Als ich gefirmt wurde, sagte man uns, dass Gott unser Freund sei und dass wir uns für diesen Freund Zeit nehmen müssen. Das habe ich auch getan. Aber je mehr ich nach Gott fragte, desto mehr neue Fragen sind entstanden. Ich habe heute viel mehr Fragen, als ich Antworten finden kann.
Und weil ich alleine irgendwann mit meinen Überlegungen nicht mehr weiterkam, habe ich mir immer weniger Zeit für diese Freundschaft mit Gott genommen. Es gibt ja so viele Dinge, über die man Gott vergessen kann – die Schule, Hobbys, meine Freunde ... Ich hätte Gott gerne als Freund, als Vertrauten, aber solange ich ihn nicht verstehen kann, geht das nicht, denn einen Freund muss ich verstehen können. Normalerweise ist das bei einem Freund nicht schwer, aber Gott kann ich so direkt nicht fragen, er ist nirgendwo anzutreffen.
Auch in der Kirche, vom Pfarrer und der Frau, die unsere Firmgruppe geleitet hat, hatte ich den Eindruck, sie reden über alles Mögliche, wie man ein guter Mensch wird und wie wir miteinander Pizza backen, aber nicht, von Gott und wie man verstehen kann, dass man Gott als Freund und Vertrauten hat.
Meine erste große Frage zu Gott ist: „Gibt es Gott überhaupt? Und wenn es ihn gibt, wieso existiert er, wenn man nichts von ihm merkt? Wieso tut er nichts gegen die ganzen Kriege und Ungerechtigkeiten, gegen dieses Leid und Elend in der Welt?“ Wenn ich hier keine Klarheit gewinne, fürchte ich, werde ich Gott verlieren, wie ich auch schon Freunde verloren habe, weil wir uns nicht verstanden haben und uns nichts mehr zu sagen hatten.
E-Mail von Ivonne (14 Jahre)
Hat Ivonne nicht recht? Wenn man ihr bei ihrer Firmung sagte, dass Gott ihr Freund sein wolle, dann muss man ihr auch dazu sagen, wie das zu verstehen ist. Der christliche Glaube beginnt mit einer Botschaft, die behauptet Wort Gottes zu sein. Hier wird nicht weniger behauptet, als dass Gott in seinem Wort zu uns Menschen spricht. Aus dieser Behauptung ist abzuleiten, dass Gott verstanden werden will und verstanden werden kann. Trotzdem ist eine solche Behauptung in einem hohen Maße erklärungsbedürftig. Worum geht es im christlichen Glauben, wenn von Gott und seinem an uns gerichteten Wort die Rede ist?
Ivonne hat auch recht, wenn sie einfordert, sie bei dieser Erläuterung nicht mit allerlei Belanglosigkeiten über das „Gutmenschentum“ oder das „Pizzabacken“ abzuspeisen. Die Antwort der christlichen Botschaft auf die Frage nach Gott ist nicht ein an die allgemeinen Belanglosigkeiten dieser Gesellschaft angepasster Seelentrost oder eine therapeutische Hilfe in Krisensituationen, sondern sie ist wie Paulus formuliert eine Ärgernis erregende Zumutung, ein Skandal, (vgl. 1 Kor1,23). Die christliche Botschaft verdoppelt nicht die Ratlosigkeiten dieser Welt. Jesus beginnt seine Verkündigung mit dem Ruf nach Umkehr, besser übersetzt mit dem Ruf zum „Umdenken“ (metanoite! Vgl. Mk 1,15). Wie unerträglich und skandalös diese Botschaft des Glaubens gewesen sein muss, kann man daran erkennen, dass Jesus offenbar für sie am Kreuz hingerichtet wurde. Die Botschaft des Glaubens stellt alles, unser ganzes Leben und vor allem unser religiöses Vorverständnis von Gott in Frage. Der christliche Glaube stellt sogar unsere Art nach Gott zu fragen in Frage.
