Predigt Pfarrer Dr. Givens am 09.02.2025:Wie wird man Menschenfischer?

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn.
Was für ein hässlicher Platz. Ein hässlicher Platz, mitten im Dorf, einfach nur zubetoniert. Kein Baum, kein Strauch, der kalte Wind fegt schutzlos über diesen Schandfleck mitten im Dorf. Keiner will sich dort lange aufhalten. Eigentlich wäre es der ideale Platz zum Bolzen, zum Fußballspielen, aber Kinder und Jugendliche gibts im Dorf schon lange nicht mehr. Sie sind fortgezogen, nur noch die Alten sind da, und die, die in der Neubausiedlung draußen wohnen, verirren sich kaum noch ins Dorf hinein.
Was für ein hässlicher Platz. Im Roman „Im Schnee“ von Tommie Goerz erinnert sich Max, der jetzt über diesen Platz geht, daran, wie es zu diesem Platz gekommen ist: Eigentlich stand dort ein stattlicher Bauernhof, ein wunderschönes Bauernhaus, mit Scheunen und allem Drum und Dran. Aber nachdem die Bauern starben, die Jungen den Hof nicht übernehmen wollten und sich die Erben nicht einigen konnten, verfiel und verkam der Hof immer mehr, inmitten der Stadt, ein leerstehendes, großes, wunderschönes Bauernhaus, in dem niemand wohnte.
Eines Abends saß Max mit den anderen beim Stammtisch, und da kam einer herein und sagte: „Flüchtlinge sollen kommen, die sollen im Hof untergebracht werden, mitten in unserem Dorf. Irgendwo aus Ghana oder aus Afrika, und die sollen nächste Woche schon kommen. Das Landratsamt hat es beschlossen.“
Da ist man sich am Stammtisch einig: ‚Da muss man was machen, da muss man handeln, da kann man nicht warten.‘ Nachdem sie vom Stammtisch heimgegangen sind, kommen mitten in der Nacht die großen Traktoren. Einer nach dem anderen kommt aus der Dunkelheit, das Licht ausgeschaltet, und spannen große Stahlseile um die Mauern des alten Hofs. Dann hört man die Traktoren aufheulen, ein Rucken, und am Ende ist vom Hof nichts mehr übrig. Die Mauern sind eingefallen, nur noch ein großer Haufen Schutt mitten im Dorf ist geblieben.
Am nächsten Tag kommt die Polizei. Keiner hat was gesehen oder gehört, niemand weiß, woher die Traktoren gekommen sind. Man sieht nur: Der Hof ist nicht mehr da, die Mauern eingerissen, und ein paar Tage später kommen große Maschinen, schieben alles beiseite und der Platz wird einbetoniert. Nichts bleibt übrig.
Max erinnert sich, wie das gewesen ist, damals in der Nacht. Und wieder 14 Tage später, wieder beim Stammtisch, da kommt einer und sagt: „Es war alles nur ein Gerücht. Es gibt keine Flüchtlinge, die kommen sollten. Das Landratsamt hat gar nichts beschlossen.“ Da schauen sie hinaus auf den Platz, auf den Schandfleck, mitten im Dorf. Auf die Leere, auf das, was übriggeblieben ist, in der Mitte ihres Dorfes.
Der Max geht zum Schorsch, zur Totenwacht, und die Meischert, die Frau vom Schorsch, fragt Max: „Hast du gehört? Im Pfarrhaus, das schon lange leer steht, sollen Flüchtlinge untergebracht werden. Was meinst du dazu?“
Max schweigt, und nach einer Weile sagt er: „Das ist gut so. Der Pfarrer hat versprochen, dass da eine Gruppe ist, die sich um die Flüchtlinge kümmert - dann mag‘s recht sein… Wir sind zu alt. Wir haben es nicht geschafft. Vielleicht gibt es dann wieder Kinder mitten im Dorf, nicht nur am Rand.“
Wie wird man ein Menschenfischer?
