Mainz. Zwangsverheiratung und patriarchale Gewalt waren Schwerpunkt bei einem Thementag, den die Menschrechts- und Frauenhilfsorganisation SOLWODI, gemeinsam mit den Frauen im Bistum Mainz und dem Internationalen Katholischen Missionswerk missio e. V. unter der Überschrift „Nein, ich will nicht“ am Dienstag, 18. November, in St. Antonius in Mainz veranstaltet hat. Die Bevollmächtigte des Generalvikars, Ordinariatsdirektorin Stephanie Rieth, würdigte das Engagement für das Thema: „Wir dürfen nicht müde werden, den Blick und die Wahrnehmung auf die Strukturen und Systeme zu schärfen, hinsehen, nicht wegschauen, aber auch ganz konkrete Hilfsangebote machen, sich ansprechbar zeigen, geschützte Räume in allen gesellschaftlichen Kontexten anbieten.“
Neben dem Gespräch brauche es vor allem Vernetzung, zu dem der Thementag ein wichtiger Baustein sei. „Als Frau, die gestartet ist, um gemeinsam mit Männern, patriarchale Strukturen aufzubrechen und Systeme zu hinterfragen, bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihr Engagement und allen Teilnehmenden für ihr Interesse - heute an diesem Tag und weit darüber hinaus. Wir als Katholische Kirche im Bistum Mainz stehen dabei an Ihrer Seite.“
Sie sei froh, dass der Thementag von katholischen Trägern angeboten worden sei. Schließlich sei die Frage berechtigt, ob nicht gerade die Katholische Kirche für ein System stehe, „das bis heute in tiefen patriarchalen und mehr noch klerikalen Strukturen verhaftet ist“. Rieth erläuterte das Anliegen, das mit dem im Bistum Mainz im Jahr 2022 neu geschaffenen Amt der Bevollmächtigten des Generalvikars verbunden ist: „Wir haben uns für dieses Amt entschieden, weil wir aus der Geschichte unserer Kirche wissen, dass patriarchale, einseitige Strukturen anfällig für Missbrauch sind, Missbrauch in jeglicher Weise begünstigen. Und wir wissen auch aus der Geschichte - nicht zuletzt aus der Aufarbeitungsstudie des Bistums (EVV), dass es der Missbrauch von Macht ist, der die Ursache für jegliche weitere Form von Missbrauch ist: den spirituellen, psychischen, körperlichen oder sexuellen.“
Dabei geht es nicht darum, Macht klein- oder schlecht zu reden, sagte Rieth: „Es braucht ein Machtbewusstsein, das heißt auch eine Sensibilität für Machtgefälle, eine Kultur der Achtsamkeit, die dazu führt dass wir Macht angemessen nutzen, verantwortet damit umgehen.“ Und weiter: „Welche Perspektive bringe ich dabei mit ein: eine, die meine beiden männlichen Kollegen in der Bistumsleitung nicht haben, weil sie Kleriker sind, weil sie keine Frau, keine Kinder haben, nicht täglich erleben, was es bedeutet, wenn Kinder zu Jugendlichen und Erwachsenen werden und sich dabei mit der eigenen Identität, mit Rollenmustern und -Bildern auseinandersetzen müssen und gesund und stark großwerden wollen mit einem Selbststand, der hilft eine Gesellschaft in die richtige Richtung zu entwickeln.“
Bei der vorangegangenen Podiumsdiskussion mit der rheinland-pfälzischen Staatsministerin Katharina Binz, Evin Jakob vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, Alexandra Esch vom Verein FEMMA, der das Mädchenhaus in Mainz betreibt, und Martina Turgut von SOLWODI ging es unter anderem darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Zwangsheirat sehr wohl auch in Deutschland vorkommt, es aber eine sehr hohe Dunkelziffer in diesem Bereich gibt. Neben eindrücklichen Berichten aus beraterischer und polizeilicher Praxis verwies Turgut auf die verschiedenen Mainzer Fachberatungen von Mädchenhaus, Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und SOLWODI. Die Diskussion wurde von der Journalistin Anja Schneider (SWR) moderiert. Im Rahmen des Thementages wurde außerdem eine Ausstellung mit Kunstwerken von betroffenen Frauen und Mädchen sowie Fakten und Informationen zum Thema gezeigt. Am Nachmittag fand darüber hinaus ein Fachgespräch statt, bei dem insbesondere die Situation in Pakistan beleuchtet wurde.