Nächstes Jahr in Jerusalem

Pilgerreise 56

Datum:
Mi. 20. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Virtuelle Pilgerreise 2020, 56 In seinem Namen

Behutsam glättete er das gewobene Tischtuch und fühlte unter seinen Fingern die leichte Erhabenheit der purpurnen Fäden. In einem einfachen Becher war Wein aus Samaria, den Samuel ihnen regelmäßig sandte. Rael war ebenfalls da. Sie hatte auf ihrem Maulesel mehrere Schläuche von dem Wein mitgebracht. Es war Philippus, der die Verbindung zwischen den Dörfern in Samarien und den Jüngern am See hergestellt hatte. Er hatte auch Rael eingeladen. Sie wohnte bei Magdalena.

Seine Freunde hatten ihm erzählt, dass sie sich in der ersten Zeit im Hof der Synagoge von Migdal beim Haus des Jairus versammelt hatten. Aber je größer ihre Schar wurde, umso mehr kam es zu Anfeindungen mit denen, die den Glauben an die Auferstehung als Geschwätz abtaten.

„Sie werden euch um meinetwillen aus den Synagogen ausschließen und vor Könige und Statthalter zerren.“ Er hatte nur gehofft, dass dies nicht zu früh kommen würde. (Matthäus 10,17-22)

Er erinnerte sich an das Gespräch mit Mose auf dem Berg Tabor. Mose hatte ihm erklärt, dass weder die Verhandlungen vor dem Pharao, noch die andauernden Streitigkeiten in der Wüste über den richtigen Weg, ihn so viel Kraft gekostet hatten, wie das Abschiednehmen auf dem Berg Nebo. Wer liebt, öffnet die Hände und hält es aus, wenn die Füße nicht den gewiesenen Weg einschlagen. (Deuteronomium 34,1-9; Lukas 9,28-36)

Noch einmal glättete er das Tuch und hoffte, dass sie es sich bewahren würden, dass jeder etwas zu seinem Gedächtnismahl beitrug. Aufmerksam hatte er einer der Witwen zugehört, die in der Versammlung den anderen erzählt hatte, was es ihr bedeutet, dass sie an dem kostbaren Tuch mit geworben hatte. Sie war - anders als Jairus - keine große Rednerin, aber die Augen fest auf das gewobene Tuch gerichtet, hatte sie den Mut aufgebracht, ein paar Sätze zu sagen.

Er musste Abschied nehmen und es zulassen, dass sie auf ihre Art das Reich Gottes mit Leben füllen würden. Es war gut, dass er sie bis hierher wie Mose geführt hatte. Er würde sie nicht als Waisen zurücklassen. Ihr Herz wird angefüllt sein mit seinen Worten und mit dem Geist des Vaters. (Johannes 14,18)

Die Familien des Petrus und des Andreas hatten bereitwillig den Hof zwischen ihren beiden Wohnhäusern leergeräumt. Gemeinsam mit den anderen Jüngern hatten sie große Baumstämme entlang der Mauern gelegt. So konnte jeder auf den Baumstämmen sitzen, sich gegen die Wände lehnen, und am Rücken die Wärme spüren, die die Steine ausstrahlten. Jede Familie, die zu ihrer Gemeinschaft gehörte, hatte ein buntes Tuch mitgebracht, so dass sie wie unter einem bunten Segel im Schatten sitzen konnten.

Hier konnten sie sich nach dem Gottesdienst in der Synagoge, zum Brotbrechen und zum gemeinsamen Beten treffen, ohne in eine Auseinandersetzung mit den anderen aus der Synagoge zu kommen. Wenn Matthäus oder Markus von ihren Wanderungen zurückgekehrt waren, erzählten sie den anderen, welche Worte oder welche Erlebnisse sie über Jesus gesammelt hatten. Manches mussten sie danach wieder streichen oder verändern, weil Magdalena, Johannes, Nathanael…. sich ganz anders erinnerten. Aber es half ihnen, allen die Erinnerung an Jesus wach zu halten.

