500 Menschen leben auf engstem Raum und in diesem Interview erzählt er, erzählt, dass nur noch zweimal in der Woche für über 1000 Menschen dort gekocht werden kann. Dass ist das, was es gibt, bei weitem nicht ausreicht, um die Menschen satt zu machen. Und dann berichtet er von etwas, das ihn am tiefsten erschüttert hat. Die Menschen, die Verletzten, die Kranken, sie brauchen dringend Bluttransfusionen. Es gibt genug, die auch in dieser Situation im Gazastreifen bereit sind, ihr Blut zu spenden, ihr eigenes Blut, ihr eigenes Leben zu geben, damit andere Verletzte, Kranke überleben können. Aber sie können nicht spenden, weil sie zu verhungert sind. Man kann ihnen kein Blut mehr abzapfen, weil da nichts mehr ist, was sie noch geben könnten. Es fehlt an Blutkonserven, weil die, die bereit sind zu geben, viel zu sehr Hunger haben. Und in diesem Interview wird Pizzaballa auch gefragt, wie er das alles aushält.
Wie er die Tage dort im Gazastreifen, diese Ohnmacht, die er erfahren hat, diese Hilflosigkeit, wie er das aushält. Und da sagt er zum einen, ich lasse nichts unversucht, damit der Krieg zu Ende kommt. Ich gebe alles, was wir als Patriarch besitzen, um den Menschen dort zu helfen und in meiner Ohnmacht gehe ich ins Gebet. Denn eines habe ich von Anfang an im sogenannten Heiligen Land gelernt: Das alles sind die Kinder des ein und desselben Gottes. Und jetzt schauen Sie sich heute Morgen um, schauen Sie hinüber auf die andere Seite, schauen Sie nach links und rechts und drehen Sie ruhig auch den Kopf um, schauen Sie nach hinten. Wir alle haben denselben Vater und dieselbe Mutter. Wir alle sind die Kinder des einen Gottes und die Muslime und die Orthodoxen und die Evangelischen und die, die nichts glauben, das sind nicht irgendwelche buckeligen Verwandten oder Halbgeschwister, das sind unsere Schwestern und Brüder. Es gibt nur diesen einen himmlischen Vater, diese eine himmlische Mutter, und es gibt kein Kind, das er weniger lieb hat, kein Kind, um das er sich weniger Sorgen macht und allen, die mit ihren Kindern da sind oder mit den Enkeln da sind und allen, die Kinder oder Nichten und Neffen haben, denen muss ich das nicht erklären. Ein Vater und eine Mutter, die leiden, wenn die Kinder leiden, wenn nicht mehr genug Blut in den Venen ist für das Leben. Und darum beginnt das wichtigste Gebet, das kostbarste Gebet, das Gebet, das Jesus uns schenkt, mit dem Wort: Vater, damit wir nie vergessen, mir gegenüber sitzt ein Kind Gottes, nicht weniger und nicht mehr als ich. Wenn ich draußen auf der Straße bin, mir begegnet eine Tochter, ein Sohn Gottes, ob voll verschleiert oder im Minirock. Ob im Anzug oder mit der kurzen Hose, ob jung oder alt, es ist immer ein Kind Gottes.
Und darum beginnt unser Gebet mit Vater Unser. Wer das einmal verstanden hat, der versteht auch, warum Kardinal Pizzaballa sagt, Krieg muss ein Ende haben. Denn selbst wenn die Hamas mindestens so schlimm ist, wie es in Sodom und Gomorra gewesen ist, es leben dort im Gazastreifen ganz sicher mehr als 10 Gerechte. Und wenn es nur die Kinder wären, die Zuflucht gefunden haben in der katholischen Pfarrei. Das sind unschuldige Kinder, die sind gerecht. Das rechtfertigt nicht eine Bestrafung. Darum ringt Abraham mit Gott, weil er sagt: 'Und wenn dort nur 10 Gerechte sind, dann musst du um der 10 Gerechten willen deine ganze Macht einsetzen.' um das Leben zu schützen. Denn an eines glaubt ja Abraham, und das hoffe ich, dass wir das alle auch glauben. Wenn es nur einen in unserer Familie gibt, wenn es nur eine in unserer Familie gibt, die sich bemüht gerecht zu sein, dann strahlt das in die ganze Familie hinein. Wenn es nur einen oder eine gibt in unserer Pfarrei, die sich bemüht gerecht zu sein, dann lebt davon die ganze Pfarrei. Wenn eine Gesellschaft nur 10 Gerechte hat, dann möge es noch so viele von denen geben, die leben und hausen wie Sodom und Gomorrha. Das wird am Ende siegen, das Gute, das Heilige, das Gerechte, weil es ein Teil Gottes ist. Und wer Vater Unser sagt, der sagt immer auch: 'Ich glaube daran, dass das, was ich vom himmlischen Vater bekommen habe, dass das ausstrahlt hinein.