Jesus geht nach Galiläa, dort, wo in den Augen der Judäer und der guten Juden, dort wo in den Augen von Jerusalem das Pack wohnt: Die, die im Finsteren leben, nicht richtig fromm, die zugezogen und irgendwie anders sind.
Dort geht Jesus hin, und er sucht sich ausgerechnet den Petrus, dieses Großmaul, der alles besser weiß. Der großmündig verspricht, was er alles macht und was er alles kann, und als es darauf ankommt der Erste ist, der davonläuft. Der nicht mal eine Nacht im Gebet aushalten kann und den Freund im Stich lässt.
Wie wird man ein Menschenfischer?
Jesus nimmt sich diesen Galiläer, diesen Petrus, und Andreas und Jakobus und wie sie noch alle heißen, diese nicht-schriftgelehrten Galiläer dort unten am See, und er nimmt sich 3 Jahre lang Zeit. 3 Jahre lang, um zu erklären, wie er Menschen fischt. Er lebt ihnen vor, wie man Menschen berührt, wie man mit Menschen spricht, wo man schweigt und wo es wichtig ist, den Mund aufzumachen. Er betet mit ihnen und er isst mit ihnen, und 3 Jahre lang lebt er ihnen so vor, was es bedeutet und was es heißen könnte, Menschenfischer zu sein, bis er loslassen kann. Bis er sagen kann: „Jetzt geht hinaus in alle Welt! Ihr habt alles gesehen, ihr habt alles gelernt, was ihr braucht. Jetzt ist es gut.“
Jesus nimmt sich Zeit. Mit Fremden umzugehen, braucht Zeit. Mit Menschen, die anders sind, zusammenzuleben, braucht Zeit. Das geht nicht von heute auf Morgen und auch nicht schwarz auf weiß. Das geht nur, indem ich meine Werte zeige und vorlebe. Das geht nur, indem ich mich einlasse und indem ich einfordere, dass der andere sich einlässt. Das geht nur, indem wir miteinander diesen Weg gehen.
Max hat erlebt, wie schnell das geht: Dass da eine Leere entsteht, weil man mit schnellen und billigen Lösungen Fakten schaffen möchte. Und am Ende hat das Dorf einen Schandfleck und eine große Leere.
Es braucht Zeit, mit anderen einen Weg zu gehen, und es braucht Zeit, um zu erkennen, was im anderen steckt. Jesus sieht, was in Petrus steckt, Jesus sieht den Menschenfischer, und er nimmt sich die Zeit, die er hat und die es braucht, damit dieser Petrus am Ende der Fels werden kann, auf dem die ganze Kirche aufgebaut ist.
So wird man Menschenfischer: Indem man im anderen sucht und entdeckt, was er oder sie an Gaben und Fähigkeiten hat und den Mut hat, mit dem anderen diese Gaben und Fähigkeiten zu entwickeln - in Sprachkursen, in Ausbildungskursen, in ganz vielen praktischen Hilfen, damit ein Mensch all das, was er mitgebracht und gelernt hat, all das, was an Lebenswillen in ihm ist und zum Felsen machen kann, für diese Gesellschaft, die völlig überaltert ist, einbringen kann. Für dieses Land, das auf dem besten Weg ist, einen Schandfleck in seiner Mitte zu bilden, weil wir es nicht auffüllen können mit unseren Kräften. Weil wir dabei sind, zu betonieren mit einfachen Antworten, anstatt Raum und Integration zu schenken und den Mut zu haben zu sagen: „Ja, ich schaue mit dir, was in dir steckt, ich geb dir meine Werte weiter und wir bauen miteinander mitten in diesem Land Hoffnung auf.“
Jesus nimmt sich Zeit und lebt vor, was es bedeutet, in einem Menschen das Beste zu wecken und zu fördern. So wird Petrus zum Menschenfischer.
Und Jesus traut uns das zu, dass wir nicht in der Dunkelheit einreißen, sondern dass wir am hellen Tag vorleben und mitgehen und Miteinander uns die Chance geben, dass dieses Land Zukunft hat.
Amen.