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Tiefe Spuren in der Seele

CaritasMitarbeiterin Elvan Zengin am Trauerort für Menschen, deren Gräber ihrer Angehörigen weit weg sind.
Asyl – ein Dauerthema in der Politik. Hinter dem Wort aber stehen Menschen, die meist viel Leid erlebt haben – durch Krieg und Gewalt. Geflüchtete mit ihren oft traumatischen Erfahrungen brauchen professionelle Hilfe. In Mainz ist das Team vom Psychosozialen Zentrum (PSZ) für Flucht und Trauma der Caritas für sie da.
Datum:
11. Sept. 2025
Von:
Kirchenmagazin GuL | Anja Weiffen

Frische Blumen stehen am Gedenkstein neben der St. Ignaz-Kirche in der Mainzer Altstadt. Der Stein mit den beiden halbrunden Bänken davor ist ein Trauerort für Menschen, die die Gräber ihrer Angehörigen nicht erreichen können. Für Geflüchtete zum Beispiel. Die Gestaltung des Trauerorts wurde vor sieben Jahren vom Psychosozialen Zentrum für Flucht und Trauma (PSZ) initiiert.

Gefühle zuzulassen und zu verarbeiten, auch trauern zu können, dabei wollen die Mitarbeitenden des Mainzer PSZ Geflüchteten helfen. Es gibt verschiedene Ansätze, um Traumata aufzulösen. Mit Yoga beispielsweise machen die Mitarbeitenden der Caritas-Einrichtung gerade gute Erfahrungen. „Wir haben es erstmals für Frauen angeboten. Und es hilft“, ist Elvan Zengin überzeugt. „Eine der Teilnehmerinnen sagte zum Beispiel, dass sie erstmals nach langer Zeit gut schlafen konnte.“ Nonverbale Methoden wie Yoga seien sehr geeignet. Es gehe darum, den Körper nach Jahren wieder zu spüren. „Viele unserer Klientinnen und Klienten sind hoch angespannt“, sagt die Caritas-Mitarbeiterin.

Zengin ist Psychologin und beim Caritasverband Mainz Bereichsleiterin für das PSZ in der Mainzer Neustadt. Im Gespräch mit ihr und ihrer Kollegin Petra Mattes ist zu spüren, wie viel Sensibilität und Einfühlungsvermögen es braucht, um traumatisierte Schutzsuchende gut aufzufangen und ihr Leid zu lindern.

Beim Besuch in der Einrichtung erklärt Petra Mattes verschiedene Therapie-Methoden, mit denen im Mainzer PSZ gearbeitet wird. In ihrem Arbeitszimmer öffnet die Psychologin einen Schrank. Auf einem Bord stehen Spielzeugtiere, etwa ein Gorilla, eine Giraffe oder ein Adler. „Damit kann ein Klient, eine Klientin zum Beispiel ausdrücken, wie er oder sie sich in einer bestimmten Situation gefühlt hat“, sagt die Caritas-Mitarbeiterin. In dem Raum befindet sich auch ein Sandkasten mit kinetischem Sand, einem speziellen Material, das besonders gut formbar ist. Petra Mattes baut im Sandkasten eine Mauer. Dann stellt sie Spielzeugtiere vor und hinter den Sandhaufen. Zwischenmenschliche Beziehungen können so nachgestellt werden. Auch den Blick auf das eigene Leben mit einer sogenannten Lebenslinie nutzt Petra Mattes für die therapeutische Arbeit. Aus dem Schrank holt sie dafür ein Hanfseil. Auf dem Boden ausgelegt, können auf dieser Linie einschneidende Ereignisse in der Biografie symbolisch mit Steinen oder Spielzeugtieren dargestellt werden. Auch schöne Erlebnisse. Dafür hat Mattes kleine Blüten parat.

