Predigt 26. Juli 2020

Gefunden

Datum:
So. 26. Juli 2020
Von:
Pfarrer Ronald Givens

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus.

 In jener Zeit sprach Jesus zu den Jüngern: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker. Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte sie.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

er ist auf dem Weg zur Schule. Der immer gleiche, vertraute Weg durch die Straßen von Bern, wie jeden Tag. Gerade als er die Kirchbrücke, die über die Aare führt, betritt, sieht er eine Frau, die im Begriff ist über das Brückengeländer zu klettern, um sich in den Fluss zu stützen. Da lässt er seine Tasche fallen, sodass sich die Hefte seiner Schüler über den nassen Asphalt verteilen und eilt zu der Frau, um sie gerade noch rechtzeitig zu packen, bevor sie sich in den Fluss stürzen kann.

Weil er keinen anderen Rat weiß, nimmt er die regennasse Frau mit in die Schule. Er kann sich nicht mit ihr verständigen, weil sie Portugiesisch spricht.

Seine Schüler sind fassungslos. Nicht nur, weil er zum ersten Mal zu spät kommt, sondern auch, weil er diese Fremde mit ins Klassenzimmer bringt. Er, bei dem es noch nie eine einzige Abweichung von den Abläufen seines Lebens gegeben hat. Als die fremde Frau verschwindet, bleibt ihm nur ein einziges Wort: Portugesch. So hat sie ihre Sprache genannt.

Am Nachmittag ist er, wie jeden Tag, bei seinem Buchhändler. Dort liegt am Tresen neben der Kasse ein antiquarisches Buch. In Portugiesisch. Der Buchhändler liest ihm die ersten Zeilen auf Portugiesisch vor und übersetzte sie ihm.

Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, bricht Gregorius auf, um nach Lissabon zu fahren. Er will erfahren wer das war, der diese Zeilen geschrieben hat. Er will die Stadt, in der das Buch verlegt wurde, kennenlernen.

Ich lese Ihnen einen Abschnitt vor….

 

Es geht nicht so sehr darum, ob wir die eine kostbare, wunderschöne Perle finden, sondern ob wir begreifen, dass die Perle uns gefunden hat. Es geht nicht so sehr darum, ob wir den Schatz im Acker finden, sondern ob wir ergreifen, dass der Schatz uns gefunden hat.

Die Perle ist so wunderschön, dass der Händler begreift, dass ohne diese Schönheit, sein Leben arm ist. Er muss all das von dem er bisher geglaubt hat, dass es schön ist, loslassen, weil sonst seinem Leben genau die Schönheit fehlt, die ihn zu dem macht, der er sein kann.

Eine Mutter hat mir erzählt, wie die Geburt ihres Enkelkindes, ihren Sohn mit einem Mal befähigt hat, über seine Gefühle zu sprechen. Nicht er hat seiner Tochter das Leben geschenkt, sondern seine Tochter hat ihm angeboten ihm das Leben zu schenken, wenn er es denn zulässt.

Immer wieder sucht die Perle uns, damit wir durch ihre Schönheit, die werden, die wir sein können. Das ist zuallererst und am Allerdeutlichsten, wenn wir sagen: ich habe eine Freundin, einen Freund gefunden, ich habe einen Menschen gefunden, den ich liebe. Plötzlich spüren wir, dass nicht nur wir gefunden haben, sondern dass wir auch gefunden worden sind. Dass die Zuwendung zum anderen, etwas in uns zum Leben erweckt und sichtbar macht, dass wir selbst nicht sehen konnten, dass wir selbst nicht leben konnten, würden wir nicht zulassen, dass wir verändert werden, durch das Einmalige, das der andere in unser Leben bringt. Die Schönheit des anderen macht uns selbst schön.

Aber es gibt nicht nur ein Gefundensein, wenn es um die Liebe geht, die man Eros oder Amor nennt. Die Schönheit findet uns auch dort, wo wir sie vielleicht nie gesucht hätten.

 

Wir werden auch gefunden, in der Liebe, die Caritas heißt. Der Schatz im Acker, die kostbare Perle, kann auch die Demenz oder das Leiden eines anderen Menschen sein. Diese Perle findet sich im Pflegeheim, genauso wie im Krankenzimmer oder im Hospiz. Wer jetzt nicht davonläuft, sondern seine Zeit und seinen Alltag verkauft, um Zeit zu haben für den anderen, wird dadurch schön. Die Pflege, des Begleiten, dass Dabeisein beim Leid und vielleicht beim Sterben, sucht uns und wenn wir uns finden lassen, werden wir reich. Ganz anders als beim Eros, aber nicht weniger schön.

 

So schrecklich diese Pandemie ist, so überdeutlich hat sie auch gezeigt, dass diese Krankheit auch zum Schatz im Acker werden kann. Wie viele Jugendliche und Erwachsene haben erfahren, dass die ehrenamtliche Zeit und Kraft, die sie in dieser Zeit verschenken, ihr Leben reich und schön gemacht hat.

Was gebe ich von den Perlen auf, von denen ich bisher geglaubt habe, dass sie besonders und wichtig sind, um die Erfahrung zu machen, diese eine dunkle schwarze Perle, bringt in mir eine Schönheit und eine Liebe zum Vorschein, die ich nicht entdeckt hätte, wenn ich mich von dieser dunklen Perle, nicht hätte finden lassen?

 

Das feiern wir, wenn wir  Eucharistie feiern. Wir selbst sind die kostbare Perle, für die Christus sein Leben hingibt. Wir sind der Schatz im Acker, für den er seinen Himmel, seine Allmacht, seine Unsterblichkeit, hingegeben hat, um uns zu gewinnen. Nachher wird auf einen roten Stoff die Hostie gelegt. So, wie wenn beim Juwelier, eine besonders kostbare Perle, dem Käufer gezeigt wird. An uns liegt es dann, ob wir begreifen: ich bin gefunden, von dem, der seine Schönheit, seine Göttlichkeit, seine Liebe mit uns teilen möchte, damit ich fähig werde Eros, Armor und Caritas mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, und mit all meinen Gedanken zu leben, wenn sie unser Leben berühren und anfragen, ob wir gefunden sein wollen?

 

Das Buch endet damit, dass Gregorius nach Bern zurückkehrt. Die Reise nach Lissabon, war im Rückblick, seine intensivste und schönste Zeit, sein Leben zu begreifen. Und es war zugleich,  wie sich auf den letzten Seiten herausstellt, seine letzte Chance.  Er kehrt zurück, um ins Krankenhaus zu gehen, wegen einem Tumor. Das Buch, das Wort Portugesch war seine Perle und sein Schatz und er hat sich finden lassen.

 

Noch einmal der Brief an seinen Rektor und Freund: ….