Wie können wir von Gott sprechen? Von Gott, der größer ist als alles, was wir denken können? Von Gott, der sich unserer Begreifbarkeit entzieht? Von Gott, der nicht verfügbar ist? Steht nicht jede Rede von Gott vor dem entscheidenden Vorbehalt, dass hier Unsagbares in Begriffe gefasst werden soll? Doch halt - all diese Fragen sind berechtigt. Nichtsdestotrotz sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich das Reden von Gott nicht in einem luftleeren Raum vollzieht.
Wenn man so anfängt, dann suggeriert dies, als müsste man wie im luftleeren Raum von Gott reden.
Wir Gläubige aber reden von Gott auf der Basis einer langen Geschichte. Dies ist eine Geschichte unseres Bekenntnisses Gottes: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben, das verkündigen wir: wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde. Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus" (1 Joh 1,1-3). In diesem Prozess sind wir ein aufnehmender, weitertragender und die Geschichte fortschreibender Teil: jede und jeder von uns.
Dies ist eine Geschichte, in der Gott zuerst zu uns als Menschen gesprochen und er an uns gehandelt hat: Wir leben in der Welt, in der Gott den Menschen erschaffen hat: „[...] ich habe dich bei deinem Namen gerufen". Der Mensch wird als einmalige und unverwechselbare Personen angesprochen. Und das ist etwas grundsätzlich Anderes als ein unpersönliches angerufen werden: „Hey, Du da! Hey, Sie da!" Die angemessenste Weise, auf diesen Ruf Gottes zu reagieren, ist zu antworten. Aber wie? Wie soll man Gott anreden? „Da sprach Mose zu Gott: Wenn ich zu den Israeliten komme und ihnen sage: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mich dann fragen: Wie lautet sein Name?, was soll ich ihnen antworten? Da sprach Gott zu Mose: Ich bin der Ich-bin! [...] Dies ist mein Name für alle künftigen Zeiten" (Ex 3, 13-14.15) In anderen Übersetzungen wird der Name Gottes übersetzt als „Ich bin da (für euch)". Gottes Name beinhaltet somit eine Zusage: Er ist der, der da ist für die Menschen. Die Beziehung Gott Mensch geht von ihm aus. Sie wird wechselseitig durch diese Namensnennung. Von Gott zu sprechen, ist immer auch ein Zu-Gott-Sprechen.
Wenn ich nun aber Gott bei seinem Namen anrufen darf, laufe ich dann nicht Gefahr, ihn mir handlich zu machen - meinen Vorstellungen anzupassen - wenn ich von Gott als Vater rede, von ihm als dem guten Gott spreche, der uns alle liebt? Ja, ich laufe Gefahr, aufgrund dieser Bezeichnung zu meinen, ich wüsste, wer Gott ist - und könnte Begegnung und Beziehung mit ihm berechnen. Die theologische Tradition der negativen Theologie übt sich hier seit alters als Wächterin menschlichen Sprechens von und vor Gott. Sie nennt drei Wege, welche das Sprechen von Gott zu durchlaufen hat: die via affirmativa (der bestätigende Weg), die via negativa (der verneinende Weg) und die via eminentiae (der Weg der Hervorhebung).
