„Indem uns Gott seinen Sohn so gab,
wie er ihn uns gegeben hat,
– er ist sein eines Wort, und ein anderes hat er nicht –
hat er uns alles zusammen und auf einmal in diesem einzigen Wort gesagt,
und mehr hat er nicht zu sagen....“
(Johannes vom Kreuz)
Feiert man, etwa im Mainzer Dom, eine Messe mit, wird man in jedem Fall, so sicher wie das „Amen“, den Begriff „Wort Gottes“ zu hören bekommen. Was ist damit gemeint? Spricht Gott selbst? Wie wäre das vorstellbar? Hört man dann Stimmen? Kann man Gott hören oder verstehen, wenn er spricht? Ist mit dem „Wort Gottes“ eine Offenbarung oder Vision gemeint? Oder, da man nur Menschen sprechen hört, wird hier über Gott gesprochen? Sollte man im Hinblick auf Gott überhaupt Worte machen? Kommt es nicht vielmehr auf Gotteserfahrungen an? Muss man vielleicht die Augen schließen und das, was man dann in seinem Inneren hört, als „Wort Gottes“ betrachten?
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Johannes vom Kreuz, Aufstieg zum Berge Karmel, Buch 2, Kap. 22, 3.5
theologische Reflexion
Die Rede vom „Wort Gottes“ bzw. von der christlichen Botschaft wird verständlich angesichts des Kontextes, in den das Wort gesprochen ist: die Situation der Welt und des Menschen. Der Mensch erlebt seine Vergänglichkeit und Todesverfallenheit als eine Bedrohung, auf die er mit Angst und unmenschlichem Handeln reagiert. Weil wir verwundbar und vergänglich sind, haben wir Angst um uns selbst, gegen die wir uns, vielfach um den Preis der Unmenschlichkeit, zu sichern versuchen. In diese Situation hinein beansprucht die christliche Botschaft ein Wort zu sprechen, das stärker ist als alle „Todesfurcht“ (vgl. Hebr 2,15). Dieses Wort will die Angst des Menschen um sich selbst entmachten und so die (Mit)-Menschlichkeit ermöglichen. Nur ein Wort, das selbst nicht mehr der Vergänglichkeit unterworfen, also unüberbietbar ist, kann eine Gewissheit vermitteln, die den Menschen aus der Angst um sich selbst und der in ihr begründeten Unmenschlichkeit erlöst. Den Anspruch auf eine solche Erlösung erhebt das „Wort Gottes“. Eine solche Erlösung geschieht in der Zusage und Annahme der zugesagten Gemeinschaft mit Gott. Das ist der Inhalt des christlichen Glaubens. Er lässt die Gemeinschaft mit Gott gegenwärtig und wirklich sein. Die christliche Botschaft begründet mit dem Inhalt des Wortes Gottes, wie dieser Anspruch nicht bloß behauptet wird, sondern auch einzulösen ist.
Wenn man einer Botschaft begegnet, die behauptet „Wort Gottes“ zu sein, provoziert dies zunächst einmal die Frage, wer denn „Gott“ ist, dessen „Wort“ diese Botschaft zu sein beansprucht. Die Rede vom Wort Gottes setzt voraus, einen Begriff von eben diesem Gott zu haben? Dies ist aber durchaus problematisch, denn einerseits kann Gott aufgrund seiner Göttlichkeit nicht groß genug gedacht werden, andererseits vollzieht sich das menschliche Denken in Begriffen, die – weil sie menschliche Begriffe sind – nicht alles unüberbietbar zur Sprache bringen. Aus diesem Grund weist die christliche Tradition darauf hin, dass Gott nicht unter Begriffe fällt. Wie aber lässt sich der Gottesbegriff, der die Rede vom „Wort Gottes“ bestimmt, mit der Unbegreiflichkeit Gottes zusammendenken? Handelt es sich hier um eine theologische „Zwickmühle“?
Die christliche Botschaft bringt Begriff und Unbegreiflichkeit Gottes so zusammen, dass sie eine Aussage über alle Wirklichkeit, von der Gott kein Teil ist, macht: Alles, was ist, ist von Gott „aus dem Nichts geschaffen“. „Aus dem Nichts geschaffen sein“ meint, dass das Geschaffensein keine zusätzliche Eigenschaft der Wirklichkeit darstellt, sondern dass das Sein, in allem, was es vom Nichts unterscheidet, total und restlos geschaffen ist. Könnte man das Geschaffensein beseitigen, dann bliebe nichts übrig. Die christliche Antwort auf die Frage, wer Gott ist, lautet: Gott ist der, ohne den nichts ist. So wird in einem Begriff von Gott die Unbegreiflichkeit Gottes gewahrt, weil Gott nicht zum Bestandteil eines menschlichen Begriffsystems gemacht wird. Gott steht außerhalb jeden Geschaffenseins, so dass weder von einem Sachverhalt der Welt auf Gott geschlossen noch ein Sachverhalt der Welt von Gott hergeleitet werden kann. Bei der Betrachtung der Welt aus der Perspektive der Welt, kommt Gott in der Welt nicht vor. Dies ist auch der Grund, warum auf einen solchen Gottesbegriff der Vorwurf der menschlichen Projektion oder Wunscherfüllung nicht zutrifft. Gott wird hier nicht als überdimensionierte Welt oder überdimensionierter Mensch begriffen.
