„Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“
aus: PASCAL MERCIER, Nachtzug nach Lissabon, btb Verlag,
(c) Carl Hanser Verlag München Wien 5. Aufl. in 2006, S. 198.
Jesus betet selbstverständlich. Und doch kreisen zahlreiche seiner Worte um das rechte Gebetsverständnis, das alles andere als selbstverständlich ist:
„Wenn ihr betet, plappert nicht wie die Heiden. Sie meinen nämlich, wegen ihres Wortschwalls, werden sie erhört werden. Werdet ihnen nicht gleich. Denn euer Vater weiß längst, woran ihr Bedarf habt, noch bevor ihr ihn bittet.“ (Mt 6, 7f.)
Diesem Gebet des „Wortschwalls“ liegt ein fragwürdiges Gottesverständnis zu Grunde. Gott ist hierbei ein Gegenüber, das durch Gebetsmaßnahmen zu einer Reaktion bewegt werden soll . Das Beten Jesu hingegen braucht nicht viele Worte, sondern das Bitten selbst, scheint die Erhörung zu sein (vgl. Mt 7,7//Lk 11,9f.). Diese Auffassung will Gott nicht zu etwas bewegen, sondern drückt ein grenzenloses Vertrauen in ihn aus. Gott weiß immer schon um die menschliche Bedürftigkeit, da „alle Haare eures Hauptes gezählt sind“ (Mt 10,30; Lk 12,7) also von vornherein die gesamte Welt und der Mensch ohne ihn nicht sein kann. Solche Worte Jesu verdeutlichen, dass gegen das „natürliche“ Sprechen mit Gott, das christliche Gebet anscheinend erst noch gelernt werden muss. Im Lukasevangelium (Lk 11,1) verlangt ein Jünger denn auch nach einer solchen „Gebetsdidaktik“:
„Herr lehre uns beten.“
Warum muss man christliches Beten erst noch lernen? Und vor allen Dingen, wie lernt man es? Offensichtlich steht dieses Beten quer zu dem, was man sozusagen von Natur aus über Gott denkt und wie man meint, bei ihm etwas bewegen zu können. Gewöhnlicherweise denkt man, Gott ist allmächtig, er kann alles tun und lassen, was er will, nur weiß man nie genau, was er will. Ich bitte um die Heilung von einer Krankheit oder um gutes Wetter, ich werde geheilt oder die Sonne scheint, folglich hat Gott meine Bitte erhört. Der „gesunde Menschenverstand“ sagt uns aber, dass Betende keineswegs gesünder sind oder mehr Sonnentage haben als nicht Betende. Und auch sich mit dem Kreuzzeichen bezeichnende Fußballspieler sind keineswegs mit einer höheren Torquote gesegnet als ihre scheinbar „unfrommen“ Konkurrenten. Auf diesen Sachverhalt weist Jesus im Matthäusevangelium hin, wenn er sagt, dass Gott „seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45).
Aber welchen Sinn hat denn dann noch das Gebet? Greift Gott am Ende nicht ein und lässt den Dingen ihren Lauf? Dann könnte man das Beten auch sein lassen.
Ein solcher Kurzschluss ist durch ein fragwürdiges und unbiblisches Verständnis der Allmacht Gottes hervorgerufen. Gottes Allmacht besteht nicht darin, was er nach menschlichem Wunschdenken alles tun könnte und manchmal tut und manchmal nicht. Gottes Allmacht ist keine Willkürallmacht, sondern sie erweist sich als mächtig in überhaupt allem, was geschieht. Nichts ist so, dass es ohne ihn sein könnte. In der Bibel beim Propheten Jesaja (Jes 45,7) wird dies klargestellt:
„Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“
Aus einer solchen Sicht ist es geradezu „ungläubig“, Gott als einen durch Gebet beeinflussbaren Kurskorrektor des Weltgeschehens zu begreifen. Beten lernt man nach der christlichen Botschaft durch das „Umdenken“ einer solchen ungläubigen Gottesvorstellung. Gläubiges Umdenken heißt: Es gibt keine Wirklichkeit, die nicht in der Macht Gottes steht. In diesem Verständnis bedarf es keines besonderen Eingreifens Gottes, da Gott kein Gegenüber zur Welt darstellt, sondern alles was ist, in ihm lebt (vgl. Apg 17,28), also von ihm umgriffen, getragen und gehalten ist.
In der christlichen Botschaft begegnet uns die Zusage, die unser Dasein als in Gott geborgen offenbar werden lässt und der wir zu vertrauen aufgefordert werden. In Jesus Christus sagt Gott uns seine unüberbietbare Liebe zu und wir können dieser zugesagten Liebe antworten. Beten bedeutet in dieser Sicht also nicht ein „natürliches“ Sprechen mit Gott, sondern unser Antworten auf das zugesagte Wort Gottes.
Im christlichen Verständnis gibt es kein Gebet und keine Bitte an Gott, die nicht schon erhört wäre. Denn eine größere Erhörung als in Gottes Liebe geborgen zu sein, gibt es nicht. Da die Gemeinschaft mit Gott eine unüberbietbare Wirklichkeit darstellt, ist sie an der Welt nicht ablesbar und auch mit deren Maßstäben nicht messbar. Dass wir im Leben und Sterben in der Liebe Gottes geborgen sind, geht nur dem Glauben auf und muss sogar vielfach gegen den Augenschein der Welt geglaubt werden. Eine solche Sicht stellt unser gängiges Verständnis des Gebetes und der Gebetserhörung auf den Kopf. Das, worum wir bitten, ein Heil, gegen das kein Unheil der Welt mehr ankommt, ist längst geschehen und wird in unserem Beten nicht bewirkt, sondern in seiner ganzen Wirklichkeit erfasst. Im Gebet bekommt die Welt ein anderes Vorzeichen, das alle Erfahrung in und mit dieser Welt umwertet und in einem anderen Licht und einem neuen Sinn erscheinen lässt: Gute Erfahrungen werden als Gleichnis der Liebe Gottes gesehen und schlechte Erfahrungen, Krankheit, Not und Tod haben nicht mehr die Macht den Menschen verzweifeln zu lassen und ihn von der Liebe Gottes zu trennen (vgl. Röm 8,38).
Wer aus diesem Verständnis heraus betet, gewinnt auch eine Haltung des Vertrauens zu Gott in seinem übrigen Leben. Nichts in unserem Alltag ist zu klein oder banal, dass wir in ihm nicht die Liebe Gottes finden könnten. Und selbst noch gegen die größte Trostlosigkeit steht die Gewissheit des Glaubens, dass ich nicht aus der „Hand“ Gottes herausfalle. In allem können wir Menschen gratis von der Zuwendung Gottes ausgehen. Ein solches Selbstverständnis bringt Dankbarkeit mit sich und zeitigt sichtbare Folgen in der Welt.
Autor(en): Eckhard Türk