Predigt Pfarrer Dr. Givens vom 10.11.2024:Zum Besten und Heiligsten befähigt
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn. Was für ein graues und bescheidenes Wetter. Nach so einer Woche mit all diesen grauen und eher bescheidene Nachrichten kann man eigentlich nichts Besseres tun, als ins Kino zu gehen? Das habe ich am Freitag Abend gemacht. Wann waren Sie zum letzten Mal in einem Liebesfilm?
Kann ich nur empfehlen. Im Odeon in Mannheim, da müssen sie sich allerdings beeilen, weil der kommt nur noch ein paar Tage, läuft ein wunderschöner Liebesfilm. Der heißt In Liebe, eure Hilde. Und dieser Liebesfilm erzählte von einem jungen Mädchen, die zunächst als Zahnarzthelferin anfängt, und dann in die Versicherungsanstalt des damaligen Deutschen Reiches wechselt. Und da lernt sie ihren Hans kennen. Es dauert ein bisschen, aber dann verlieben sich Hilde und Hans über beide Ohren, und sie können gar nicht genug Zeit miteinander verbringen, und die Bilder sind unglaublich schön, die man da von Berlin und Umgebung sieht. Wie die beiden mit dem Rad durch die Gegend fahren, wie sie schwimmen in den Seen rund um Berlin, wie sie ihre Liebe miteinander genießen.
Hilde ist glücklich mit ihrem Hans, bis sie eines Tages merkt: Hans führt ein Doppelleben. Nicht dass er eine andere hätte, sondern Hans und seine Freunde arbeiten an ganz unterschiedlichen Stellungen im Deutschen Reich, und einer der Freunde entwickelt die Filme, die die Soldaten von den unterschiedlichen Frontabschnitten des Krieges nach Berlin schicken und macht von diesen Bildern die Abzüge für die Soldaten und für die Wehrmacht. Und da entdeckt er auf diesen Fotografien Bilder, die er zunächst für unmöglich hält, lauter Gräueltaten. Und dann beschließen Hans und seine Freunde, von all diesen Bildern noch einen zusätzlichen Abzug zu machen. Sie wollen das dokumentieren, was da passiert, damit, wenn irgendwann einmal der Krieg zu Ende ist und die Herrschenden zur Rechenschaft gezogen werden, dass man Beweise hat. Und Hilde bittet darum, dass sie mitmachen darf. Sie hört, was verboten ist, jeden Abend das Radio ab, um Funksprüche aufzufangen von deutschen Soldaten, die in sowjetische Lager in Kriegsgefangenschaft gekommen sind, und dann schreibt sie diese Nachrichten auf, und sie schickt sie an die Angehörigen. Es war strengstens verboten, denn es wurde den Soldaten eingeredet ,,Wer in Kriegsgefangenschaft gerät, der wird gleich hingerichtet‘‘, aber diese Nachrichten beweisen, sie leben noch. Und wie viele Familien hatten durch diesen verbotenen Dienst von Hilde die Nachricht ,,Mein Sohn lebt noch!‘‘, Mein Mann lebt noch!‘‘, es gibt Hoffnung, vielleicht kommt er aus der Kriegsgefangenschaft heim.
Eines Morgens steht die Gestapo vor Hildes Wohnung. Sie und Hans werden verhaftet, getrennt, und sie kommt ins Frauengefängnis, und dort bringt Hilde ihr Kind zur Welt. Inzwischen hat sie Hans geheiratet, sie ist schwanger geworden, und im Gefängnis kommt nun dieses Baby zur Welt. Und da ist die wichtigste Person in diesem Film die Gefängniswärterin. Als Hilde uns Sie sich zum ersten Mal begegnen, da spürt man förmlich den Hass dieser Frau gegen Hilde. Und Sie setzt alles daran, dass die Geburt schief geht. Sie setzt alles daran, dass das Kind nicht zur Welt kommt, aber Hilde stärker, und der Wille, dass ihr Kind leben darf, ist stärker. Und am Ende gebiert sie das Baby und sie nennt es Hans. Und von da an verändert sich etwas in dieser Aufseherin. Denn Hilde kümmert sich nicht nur um ihr Baby, um ihren Hans, voller Liebe, sondern Hilde kümmert sich auch um die Mitgefangenen. Sie hat nicht genug zu essen, um ihrem Kind Milch zu geben, und teilt trotzdem ihr Brot mit den anderen Gefangenen. Sie bricht oft zusammen und trägt trotzdem die andere. Und die Aufseherin sieht, was Hilde für ein Mensch ist, wie Hilde lebt, was ihr wichtig ist. Und eines Tages setzt sich diese Aufseherin hin, die am Anfang nichts anderes als Hass hatte für Hilde und die nicht wollte, dass dieses Kind lebt, da setzt diese Aufseherin sich hin und schreibt ein Gnadengesuch an Adolf Hitler. Er möge doch bitte Hilde die Freiheit schenken, er möge doch Hilde ermöglichen, ihr Kind großzuziehen, weil sie so ein wundervoller Mensch sei. Das Gnadengesuch wird abgelehnt. Und Hilde wird am 8. August 1943 in Plötzensee auf dem Schafott hingerichtet. Die Aufseherin bringt den kleinen Hans zu seinen Großeltern und sorgt dafür, dass dieses Kind nicht in ein Heim kommt, sondern dass das Kind von Hilde und Hans leben kann und überleben kann.