Umgekehrt ist also Ivonne zu fragen: Angenommen, jemand, den sie nicht kennt und dem sie noch nicht begegnet ist, würde ihr eine Botschaft ausrichten und ein Zeichen übermitteln lassen, er sei ihr Freund und wolle Gemeinschaft mit ihr haben, dann ist die erste Frage: „Existiert dieser jemand oder wieso existiert dieser jemand?“ sicher keine Frage, die uns eine Freundschaft und Gemeinschaft mit ihm verstehen hilft. Sie würde besser fragen: „Wer ist eigentlich dieser jemand?“
Ivonne fragt aber, weil Gott tatsächlich nirgendwo in der Welt anzutreffen ist, wie wir alle in unserem religiösen Vorverständnis, angesichts der christlichen Botschaft unserer Freundschaft mit Gott fragen : „Existiert Gott? Gibt es Gott überhaupt? Und wenn es ihn gibt, wieso existiert er, wenn man nichts von ihm merkt? Wieso tut er nichts gegen die ganzen Kriege und Ungerechtigkeiten, gegen dieses Leid und Elend in der Welt? Wo ist Gott?“
Wer so fragt, unterliegt einem alles verunklarenden Denkfehler. Schon diese Frage wird eine Antwort auf die Frage nach Gott unmöglich machen.
Schon allein diese Frage, ob Gott überhaupt „ist“ und wie er das Leid zulassen kann, stellt das Problem dar, zu dessen Lösung diese Frage eigentlich gestellt wird. Diese Frage bedeutet nämlich eine verdinglichte Gottesvorstellung. Gott wird mit dieser Frage in den Raum der Tatsachen dieser Welt gezwungen. Gott ist aber keine weltliche Tatsache und er kommt tatsächlich in der Welt nicht einfach vor. Gott ist nirgendwo „anzutreffen“, so dass man auf irgendeine Wirklichkeit verweisen könnte, um sie als eine Gotteserfahrung zu bestimmen. Gott fällt nicht unter Begriffe, schon gar nicht unter den Begriff des Seins. Wenn vom „Geheimnis“ und der „Größe“ Gottes gesprochen wird, so sind das eine Umschreibung dafür, dass Gott größer ist als alles in der Welt, auch größer als alles, was gedacht werden kann (Anselm von Canterbury 1033–1109). Das Sprechen von Gott sprengt die Möglichkeiten unserer gewöhnlichen Sprache. Ganz gleichgültig, wie diese mit Gott bezeichnete Wirklichkeit gedacht und wie von ihr gesprochen wird. Sie kann nicht mit den Maßstäben der Welt und des Menschen gemessen werden. Gott kann auch nicht ein Faktor in einer menschlichen Begründungs- oder Beweiskette sein. Auch nicht der letzte Garant der Moral oder die Antwort auf die Sinnfrage. Gott in solche Funktionszusammenhänge zwängen, heißt, Gott als ein Konstrukt des Menschen zu erschaffen und damit den Menschen in die Position Gottes bringen. Solche Selbstprojektionen des Menschen laufen letztlich auf Weltvergötterung hinaus. Viele Menschen, die sich für Atheisten halten, lehnen in Wirklichkeit eine solche falsche Gottesvorstellung ab, gegen die sich auch die christliche Botschaft wendet. Gott ist kein Teil der Welt und deshalb notwendig unbegreiflich. Doch wer sagen will, wer Gott ist, braucht einen Gottesbegriff.