Das Psychosoziale Zentrum für Flucht und Trauma in Mainz existiert seit 2015, damals eingerichtet unter dem Eindruck des Syrienkriegs. „Die Einrichtung ist stark gewachsen. Wir haben einen enormen Bedarf“, sagt Elvan Zengin. Die Welt ist nicht friedlicher geworden, neue Kriege und Entwicklungen drängen Menschen zur Flucht: religiöse Minderheiten, die ihr Land verlassen müssen, Menschen, die aus extremer Armut fliehen oder aus Gebieten, die stark von der Erderwärmung betroffen sind. Immer öfter gehören auch queere Menschen zu den Klientinnen und Klienten, die in manchen Ländern diskriminiert oder verfolgt werden, erzählt Zengin. Das Team hat vor allem auch mit Menschen zu tun, die gefoltert wurden. „Foltererfahrungen hinterlassen sehr tiefe Spuren in der Seele“, betont die Psychologin. Für das Team sind das „die schweren Fälle“.

„Es braucht viel Zeit, um Vertrauen aufzubauen"

„Es braucht viel Zeit, manchmal ein halbes Jahr, um erst einmal Vertrauen aufzubauen“, berichten die beiden Caritas-Mitarbeiterinnen. Deutlich wird im Gespräch, wie viele Hürden es gibt, um überhaupt mit einer Therapie beginnen zu können. Nicht selten sind die Klienten minderjährige Schutzsuchende, die sich ohne Angehörige in Deutschland befinden. Sie kommen nicht unbedingt aus eigenem Antrieb nach Mainz ins PSZ. Meist werden sie von Ärzten, Hauptamtlichen in Flüchtlingsunterkünften oder Ehrenamtlichen an das PSZ verwiesen. Das Einzugsgebiet des PSZ für seine Trauma-Arbeit geht weit über Mainz hinaus. Für Geflüchtete sei es nicht einfach, etwa aus einem kleinen Ort in der Region, nach Mainz zu kommen. Einen Führerschein, geschweige denn ein Auto haben sie in der Regel nicht. Sie sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen oder auf Ehrenamtliche, die sie bringen und abholen.

Eine der größten Hürden sei es, überhaupt einen Therapieplatz zu bekommen. „Eine Therapie dauert im Durchschnitt zwei Jahre und mehr“, sagt Elvan Zengin. Für die jeweils rund 50-minütigen Therapiestunden braucht es Sprachmittlerinnen und Sprachmittler. Auch das erfordert zusätzlich Zeit, Geld und Organisation für das Caritas-Team. „Oft haben die Sprachmittler selbst Fluchterfahrungen“, sagt die Bereichsleiterin.

Zengin spricht auch darüber, wie die Versorgung von traumatisierten Geflüchteten in den vergangenen Jahren eingeschränkt wurde. Der Bundeszuschuss für das PSZ wurde von rund 200000 Euro auf rund 90000 Euro gekürzt und hat sich damit mehr als halbiert. Es sei zu spüren, dass der Staat weniger bereit ist, Geflüchtete zu unterstützen. Verbessert haben sich dagegen die Bedingungen durch den Umzug des PSZ innerhalb von Mainz. Das Team ist froh, dass es seit diesem Jahr mit dem Caritaszentrum St. Nikolaus unter einem Dach zusammenarbeitet. So profitiert es von Synergieeffekten innerhalb der Caritas für die psychosoziale Beratung. Trotz finanzieller Kürzungen hat das PSZ Pläne, vor allem gibt es den Wunsch, den Yoga-Kurs für Frauen weiterführen zu können. Und Yoga für Männer anzubieten. Schließlich sei Trauma-Arbeit mit Geflüchteten Friedensarbeit, findet Elvan Zengin. Für den inneren Frieden der Schutzsuchenden. Genauso wie für ein besseres gesellschaftliches Miteinander.

Psychosoziales Zentrum

Im Psychosozialen Zentrum (PSZ) für Flucht und Trauma in Mainz in der Trägerschaft des Caritasverbands arbeiten elf Mitarbeitende mit rund sieben Stellen, darunter Psychologinnen, Sozialpädagoginnen, Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen und ein Kinder- und Jugendlichentherapeut. 2024 betreute das Team 105 Klienten, davon 57 Neuaufnahmen. Das PSZ Mainz ist zuständig für: Mainz, Worms, Landkreise Mainz-Bingen, Alzey-Worms, Bad Kreuznach und Teile des Rhein-Hunsrück-Kreises und die Rheinschiene bis Boppard.