Aufarbeitung sexualisierter Gewalt darf nicht nur Aufgabe von Spezialisten sein

Pater Hans Zollner bei Fachtag gegen sexualisierte Gewalt mit über 200 Teilnehmern

Mainz, 3. Juni 2024: Aufarbeitung sexualisierter Gewalt dürfe nicht nur Aufgabe von Spezialisten sein, forderte Stephanie Rieth. (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
Mo. 3. Juni 2024
Von:
tob (MBN)

Mainz. Mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fand unter der Überschrift „Gegen sexualisierte Gewalt. Von der Konzeption ins Leben. Perspektiven auf Prävention, Intervention und Aufarbeitung“ der erste Fachtag zum Thema im Bistum Mainz statt. „Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche darf nicht nur eine Sache von wenigen Spezialisten sein“, betonte Ordinariatsdirektorin Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars, bei ihrer Begrüßung. 

Mainz, 3. Juni 2024: Den Hauptvortrag des Tages hielt Pater Hans Zollner SJ. (c) Bistum Mainz / Blum

„Das geht uns alle an, jede und jeder ist gefragt, an jedem Ort kirchlichen Wirkens und Handelns, die Konzepte im Umgang mit sexualisierter Gewalt ins Leben zu bringen, zu leben, sie als Haltung zu leben! Jede und jeder hat Verantwortung, die sich unterschiedlich gestaltet und niemand kann sich davon freimachen. Es ist notwendig, dass wir uns immer wieder auch Perspektiven auf unsere Arbeit geben lassen, die wir selbst nicht haben und dass wir darüber in einem aufrichtigen Dialog sind“, sagte Rieth, die im Bistum Mainz unter anderem für Intervention, Prävention und Aufarbeitung zuständig ist. Der Fachtag fand ganztägig am Montag, 3. Juni, im Erbacher Hof in Mainz statt. 

In ihrer Begrüßung ging Rieth auch auf die Entwicklung einer Erinnerungskultur für den Veranstaltungsort Erbacher Hof ein: „Wir sehen in diesem Gebäude Spuren von Menschen, die für unsere Bistumsgeschichte Bedeutung haben, aber eben auch Spuren von Menschen, die sich in unterschiedlicher Weise verfehlt haben, moralisch höchst verwerflich gehandelt haben, gegenüber Betroffenen von Missbrauch, Meldenden, Mitarbeitenden, und ja, damit auch gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft selbst. Warum heißt der Kardinal Volk-Saal noch so? Nicht, weil wir dies ignorieren. Sondern, weil es mit dem Umbenennen eines Raumes nicht getan ist. Wir arbeiten derzeit mit großem - auch personellem - Einsatz daran, in durch Missbrauch irritierten Systemen eine gute, und für den einzelnen Ort angemessene und passende Erinnerungskultur zu erarbeiten unter Beteiligung aller, die dazu an einen Tisch gehören: Pastorale Mitarbeiterinnen und - mitarbeiter, Gremienmitglieder, die Stadt oder die Kommune und Betroffene oder Betroffenenvertreter/innen. Wir geben keine Lösung vor, die Lösung muss in einem gemeinsamen Prozess gefunden werden. Dazu haben wir an einigen Orten schon gute Erfahrungen gemacht.“ Diese Arbeitsweise gelte in ganz besonderer Weise auch für den Erbacher Hof und für den Dom, für die Arbeitsgruppen eingerichtet worden seien. „Ich bin sicher, dass wir im nächsten Jahr in anderer Weise Spuren sehen werden“, sagte Rieth. Sie bedankte sich unter anderem bei den Mitgliedern des neu gegründeten Betroffenenbeirates für das Bistum Mainz, die teilweise auch am Fachtag teilnahmen und sich einbrachten.

Vortrag von Pater Zollner

Mainz, 3. Juni 2024: Stephanie Rieth im Gespräch mit Pater Hans Zollner. (c) Bistum Mainz / Blum

Den Hauptvortrag des Tages hielt Pater Hans Zollner SJ, Leiter des „Institutes für Anthropologie – Interdisziplinäre Studien zur Menschenwürde und zu Sorge für Schutzbefohlene“ an der der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er sprach zum Thema „Systemische Aspekte von Missbrauch und Aufarbeitung in der Katholischen Kirche weltweit“. Er machte deutlich, dass es einen Mentalitätswechsel im System Kirche brauche. Neben der notwendigen Aufarbeitung, Präventionsmaßnahmen, Schutzkonzepten und Leitlinien müsse es gelingen, diese Regelungen und Konzepte in der Kirche mit Leben zu füllen, um ein umfassendes „Safeguarding“ zu erreichen: „All diese Maßnahmen reichen nicht aus, solange sie nur auf dem Papier bestehen. Es braucht eine Haltung, bei der sichere Räume, sichere Prozesse und sichere Beziehungen geschaffen werden.“

Zollner machte unter anderem deutlich, dass der Begriff „Aufarbeitung“ im Deutschen nicht eindeutig sei und oftmals Betroffene und Kirchenvertreter ein unterschiedliches Verständnis davon hätten. Deswegen sei es bereits ein wichtiger Schritt, wenn sich alle Beteiligten darüber austauschen würden. Für die Kirche sei es stets auch wichtig zu fragen, wo die Expertise von Betroffenen im Aufarbeitungsprozess eingebunden werde. Zollner stand im Anschluss noch rund 90 Minuten für Fragen und Gespräch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Verfügung.

Mainz, 3. Juni 2024: Die Delattre Dance Company aus Mainz zeigte Ausschnitte des Balletts „Voices for the Forgotten“. (c) Bistum Mainz / Matschak

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf nahm ab dem Nachmittag am Fachtag statt. Kohlgraf machte in seinem Statement zum Abschluss des Tages deutlich, dass er davon überzeugt ist, dass das Thema Aufarbeitung das Bistum über seine Amtszeit hinaus begleiten wird: „Wir werden keinen Haken daran setzen.“ Der notwendige Mentalitätswechsel sei eine Aufgabe, die das Bistum angegangen sei im Bewusstsein, dass es ein lange andauernder Prozess sein werde.

Nach dem Hauptvortrag gestaltete Stephanie Rieth in der St. Bernhards-Kapelle einen Geistlichen Impuls. Nach dem Mittagessen fand vor der Kircher St, Christoph in der Mainzer Innenstadt eine „künstlerische Intervention“ statt. Die Delattre Dance Company aus Mainz zeigte Ausschnitte des Balletts „Voices for the Forgotten“. Das Stück ist Teil des Tanzabends „Impact“, der im März Premiere hatte. Im Anschluss fanden insgesamt sieben verschiedene Themenforen statt. Die Moderation des Tages hatte die Mediatorin Dr. Annette Oschmann übernommen, die im Bistum auch die Sitzungen der unabhängigen Aufarbeitungskommission moderiert.