Aus diesem Grund ist die erste Reaktion auf die christliche Botschaft, dass Gott uns in seine Gemeinschaft nimmt, nicht die Frage nach der Existenz Gottes, sondern angemessener würden wir fragen: „Wer ist Gott?“
Die christliche Botschaft versucht auf das Problem der notwendigen Unbegreiflichkeit bei gleichzeitig notwendigem Gottesbegriff zu antworten. Diese Antwort wird aus der Bibel genommen, ist aber für die menschliche Vernunft einsichtig. Dort wird das Wort „Gott“ gleich zu Beginn mit zwei „Schöpfungsberichten“ (Gen 1,1–2,4a; 2,4b–25) eingeführt. So verschieden diese „Schöpfungsberichte“ sind, ihre Grundaussage ist dieselbe: Alles, was es überhaupt gibt, ist so, dass es ohne Gott nicht sein kann. Die gesamte Welt und der Mensch wird hier als ein solcher Verweis auf Gott angesehen. Die gesamte Welt vom Anfang an, ist der Grund, warum hier von Gott gesprochen wird. Damit ist auch bestimmt, wer Gott ist: Nichts von alledem was ist, kann ohne ihn sein. Was aber heißt das genau, eine solche Verwiesenheit der Schöpfung, die so beschaffen ist, dass nichts ohne sie sein kann.
Einen Hinweis finden wir dazu im zweiten Makkabäerbuch (7,28). Dort spricht eine Mutter zu ihrem jüngsten Sohn, den ein Tyrann vom Glauben an Gott abbringen will, von der Schöpfung Gottes: „Ich bitte dich mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; siehe alles, was es gibt und erkenne: Gott hat das aus dem Nichts geschaffen (...)“. Diese Schöpfung aus dem Nichts, wäre völlig missverstanden, wenn man annähme, dass erst das Nichts geschaffen wurde und Gott dann daraus den Rest der Schöpfung machte. Die Bezeichnung „aus dem Nichts geschaffen“ wird dann verständlich, wenn man sie mit „restlos“ übersetzt. Von Gott aus dem Nichts geschaffen sein meint dann, in allem wodurch sich das Geschaffene vom Nichts unterscheidet, ist es so, dass es restlos auf Gott verweist. Könnte man dieses Geschaffensein beseitigen, wäre das Geschaffene nicht mehr. Geschaffensein ist keine zusätzliche Eigenschaft, sondern mit dem Geschöpf identisch. Die Schöpfung geht restlos in ihrem Bezogensein auf Gott auf. Nach der Sicht der Bibel kann nichts existieren, ohne nicht ganz und gar auf eine Wirklichkeit bezogen zu sein, die die Bibel „Gott“ nennt.
In dieser biblischen Bestimmung der Schöpfung liegt die Bestimmung Gottes, die einerseits die Unbegreiflichkeit Gottes wahrt und zugleich einen Gottesbegriff bietet. Die christliche und auch für die Vernunft einsehbare Antwort auf die Frage, wer Gott ist, lautet schlicht und einfach: Gott ist der, ohne den nichts ist.
Was steckt in dieser Antwort? Wir begreifen hier immer nur die von Gott restlos und total verschiedene und auf ihn verweisende geschöpfliche Welt. Diese Verwiesenheit ist aber so, dass sie ohne das Woraufhin dieser Verwiesenheit nicht sein könnte.
Die Aussage, dass Gott der ist, „ohne den nichts ist“, ist für sich genommen Gegenstand der menschlichen Vernunfterkenntnis. Die Bibel begründet eine solche Erkenntnis nicht, sondern hilft sie lediglich zu entdecken. Sie ist für sich noch nicht tröstlich und wohltuend, verhindert allerdings, dass die Welt oder Teile von ihr mit Gott verwechselt werden. Wie angesichts der völlig einseitigen Beziehung der Welt auf Gott, dennoch davon gesprochen werden kann, dass Gott uns in seine Gemeinschaft hineingenommen hat, dass er unser Vertrauter und Freund ist, beantwortet die christliche Botschaft mit der Rede von der Dreifaltigkeit Gottes. Der Schöpfer ist kein Teil seiner Schöpfung, aber die Schöpfung ist Teil des Schöpfers. Dieses in-Gott-geschaffen-sein ist nicht an der Welt ablesbar, sondern muss ihr dazu gesagt werden. Diesem Wort Gottes kann man nur im Glauben gerecht werden. Sie meint jedenfalls eine Hineinnahme in die ewige Beziehung Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist. Das Vertrauen darauf ist Gott als Freund verstehen.
Autor(en): Eckhard Türk