Der christlichen Botschaft zufolge hat sich Gott selbst in seinem Wort der Welt mitgeteilt, sich ihr in Liebe zugewandt und ihr sogar Anteil an der göttlichen Wirklichkeit gegeben hat. Wie soll das möglich sein, ohne dass Gott zu einem Teil der Welt wird? Und wie kann die Welt das Wort Gottes vernehmen, verstehen und beantworten, wenn die Welt keine Beziehung zwischen Gott und ihr begründen kann?
Nach der christlichen Botschaft muss eine solche Beziehung Gottes zur Welt eine Wirklichkeit nach der Art Gottes sein und nicht nach geschaffener, weltlicher Art. Gott und Welt, Mensch und Gott müssen sich „unvermischt und ungetrennt“ aufeinander beziehen. Eine solche Beziehung kann nur eine sein, die in Gott besteht und in die alle von Gott verschiedene Wirklichkeit hineingeschaffen ist. Gott ist kein Teil der Welt, aber die Welt ist ein Teil der sie umfassenden Beziehung Gottes zu Gott. Die christliche Botschaft spricht deshalb vom Inhalt des Wortes Gottes als einer dreifachen Beziehung: Gott als die Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist. Um überhaupt eine Beziehung Gottes zur Welt aussagen zu können, spricht die christliche Botschaft von der Dreifaltigkeit Gottes.
An der Welt allein kann man ihre Gemeinschaft mit Gott nicht ablesen. Man muss diese Gemeinschaft dazugesagt bekommen. Da nichts Geschaffenes ein Maß abgeben kann für die ewige, unbedingte und alles umfassende Liebe Gottes, ist der Mensch auf das „Wort Gottes“ angewiesen, um auf diese Liebe im Leben und Sterben, also auch gegen die Macht der Todverfallenheit, zu vertrauen. Wenn einem dieses Wort von der Teilhabe an der Gemeinschaft mit Gott aber gesagt wurde, dann wird alle gute Erfahrung mit der weltlichen Wirklichkeit zu einem Gleichnis der Liebe Gottes. Alle schlechte Erfahrung kann nicht mehr eine solche Macht entfalten, dass der Tod, die Angst und die Selbstsicherung das letzte Wort über uns sind und wir daran verzweifeln müssten. Tatsächlich wird uns unsere Geborgenheit in Gott in einem zwischenmenschlichen Wort mitgeteilt, das sich auf Jesus beruft. Der Mensch Jesus ist in seinem Menschsein in die göttliche Beziehung hineingeschaffen. Nur so kann er als Mensch uns in einem menschlichen Wort das sagen, was Gott uns sagen will. Nämlich, dass es sich wirklich um das „Wort Gottes“ handelt, und dass die Gemeinschaft mit Gott, schlechterdings unüberbietbar in diesem Wort geschieht, das die zweite göttliche Person, der logos ist. Ein „anderes Wort hat Gott nicht“ und etwas Größeres als die Gemeinschaft mit Gott gibt es nicht. Sie allein will im „Wort Gottes“ verkündet und wirklich sein. Dass wir dieses Wort vernehmen können, ohne es zu einem rein menschlichen Wort zu machen, ist in der Gnade begründet, die unser glaubendes Hören begleitet.
Die in einer Messe vorgelesenen Texte sind in dem Sinn als „Wort Gottes“ zu verstehen, in dem sie uns in das Gottesverhältnis Jesu, in die Liebe des Vaters zum Sohn, hineinnehmen. Gottes „Eingreifen“ und Gottes „Präsenz“ in unserer Welt besteht in seinem dazugesagten Wort. Sie besteht durch das zwischenmenschliche Wort der Weitergabe des Glaubens. Die Sakramente sind Zeichen dieses angenommenen „Wortes Gottes“. Sie fügen dem „Wort Gottes“ als zugesagter Gemeinschaft mit Gott nichts hinzu, sondern verdeutlichen sie; in ihnen wird die Gemeinschaft mit Gott präsent(iert). Unsere Erlösung besteht genau in dem Maß und darin, inwiefern wir diesem „Wort Gottes“ glauben, unsere Angst um uns selbst entmachten lassen und so als Menschen zueinander in ein neues Verhältnis kommen.
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Hebr 2, 15 = Neues Testament, Hebräerbrief, Kapitel 2, Vers 15
Autor(en): Eckhard Türk