Und wer Macht hat, egal wo und egal wie, der muss um der Unschuldigen willen, um derer, die sich um Gerechtigkeit willen mühen, seine Macht im Leben einsetzen. Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung mehr dafür, die Menschen im Gazastreifen auszuhungern und zu bombardieren. Die Macht ist dazu da, die zu schützen, die unschuldig sind. Die Macht muss andere Wege finden, um die Ungerechten zu bestrafen. Der Brief, der mich beschäftigt hat, kam von einem, wo ich zuerst, als ich die Nachrichten gehört habe, gedacht habe: Was interessiert mich das, dass da irgend so ein Reicher in seiner Villa vom Krankenwagen abgeholt worden ist, weil da irgendetwas passiert ist? Was interessiert mich, dass einer, der eine Villa hat, einen Krankenwagen vor der Tür hat, das erlebe ich ganz oft bei allen und immer wieder. Dann aber, ein paar Tage später, da schreibt der, für den der Krankenwagen gefahren ist, an seine ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Brief. Und er schreibt ihnen: "Ich wollte mir das Leben nehmen." Seit einem Jahr habe ich die Leitung von Trigema, der Fabrik, aufgegeben und ich bin damit nicht klargekommen, dass ich auf einmal keine Bedeutung mehr habe. Ich bin damit nicht klargekommen, dass niemand mehr anruft, dass niemand mehr nach mir fragt, dass ich völlig unwichtig bin. Ich habe keinen Sinn mehr in meinem Leben gesehen.
Im Vaterunser beten wir, Gib uns täglich das Brot, das wir heute brauchen. Ein kleines Baby, ihr, als ihr geboren worden seid, nach der Geburt, ihr habt erst einmal Muttermilch gebraucht, nichts Festes. Und irgendwann fängt ein Kind an, Festes zu essen. Wir werden größer und die Nahrung verändert sich. Als Jugendlicher ist man wahrscheinlich irgendwann mal ganz stolz, was man alles verdrücken kann. Und vielleicht habt ihr den ersten Hamburger nie vergessen. Wenn man dann so alt ist wie wir, dann achtet man schon wieder etwas mehr darauf, was man so isst und wie das sich im Magen und im Darm verhält. Kranke brauchen ganz sicher etwas anderes. Wem die Ehe auseinander gegangen ist, der verliert erst einmal den Geschmack am Essen, am miteinander zu Tisch sitzen. Da braucht es ganz lang, bis man wieder Spaß hat am Essen. Und wenn es ans Sterben geht, dann brauchen wir keine feste Nahrung mehr. Dann brauchen wir ein bisschen Wattestäbchen auf den Lippen. Dann stellen wir um auf die Nahrung des Himmels. Wir wissen ganz gut, was wir brauchen zum Essen. Und wenn jemand zuckerkrank ist, weiß er ganz genau, weiß sie ganz genau, was gegessen werden darf und was nicht. Und wir stellen uns, je nachdem, wie die Situation ist, darauf ein. Aber wir alle wissen auch, was nützt die beste Muttermilch. Was nützt das tollste Abendessen?
Was nützt, genau überlegt, wieviel Kalorien und welche Vitamine, wenn da kein gutes Wort ist? Wenn da nicht ein Lächeln ist, wenn da nicht eine Berührung ist, was nützt das alles, wenn wir dasitzen, und niemand kümmert es, ob ich jetzt esse oder nicht esse? Niemand fragt danach. Wenn wir beten und gib uns täglich das Brot, das wir brauchen, dann beten wir auch darum, dass wir satt werden an der Seele. Es ist erschreckend, im Nachgang von diesem Brief, den der Unternehmer an seine Angestellten geschrieben hat, zu lesen, wie viele Menschen an Altersdepression leiden, weil sie nicht mehr satt werden in ihrer Seele. Wie viele Jugendliche an Depression leiden, weil sie nicht satt werden in ihrer Umgebung. Und gib uns täglich das Brot, das wir brauchen.
Der Gottesdienst hat seine eigene Struktur. Nachdem wir das Vaterunser gebetet haben, kommt direkt der Friedensgruß. Um uns daran zu erinnern, das erste Wort, dass ihr gerade eben gebetet habt, Vater unser, das muss ich jetzt bewahrheiten, wenn er euch den Friedensgruß gibt. Das ist deine Schwester, das ist dein Bruder, mit dem du gerade hier zusammen bist. Der Friede sei mit dir. Darum kommt direkt nach dem Vaterunser der Friedensgruß, um das Leben praktisch zu machen. Und nach dem Friedensgruß wird direkt das Brot gebrochen, der Leib Christi. Achte auf dich, damit du an Leib und Seele satt wirst. Und dieses Brot wird gebrochen, um allen zu sagen, die andere Hälfte von dem Brot ist für den oder diejenige bestimmt, die darauf wartet, dass du sie oder ihn satt machst. Wir sind die beste Butter auf dem Brot. Wir sind das, was wirklich satt macht und darum wird direkt nach dem Friedensgruß das Brot gebrochen. Herr, hilf mir, damit ich erkenne, was für mich das tägliche Brot ist, was ich brauche, und hilf mir, damit ich erkenne, was der oder die an meiner Seite, in meiner Nachbarschaft, was mein Nächster braucht, um täglich satt zu werden. Amen.