Mainz. „Eine uns geläufige Gestalt von Kirche stirbt, so drastisch muss man es sagen. Und eine neue Gestalt, die tragfähig ist, hat noch nicht Gestalt angenommen.“ Das sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf mit Blick auf „die großen Veränderungsprozesse der Kirche“ am Montagabend, 29. März, in seiner Predigt in der traditionellen Missa Chrismatis im Mainzer Dom.
Und weiter betonte Kohlgraf: „Viele unserer Diskussionen - auch bei uns im Bistum - gehen nicht in die Tiefe, sie bleiben bei Äußerlichkeiten stehen. Dennoch glaube ich, dass viele unserer Gläubigen, die ehrlich hinschauen, die Dramatik der Situation erkennen. Wir sollten nicht zu viel Energie und Kraft in die sicher notwendigen Strukturen stecken. Vielmehr sollten wir den laufenden Prozess geistlich gestalten, indem wir an einer überzeugenden und den Menschen zugewandten Form der Kirche arbeiten, die dem Sendungsauftrag des Evangeliums gerecht wird.“
Wörtlich heißt es in der Predigt des Bischofs: „Ein derartiger Sterbe- oder Veränderungsprozess ist nicht der Tod der Kirche. Ich bin fest von den Möglichkeiten Gottes überzeugt. Die Entwicklung von Gläubigen zu selbst-handelnden und betenden Menschen kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Und: Selbst ein ehrlicher Umgang mit den Verbrechen in der Kirche und ihrem Versagen birgt in sich die Chance auf eine menschenfreundlichere Form und eine tiefere Geschwisterlichkeit aller Gläubigen, ja auch mit allen Menschen. Wer leugnet, dass derartige Vorfälle irgendetwas auch mit systemischen Fragen zu tun hat, will es wohl nicht wissen. Wenn ein Soziologe den endgültigen Tod der Kirche in zwanzig Jahren prophezeit, wäre ich bereit, eine Wette abzuschließen, die ich gewinnen werde. Es wird die Kirche geben, aber anders.“
Kennzeichen „einer neuen Form von Kirche“
Als Kennzeichen „einer neuen Form von Kirche“ benannte Kohlgraf: „Da gäbe es viel zu sagen: Der Umgang mit Macht über andere muss verändert werden, viele ersehnen zutiefst eine geschlechtergerechte Kirche, eine Kirche, die auch denen zugewandt ist, die nicht ihrem Ideal entsprechen, eine Kirche, die das nachahmt, was Jesus von sich sagt: ‚Ich will alle an mich ziehen‘ (vgl. Joh 12,32) - und niemanden abstoßen. Das bedeutet keine Beliebigkeit der kirchlichen Botschaft. Allerdings sehe ich ihre Bedeutung nicht im Verurteilen einzelner Menschen oder Gruppen, sondern im Einsatz gerade für die Schwachen und die Menschen am Rande. Diese Themen beschäftigen uns zu Recht. Es muss gegen alle Vorurteile gesagt werden: Es geht nicht um eine billige Anpassung an irgendwelche Moden. Es geht um den Menschen und das Ernstnehmen des Evangeliums.“
Und weiter sagte der Bischof: „Es gilt, noch mehr eine Kirche zu werden, die die Zeichen der Zeit versteht und nicht wegwischt. Wir werden nicht umhinkommen, immer mehr eine Theologie und Verkündigung zu entwickeln, die sich im Gespräch mit allen Menschen bewährt, gerade auch mit Gebildeten und Wissenschaftlern, und die überzeugen kann. Das nimmt selbstverständlich auch die Bischöfe in die Pflicht. Alle, die sich um die Kirche und ihren Auftrag sorgen, müssen besser die Absicht verstehen, was es bedeutet, eine Kirche zu sein, die hinausgeht, und die nicht nur Türen öffnet für die Menschen, die kommen.“
Als positive Entwicklung würdigte Kohlgraf, dass aufgrund der Erfahrung geschlossener Kirchen während der Corona-Pandemie Menschen selbst angefangen hätten, Hausgottesdienste zu feiern: „Das gemeinsame Priestertum wird so verwirklicht; oft sprechen wir davon ja nur im Hinblick auf Leitungsfragen in der Kirche. Menschen geben vor anderen Zeugnis über ihren Glauben ab, sie beten mit anderen. Und bestimmt haben viele Menschen in diesen Monaten gemerkt, dass es tatsächlich nicht peinlich sein muss, den Glauben mit anderen zu leben“, betonte Kohlgraf. Und weiter: „Diese positive Entwicklung bleibt hoffentlich über die Pandemie hinaus erhalten. Ich bin davon überzeugt, dass diese Hausgottesdienste keine Konkurrenz zum Gemeindegottesdienst sein müssen. Zu tief sitzt in vielen Menschen die Sehnsucht nach Feier, nach Gemeinschaft, nach Festlichkeit, nach Begegnung und Stärkung durch andere.“
Weihe der Heiligen Öle
Im Rahmen der Missa Chrismatis weihte Kohlgraf das Katechumenenöl (mit dem der Taufbewerber gesalbt wird), das Krankenöl (zur Spendung der Krankensalbung) und das Chrisam (das bei der Spendung der Taufe, des Firmsakramentes und der Priesterweihe Verwendung findet). Am Ende des Gottesdienstes nahmen die Dekane die Heiligen Öle in Empfang, um sie in die Pfarrgemeinden ihres Dekanates mitzunehmen. Bei dem Gottesdienst hatten die anwesenden Priester außerdem ihre Bereitschaftserklärung zum priesterlichen Dienst erneuert.
Da aufgrund der Corona-Beschränkungen nur eine kleine Teilnehmerzahl in den Mainzer Dom kommen konnte, hatte Bischof Kohlgraf stellvertretend für die größere Gemeinschaft, die traditionell an diesem Gottesdienst teilnimmt, zusammen mit dem Mainzer Domkapitel, den Dekanen sowie Vertretern von Priester- und Diakonenrat, Vertreterinnen und Vertretern der Ordensgemeinschaften, der pastoralen Räte und der diözesanen Räte gefeiert. Coronabedingt konnte im Anschluss an den Gottesdienst auch der sonst übliche Begegnungstag der Priester nicht stattfinden.