Interview mit Ex-Generalvikar Martin Luley

Datum:
Di. 1. Okt. 1996
Von:
MBN

Er war zwei Jahrzehnte das "zweite Ich” des Bischofs. Jetzt tritt Prälat Martin Luley (70) als Generalvikar in den Ruhestand. 23 Jahre lang war er der Verwaltungschef des Bistums Mainz.

Edwin Burger hat nachgefragt:

Der Generalvikar ist die erste Zielscheibe, wenn es von außen Kritik gibt.
Waren Sie eine Art “Krisenmanager”?

LULEY: Das Wort Krisenmanager hängt mir seit dem Papstbesuch in Mainz an. Damals ging es um die Vorbereitung des Papstbesuches und die Sorge für einen geregelten Ablauf - also um rein organisatorische Aufgaben. Ich höre das Wort nicht gern, weil ich mich auch nicht so fühle. Sicher war ich bei auftretenden Schwierigkeiten in den Gemeinden und Verbänden im Bistum oft tangiert. Hier habe ich mich dann einvernehmlich mit allen Betroffenen um Beilegung der Schwierigkeiten bemüht. Aber das war nicht immer möglich, dann mußten auch Entscheidungen getroffen werden. Dies ging oft nicht ohne Kritik ab. Für berechtigte Kritik war ich immer offen, doch mußte ich auch verletztende, diffamierende Kritik hinnehmen, was nicht immer leicht war.

Patres haben ihre Ordensbrüder, Pfarrer ihre Gemeinde. Der Generalvikar ist nicht eingebunden in eine solche Gemeinschaft. 
Wo sucht er sich "seine Gemeinde"?

LULEY: Der Generalvikar ist Mitglied des Domkapitels, also einer geistlichen Gemeinschaft. Hier ist er eingebunden und findet brüderliche Unterstützung. Aufgetragen ist dem Domkapitel die Feier des gemeinsamen Chorgebetes und der Stiftsgottesdienste im Dom. Darüber hinaus pflege ich brüderliche Nähe zu Freunden aus Gemeinden, in denen ich früher tätig war.

Sie waren dienstältester Generalvikar in Deutschland. 
Waren Sie so etwas wie der “primus inter pares” (Erster unter Gleichen)?

LULEY: Wenn man das Vertrauen seines Bischofs hat und eine stabile Gesundheit, wird man eines Tages Dienstältester bei den Generalvikaren. Das ist kein Amt, sondern man ist Bruder unter Brüdern. Ich habe meinen Kollegen viel zu danken für Anregungen und Hilfe. Dies beruht natürlich auf Gegenseitigkeit.

Hat sich das Bild des Generalvikars gewandelt? 
War das Bischöfliche Ordinariat anfangs personell auch so stark besetzt? 
Ist das "Verwalten" schwierigergeworden?

LULEY: Für mich hat sich das Bild vom Generalvikar während meiner Dienstzeit nicht sonderlich gewandelt. Allerdings ist das Bischöfliche Ordinariat personell sehr gewachsen. Das hatte zum einen verwaltungstechnische Gründe, beispielsweise wurde die Personalverwaltung zusammengefaßt, die früher auf viele Einrichtungen verteilt war (Schulen, Beratungsdienste, Heime, Bildungseinrichtungen), um sie effektiver und kostengünstiger zu gestalten. Zum anderen trifft die Seelsorge und die Verkündigung heute auf eine Gesellschaft, die vielgestaltiger ist und einen differenzierteren Zugang erfordert. Dazu einige Stichworte: Seelsorge für Alleinerziehende, verschiedene Beratungsdienste, Arbeitsloseninitiativen, Einsatz für Friede und Gerechtigkeit, Seniorenseelsorge, Herausforderung durch neue Medien. Das erfordert zusätzliche Mitarbeiter, die sich spezialisieren.

In den 20 Jahren als Generalvikar haben sich die seelsorglichen Strukturen 
gravierend verändert. Sie haben die kooperative Seelsorge stark gefördert. 
Was ist erreicht?

LULEY: Es ging nicht um die Veränderungen um der Veränderung willen. Die Lebensräume der Menschen haben sich geändert, gleichzeitig haben sich die Gewichte zwischen den Berufsgruppen in der Seelsorge (Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten) verschoben. Also mußten auch Strukturen geändert werden, um die Seelsorge anzupassen. Die Grundlagen für eine kooperative Pastoral sind gelegt, ein Anfang ist gemacht. Doch es bleibt noch viel zu tun, damit alle hauptamtlichen Mitarbeiter, Laien, Priester und Ehrenamtliche ihren Platz finden und ihr Charisma einbringen. Ziel ist, daß wir Kirche werden und aufbauen, nicht nur als Institution oder, wie manche verächtlich sagen, als Instrument der Macht, sondern als geschwisterliche Gemeinschaft derer, die im Glauben, in der Hoffnung und Liebe mit Christus verbunden sind und davon Zeugnis geben.

Sie waren zehn Jahre Pfarrer in der Pfarrei Sankt Thomas Morus in Gießen. 
Dort haben Sie in den ersten beiden Jahren alle Familien in der Pfarrei besucht. 
Ist das heute den Pfarrern noch möglich?

LULEY: Bezogen auf den einzelnen Pfarrer ist das heute sicher schwieriger. Das liegt schon daran, daß es weniger Priester gibt. Gleichzeitig gilt: Seelsorge muß heute mehr noch als früher personal sein, das heißt, den Menschen suchen, ihm begegnen, wo es möglich ist. Dies kann durch Hausbesuche geschehen, bei Kranken- und Altenbesuchen oder sonstwie. Ohne diesen personalen Kontakt wird eine missionarische Seelsorge heute nicht möglich sein.

Sie haben auch über den eigenen Zaun hinausgeschaut. 
Besonders die Aussöhnung mit Polen lag Ihnen am Herzen. 
Sie waren oft dort, aber auch in Korea, Brasilien und in der Ukraine. 
Was bedeutet Ihnen das?

LULEY: Kardinal Volk sagte mir: "Wer nur an sich denkt und nur für sich sorgt, sorgt schlecht für sich." So habe ich bald über die Grenzen des Bistums hinausgeschaut zu anderen Teilkirchen wie auf die Gesamtkirche. Viel Hilfe konnte ich da vermitteln als Beauftragter der Diözese für das Bonifatiuswerk und als Beauftragter für Renovabis, das heißt für die Hilfe im Osten. Vor allen Dingen konnte ich immer wieder Hilfe zur Selbsthilfe geben. Es freut mich, daß ich auch diese Aufgaben im Auftrag des Bischofs noch weiter führen darf und so Gott will auch weiterhin als Priester für die Menschen in Kirche und Welt zur Verfügung stehen kann. Als Generalvikar kann man in Ruhe gehen, das heißt, das Amt wird mein Nachfolger übernehmen. Als Priester kenne ich keinen Ruhestand.

Interview aus: „Glaube und Leben“.
Kirchenzeitung für das Bistum Mainz, Nr. 40, 6. Oktober 1996, S. 14

(„Glaube und Leben“ erscheint jede Woche mit aktuellen Nachrichten aus Bistum, Weltkirche und Gesellschaft. Redaktion: Liebfrauenplatz 10, 55116 Mainz; Postanschrift: Postfach 2049, 55010 Mainz, Tel. 06131/287 55-0; Fax -22)