Gestern war der 9. November. Da haben Menschen es jeden Montag miteinander geschafft, dass die Mauer gefallen ist, dass wir ein Volk geworden sind. Jeden Montag sind Menschen in Leipzig und in anderen Orten auf die Straße gegangen und haben gesagt: ,,Ich gebe dir Mut - dass wir das miteinander hinbekommen, dass dieses Unrecht ein Ende.‘‘ Wie oft erleben ich es in Trauergespräche, dass Angehörige mir sagen: ,,Mein Mann, meine Frau, hat das Beste in mir hervorgeholt.‘‘ Wie oft erlebe ich es, dass Menschen mir erzählen: ,,Durch meine Mutter, durch meinen Vater, bin ich erst der geworden, der ich bin. Was habe ich eine Liebe mitbekommen…‘‘ Der Mauerfall vor 35 Jahren zeigt, zu was wir fähig sind, wenn wir das Gute und das Beste im anderen Stärken. Wieviel Kraft in uns ist, wenn wir den anderen ermutigen und sagen: ,,Wir schaffen das gemeinsam, wir kriegen das gemeinsam hin.‘‘ Wie viele von uns können sagen ,,Erst durch die Liebe eines anderen, erst durch den Mut eines anderen, erst durch die Treue eines anderen, erst in den größten Schwierigkeiten meines Lebens bin ich Die oder der geworden, der ich eigentlich bin!‘‘? Wir Menschen sind fähig, das Beste und das Heiligste im anderen hervorzurufen.
Gestern war aber auch der 9. November. Der Tag, an dem deutlich wurde, wir Menschen sind auch fähig, das dunkelste, das gemeinste, das Verlogenste und das Hinterhältigste in uns hervorzurufen. Gestern war Reichspogromnacht. Da haben auch hier die Viernheimer die Synagoge angezündet. Da haben die Vernemer die Scheiben eingeschmissen. Da haben die Viernheimer den Hausrat der Juden auf die Straße gekippt und heimgetragen, was man noch retten konnte und sich bereichert. Der 9. November macht deutlich, dass wir zum Heiligsten, zum Schönsten und zum Besten fähig sind, wenn wir uns gegenseitig im Heiligsten, im Besten stärken. Aber er macht auch deutlich, zu welchen Abgründen wir fähig sind. Wenn man sich anschaut, wie der Wahlkampf in den vereinigten Staaten von Amerika war, wie Trump redet, wenn man sich anschaut, wie diejenigen, die noch vor ein paar Wochen miteinander unsere Ampelregierung waren, jetzt übereinander herfallen, dann wird es Zeit, dass wir uns alle daran erinnern, dass wir fähig sind, das Beste und das Heiligste im anderen hervorzurufen. Wir können Mauern zum Einstürzen bringen! Wir können dieses Land vorwärts bringen! Wir können Europa stark machen, wenn wir das Beste und das Heiligste im Anderen unterstützen und hervorbringen!
Wir alle haben die Chance, aus diesem Land etwas Gutes zu machen, wenn wir den Mut haben zu sagen: ,,Da rede ich nicht mit.‘‘ Und wenn meine Klassenkameraden so sprechen, dann gehe ich weg, und wenn mein Jahrgang so spricht, dann widerspreche ich. Und wenn am Arbeitsplatz so über andere hergezogen wird, dann mache ich nicht mit.
Darum wurde die Marienkirche gebaut, darum wurde die Apostelkirche gebaut, die Auferstehungskirche, Hildegardkirche, die Michaelskirche. All diese Kirchen wurden gebaut, damit wir uns daran erinnern: Wir sind fähig, das Beste und das Heiligste aus uns hervorzubringen, das traut uns Gott zu! Es liegt wirklich an uns, was aus diesem Land wird. Wie dieser Wahlkampf wird. Wie die Zukunft wird.
Dieses Volk hat Mauern zum Einstürzen gebracht und Regime zum Ende. Wir sind zum Besten und zum Heiligsten und zum Guten fähig. Und Jesus traut uns das zu. Stärken wir das Gute und das Heilige in unserem Nachbarn und in unserer Nachbarin, in unserer Familie, in den Kolleginnen und Kollegen.
Amen