Die Ausstellung ermöglicht einerseits einen Blick auf die Welt des mittelalterlichen Wissens; zum anderen gibt sie auch Einblicke in die paläografische Forschung, indem sie etwa darstellt, wie ein mittelalterliches Manuskript entziffert wird.
Das Besondere an den Fragmenten aus der Martinus-Bibliothek sei „das außerordentlich weite Spektrum nach Zeit und Herkunft der Texte", sagte der Mainzer Altphilologe Professor Dr. Jürgen Blänsdorf. Vor Journalisten wies er am Montag, 16. April, darauf hin, dass die Fragmente aus der Zeit vom vierten Jahrhundert vor Christus bis ins 15. Jahrhundert reichten und damit „ein großes Stück Bildungs- und Schriftgeschichte darstellen". Eine weitere Besonderheit sei, dass die Fragmente der entdeckten Aristoteles-Texte eine etwa 100 Jahre ältere Textstufe böten als die bekannten lateinischen Übersetzungen von Wilhelm von Moerbeke (etwa 1215-1286). Professor Blänsdorf und Dr. Helmut Hinkel, Direktor der Martinus-Bibliothek, sind Kuratoren der Ausstellung.
Die Pergament-Codices waren ab dem Ende des 15. Jahrhunderts mit dem Aufkommen des Buchdrucks zerschnitten und als Einbandhilfe für Inkunabeln verwendet worden. Dabei sei keinerlei Rücksicht auf den Inhalt genommen worden, sagte Blänsdorf. Teilweise wurden ganze Blätter mit bis zu acht Seiten gefunden. Durch diese Fragmente erhält die Forschung einen guten Einblick in die literarischen, theologischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Interessen des Mittelalters.
Zu der Ausstellung, die - bei freiem Eintritt - bis zum 27. Juli gezeigt wird, ist eine 132-seitige Publikation von Professor Blänsdorf mit dem Titel „Die wiedergefundene Bibliothek" erschienen. Der renommierte Mainzer Altphilologe wird bei der Vernissage am Dienstag, 17. April, um 18.15 Uhr den Einführungsvortrag in der Martinus-Bibliothek halten.
Der Direktor der Martinus-Bibliothek, Dr. Helmut Hinkel, wies bei der Pressekonferenz darauf hin, dass ein großer Teil der Funde der Arbeit des Mainzer Buchwissenschaftlers Dr. Franz Stephan Pelgen zu verdanken sei. Pelgen rekonstruiert für sein DFG-Projekt über den Wormser Weihbischof Stephan Alexander Würdtwein (1719-1796) dessen Gelehrtenbibliothek. Rund 800 Bände davon befinden sich in der Martinus-Bibliothek. Bei seiner Arbeit habe er rund 30.000 Bände aus der Martinus-Bibliothek für seine Forschungen in der Hand gehabt und rund 230 Fragmente entdeckt. Insgesamt besitzt die Bibliothek rund 300 Handschriften.
Dr. Christoph Winterer vom Handschriftencensus Rheinland-Pfalz hob die „sehr anerkennenswerte Arbeit" von Professor Blänsdorf hervor. Solche Fragment-Funde gebe es zwar häufig in Bibliotheken mit Inkunabeln, aber es mache sich kaum noch jemand die Arbeit, diese extrem schwierigen Schriften und vor allem die zahlreichen verwendeten Abkürzungen aufzulösen, betonte Winterer. Dank der Arbeit von Professor Blänsdorf sei ein richtiges Arbeitsbuch entstanden, mit dem Interessierte und Studenten gut arbeiten könnten.
Die Mainzer Martinus-Bibliothek präsentiert die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Klassische Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Drei Studenten des Seminars für Klassische Philologie (Dominic Bärsch, Natalia Poleacova und Anna Regenauer) verantworten das Ausstellungskonzept.
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