Kopfstand

Impuls 24

Datum:
Do. 26. März 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Das Bild, das ich für den heutigen Impuls ausgesucht habe, zeigt den See Genezareth. Die Sonne ist hinter den Bergen schon untergegangen, und über dem See liegt ein leichter Dunst, und ein beruhigendes Abendlicht.

Wenn ich diese Zeilen schreibe, dann ist es Abend geworden. Wir hatten im Team heute ein Gespräch, das schwierig war. Es ging um die Frage, wie wir in diesem Jahr Ostern feiern werden. Fast alle Ideen, die uns gekommen sind, haben wir auch wieder verworfen, weil sie unter den derzeitigen Bedingungen nicht zu verwirklichen sind. Und über die Frage, was es braucht, dass Ostern auch als Ostern empfunden werden kann, sind wir fast in Streit geraten. Wir spüren unsere Grenzen. Es war ein anstrengender, aber dennoch auch schöner Tag.

Am Ufer des See Genezareth gibt es eine Höhle. Von dort aus kann man den ganzen See überblicken. Man sieht Kafarnaum und ein paar der anderen Orte, wie Magdala, aus denen die Jünger Jesu stammten. Welch unterschiedliche Erwartungen, Hoffnungen und Vorstellungen diese Frauen und Männer hatten, die Jesus nachgefolgt sind.

Im Kloster von Tabgha am See Genezareth gab es einen Archäologen und Pater, der überzeugt war, dass Jesus die Höhle oberhalb des Sees genutzt hat, wenn er sich abends zurückgezogen hat, um alleine zu beten. Pater Bargil. Er war auch der Überzeugung, dass diese Höhle oberhalb des Sees der Ort ist, an dem Jesus mit seinen Jüngern über seinen Glauben gesprochen hat. Der Blick über den See macht das Herz weit. Hier sollen die Jünger Jesus gebeten haben: Herr, lehre uns beten. Pater Bargil nannte diese Höhle: Eremos.

Ob das so gewesen ist, weiß ich nicht. Aber wann immer ich an der Eremos-Höhle gestanden bin, hat mich der Gedanke überzeugt, dass Jesus hier - mit Blick über den See - nachgedacht hat: über Petrus, über Johannes, über Maria von Magdala, über den Hauptmann von Kafarnaum, über den Zöllner Matthäus, über all die verschiedenen Menschen, über ihre Erwartungen und Hoffnungen, über ihre Vorstellungen und auch ihre Geschichte.

Vielleicht ist es tatsächlich der Ort, wo die Jünger gesagt haben: Herr, lehre uns beten. Denn Beten bedeutet auch, den Herrgott zu bitten, dass er dem eigenen Herzen sage, was ein Petrus, was ein Johannes, was eine Maria von Magdala, was der Hauptmann oder Zöllner wirklich heute sagen wollten, was ihnen auf dem Herzen liegt.

Die Jünger waren gestandene Frauen und Männer, die ganz sicher schon beten konnten. An der Seite Jesu haben sie erlebt, dass er den Sabbat, die Synagoge, den Tempel, Gott, Sünde und Reinheit, mitunter völlig auf den Kopf gestellt hat. Für dieses auf den Kopf gestellte Leben brauchten sie eine neue Form des Betens. Herr, lehre uns beten.

Wenn wir heute beim Glockenläuten den Angelus beten, dann darf auch die Bitte mitschwingen, dass in einer Zeit, in der unser Leben auf den Kopf gestellt ist, der Herr uns einen weiten und ruhigen Blick schenken möge. Er möge uns lehren, wie man betet, wenn das Leben auf dem Kopf steht.

 

Ihr Pfarrer Givens