Die lange Geschichte Gottes mit seinem Volk und seine Namensnennung ermöglichen menschliches positives und affirmatives Sprechen von Gott. Dies ist die Basis des ersten Weges. Doch damit steht man erst am Anfang:
Es folgt der zweite Weg, der „negative". Denn ist Gott z.B. Vater, so ist er es nicht allein in menschlichem Sinne. Alles menschliche Reden ist richtig, weist in die richtige Richtung - und begreift doch lange nicht, wer Gott wahrhaftig ist. Alles Reden ist richtig - und es bleibt hinter dem zurück, wer dieser Gott ist. Es verhält sich dabei wie mit einem Menschen, den Sie seit Jahren in- und auswendig kennen. Sie wissen, welche Vorlieben, Stärken und Schwächen er hat; Sie kennen seine Reaktionen und können sich auf ihn verlassen. Er ist Ihnen bekannt und vertraut - und gerade weil Sie ihn so gut kennen, seine reiche Persönlichkeit wahrnehmen, würden Sie nicht dem Gedanken verfallen, ihn mit Ihrem Reden in eine Schublade stecken zu wollen und zu sagen: „So, das ist er, so ist er!" Die via negationis öffnet also das Reden von jemandem, in diesem Fall menschliches Reden von und zu Gott. Die via negationis bewahrt mich davor, mir meinen Westentaschengott zu schneidern, das liebe Jesulein zu zimmern. Wenn ich Gottes Namen kenne, von ihm in der langen Tradition der Heilsgeschichte als Vater, als gütigem Gott spreche, dann gibt es dafür gute Gründe aus der Geschichte und der Vernunft. Aber, im Unterschied zu der Müllerstochter im Märchen vom Rumpelstilzchen, bedeutet, Gott bei seinem Namen anzurufen und von ihm zu sprechen gerade nicht, Macht über ihn zu haben oder zu meinen, über ihn verfügen zu können.
Der via negationis kommt eine Wächterrolle auf diesen drei Wegen zu. Diese darf nicht isoliert von den anderen beiden gesehen werden. Dieser Vorbehalt des Redens, dieses Offenhalten in dem Sinne, dass Reden ein Reden aus menschlicher Perspektive, in der dem Menschen gegebenen Sprache ist, die adäquat, aber nicht hinreichend ist, meint dabei nicht, dass man nichts über Gott zu sagen hätte - weder in dem Sinne, dass man behauptete, man wüsste nichts, noch in dem Sinne, dass es gleichgültig wäre, was man sagt. Mystisches Verstummen und Schweigen sind nicht der erste Schritt; denn es ist kein Schweigen, weil nichts da wäre, über das geredet werden könnte. Dieses Schweigen ist ein überwältigtes Verstummen, ein Verstummen angesichts der Überfülle und ein Verstummen, weil Gott spricht.
Doch nie würde man behaupten, dass da nichts gewesen wäre oder es gleichgültig wäre, wie man, wie ich darüber rede. Die via eminentiae führt auf diesen Weg, der deutlich macht, dass Gott stets mehr ist, als der Mensch wahrnehmen kann. Ohne diesen Überstieg würde man beim Nichtreden stehen bleiben. Dieses „Nicht" weiß aber um das Mehr. Diese Überfülle, das göttliche Mehr, ist bei alledem für uns Gläubige, die wir Teil der Geschichte Gottes mit uns Menschen sind, bei Leibe keine abstrakte Idee - sondern Wort an und für uns, ja noch mehr: Person.
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. [...] Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht" (Joh 1, 14.18). Unser Sprechen von Gott muss sich stets der Kritik aussetzen, ob wir damit meinen, Gott in der Hand zu haben, allerdings auch der Kritik, wenn wir meinen, gar nichts sagen zu können. Gott sagt nämlich nicht nur, wer er ist, sondern er hat sich selbst mitgeteilt in seinem Sohn Jesus Christus. In diesem hat Gott ein Angesicht bekommen. Wie jede Beziehung zwischen Personen, so ist auch diese Beziehung unausschöpfbar und nie endend . Beziehung ist die gelebte Spannung der Anwesenheit des Anderen und seiner Abwesenheit, meiner Anwesenheit und meiner Abwesenheit. Sie wird gestört, wenn einer meint, den Anderen in der Hand zu haben, ihn abschließend verstanden zu haben. Den Namen Gottes anzurufen, Emmanuel zu rufen, heißt: „Du, der Du mit uns bist!" Den Namen Jesu anzurufen, heißt zu sagen: „Du, der Du ‚Gott rettet' heißt." Gott anzurufen, von Emmanuel und Jesus zu sprechen, heißt also zu bekennen, dass Gott mit uns Menschen in einer Beziehung lebt und dass wir wissen, dass er hilft und rettet. Von Gott zu sprechen, ist dann nicht nur ein Reden über ihn, sondern zugleich ein Bekenntnis - ein Amen: ja, so ist es.
Autor(en): Bernadette Schwarz-Boenneke