Das Licht

Immer wieder begegnen mir während des Tages Menschen in der Apostelkirche. Viele Viernheimer besuchen das Gotteshaus, um am Marienaltar eine Kerze zu entzünden, verweilen einen Augenblick, sprechen vielleicht ein Gebet für sich selber oder einen anderen Menschen und gehen dann wieder.

Die Kerze aber brennt weiter, auch wenn der Betreffende selber schon wieder gegangen ist. Sie brennt weiter für das Anliegen, das dieser Mensch in die Apostelkirche getragen hat. Sie brennt „stellvertretend.“ Wenn ich am Kerzenmeer vor der Muttergottes vorbeigehe, denke ich oftmals: Wie viel Freude und Leid, wie viel Gelingen und Scheitern, wie viel Bitte und Dank haben die Menschen heute wieder an diesen Ort getragen.

Aber was hat es auf sich mit der Bedeutung des Lichtes? In allen Kulturen, bei allen Völkern, in allen Religionen begegnen wir dem Licht. Es ist die Quelle des Lebens. Licht bedeutet Orieniterung, Wärme und Leben. Der Gegensatz zum Licht ist Dunkelheit. Sie bedeutet Orientierungslosigkeit, Bedrohung, Tod.

Auch im Christentum hat das Licht eine grundlegende Bedeutung. Werfen wir einen Blick in die Heilige Schrift, dann stellen wir fest, dass in der Bibel das Licht vor allem als Methapher gebraucht wird. Als Kontrast zur Finsternis schafft Gott das Licht (Genesis 1,3). Im Alten Testament steht das Licht außerdem für das Gute, Hilfreiche und Hoffnungsvolle. „Gott ist das Licht“ heißt es in Psalm 27.

Auch im Neuen Testament spielt die Symbolik des Lichtes eine bedeutende Rolle. So wird beispielsweise die Herrlichkeit Gottes mit einem unbeschreiblichen Lichtglanz verglichen, wie in der Erzählung von der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor (Lukas 9,28-36). Von ähnlichen Lichterlebnissen sprechen auch die Mystiker. In der Geschichte der Spiritualität und in der christlichen Mystik begegnen uns unzählige Bilder, die den Kontrast von Licht und Finsternis aufnehmen. So schreibt Mechthild von Magdeburg ein Buch mit dem Titel „Das fließende Licht der Gottheit“ und Hildegard von Bingen berichtet: „Das Licht, das ich schaue, ist an keinen Ort gebunden, es ist unendlich heller als eine Wolke, die die Sonne trägt.“

Im Johannesevangelium ist die Lichtsymbolik besonders ausgeprägt. Dort sagt Jesus von sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben (Johannes 8,12).“ Darum fordert Jesus auch von seinen Jüngern, Licht zu sein und das Licht weiterzugeben. „Ihr seid das Licht der Welt“ heißt es im Matthäusevangelium (Mt 5,14).

Kaum ein anderes Symbol hat daher in der Liturgie und in der Gestaltung des Kirchenjahres eine so große Bedeutung wie das Licht. Die Roratemessen in der Adventszeit, die Lichter auf dem Adventskranz und am Weihnachtsbaum, sie erinnern uns an das Wechselspiel von Licht und Finsternis im Leben der Natur, im Leben des Menschen und auf dem Weg des Glaubens. Die Segnung der Kerzen am Fest der Darstellung des Herrn (Maria Lichtmess), das feierliche Licht der Osternacht, die Kerzen auf den Gräbern am Allerheiligentag und die Lichterprozessionen, sie halten in uns die Erinnerung lebendig, wie wichtig das Licht für unser Leben ist. Und schließlich die Lichtsymbolik bei jedem Gottesdienst: Die Kerzen am Altar, am Ambo und am Tabernakel sowie die Flambokerzen an Sonntagen und Hochfesten – sie sprechen im gottesdienstlichen Geschehen die eigene Sprache des Lichtes, der sich verzehrenden Hingabe, der lebensspenden Wärme, die uns im verkündeten Wort Gottes und im Brot des Lebens, das Jesus Christus ist, geschenkt wird.

Es bleibt die Frage: Warum übt das Licht einer Kerze eine solche Faszination auf den Menschen aus? Wer Licht erkennen will, muss auch die Finsternis kennen. Wer Licht will, muss die Finsternis zulassen. Das Licht will uns ermutigen, die Gegensätze des Lebens wahrzunehmen und anzunehmen: Licht und Finsternis, Freude und Leid, Lust und Frust, Gelingen und Scheitern, Schuld und Vergebung, Leben und Tod – nicht nur in der äußeren Welt, sondern auch in sich selber. Dies ist eine der wesentlichen Herausforderungen auf dem Lebens- und Glaubensweg des Menschen. Und daran erinnert uns das Licht der Kerze.

Wenn der Pfarrer in der Osternacht die dunkle Kirche mit der Osterkerze betritt, dann trägt er nicht nur eine brennende Kerze, sondern er trägt mit dem Symbol der Osterkerze all das, was unser Menschsein ausmacht, was wir durchlebt und durchbetet haben: Unseren Alltag, unser Hinausgehen aus der Geborgenheit und Sicherheit, die Erfahrungen von Licht und Dunkelheit, von Unvermögen und Schmerzlichem. Und so wie wir in der Osternacht unsere kleine Kerze an der Osterkerze entzünden, so bitten wir darum, soll Jesus Christus unser Leben erhellen und erleuchten, damit wir immer tiefer hineinwachsen in seine Liebe. Dieses Licht will uns entflammen mit der Hoffnung aus dem Glauben. Dieses Licht will uns zusprechen, dass uns die Kraft innewohnt, die Herausforderung des Lebens zu bestehen.
 
Das Exultet, der Lobgesang auf die Osternacht, fasst dies in wunderbaren Worten zusammen:

„O Licht, der wunderbaren Nacht,
uns herrlich aufgegangen,
Licht, das Erlösung uns gebracht,
da wir vom Tod umfangen,
du Funke aus des Grabes Stein,
du Morgenstern, du Gnadenschein,
der Wahrheit Licht und Leben.“ 

Angela Eckart