Philippus hatte keinen Brief geschrieben. Er war einfach selber nach Damaskus gekommen und hatte Hananias, Lukas, Marcellus und ihre Familien getauft. So wie Jesus es ihnen aufgetragen hatte. Es musste nicht der Jordan sein. Er hatte sie außerhalb von Damaskus im Fluss untergetaucht. Salome war mit ihm gekommen. Sie hatte die Frauen und die Mädchen getauft. (Matthäus 28,19; Apostelgeschichte 8,26-40)

Anschließend gab es im Haus des Töpfers Hananias ein Fest. Philippus hatte ihnen erzählt, wie bei einer Hochzeitsfeier einmal der Wein ausgegangen war. Maria, die Mutter Jesu, hatte ein Gespür dafür, welche Scham dies für die Familie der Brautleute bedeuten würde. Daher, so hat er ihnen erklärt, seien sie alle nackt getauft worden, weil es als Jünger Jesu darum geht, ein Gespür dafür zu bekommen, ob der Leib oder die Seele eines anderen nackt ist und sie ihn beschützen müssen. (Johannes 2,1-12)

Er erzählte ihnen, wie es ihn berührt hatte, dass die beiden angesehenen Ratsherren Nikodemus und Josef von Arimathäa den nackten Jesus in ein kostbares Leichentuch eingewickelt hatten und ihn so beschützten. Als er dies nach der Auferstehung Jesus am See erzählte, hatte dieser ihm geantwortet, dass dies auch ein tiefes Bild für das Tun seines himmlischen Vaters sei: Die, die aus dem Grab ins Leben geführt werden, stehen nicht nackt und voller Scham vor seinem Vater, sondern werden in göttlichen Glanz eingehüllt. (Johannes 19,38-40)

Hananias hatte noch in derselben Nacht eine besonders schöne Schale getöpfert, die er mit einer Glasur gebrannt hatte, die wie Gold schimmerte. Wann immer die Freunde in Damaskus zusammenkamen, um gemeinsam das Vaterunser zu beten und das Brot zu brechen, legten sie das Brot in diese goldschimmernde Schale in Erwartung des göttlichen Glanzes, der sie bei der Auferstehung umhüllen werde.

Als Mohammed mit dem Bus vor dem Pilgerhaus ankommt, ist es schwarze Nacht. Nur die Lichter von Tiberias glitzern über den See. Der Brunnen im Hof des Pilgerhauses schläft. Müde und doch aufgekratzt verladen wir unsere Koffer.

Im Bus beten wir die Laudes. Als wir den Hymnus singen, fahren wir unter den Straßenlaternen der Kreuzung von Migdal. Die Ausgrabungen der Synagoge und der Wohnhäuser liegen in tiefer Dunkelheit. Aber allein das Ortsschild weckt in uns die Erinnerung an die Frauen und Männer, die hier am See ein helles Licht haben aufstrahlen sehen.

Dann biegt der Bus ab und es geht hinauf in die Berge von Galiläa und Richtung Tel Aviv.

Am Flughafen geht es relativ schnell. Die Pässe werden wie immer peinlich genau kontrolliert. Der eine oder die andere muss den Koffer öffnen. „Was ist in dieser Flasche?“ „Da ist Jordan-Wasser drin.“ Der Sicherheitsbeamte schüttelt den Kopf. Aber er kennt das. Diese christlichen Pilger schleppen Wasser vom Jordan mit nach Hause, damit ihre Enkel mit Jordan-Wasser getauft werden - alles Nachwirkungen von diesem Jeschua aus Nazareth.

Schließlich sind alle durch die Kontrollen und wir sind im Abflugbereich. Hier endet unsere gemeinsame Pilgerreise. Von nun an ist jeder für sich selber verantwortlich und auch dafür, was er oder sie mit nach Hause nimmt. Der Duty Free ist um diese Uhrzeit noch geschlossen, aber das was dieses Land zwischen Jordan und Mittelmeer, zwischen den Bergen und der Wüste wirklich ausmacht, kann man dort auch nicht kaufen.

Ich wünsche Ihnen allen Gottes Segen und falls Sie heute noch einmal als Pilgergruppe zusammenkommen, dann wäre es gut, einander zu segnen und auch einander zu erzählen, welches Wort oder welcher Gedanke -  von dem ein oder anderen aus der Gruppe - für Sie ein Geschenk geworden ist oder um im Bild zu bleiben: ein purpurner Faden in Ihrem Glaubenstuch.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Alltag.

In diesem Sinne: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim (לשנה הבאה בירושלים)

Ihr Pfarrer Dr. Ronald Ashley Givens