Mainz. Die Deutsche Bischofskonferenz folgt auch in diesem Jahr der Anregung von Papst Franziskus und lädt zum Gebetstag für Opfer sexuellen Missbrauchs ein. Dieser findet seit 2015 in zeitlicher Nähe zum „Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“ (18. November 2019) statt, der vom Europarat initiiert wurde.
In diesem Jahr wird empfohlen, den Gebetstag in den Tagen um den 33. Sonntag im Jahreskreis (17. November 2019) zu begehen. Mit dem Gebetstag soll ein Zeichen der Solidarität mit Menschen zum Ausdruck gebracht werden, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind.
Der Mainzer Bischof Peter hat anlässlich des Gebetstags einen Brief an alle Gläubigen im Bistum Mainz verfasst, der in allen Gottesdiensten im Bistum Mainz am Samstag, 16., und Sonntag, 17. November, verlesen werden soll. In dem Brief bittet Bischof Kohlgraf, das unabhängige Aufklärungsprojekt des Bistums Mainz „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“ zu unterstützen. Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut des Briefes:
Liebe Brüder und Schwestern im Glauben,
vor etwas mehr als einem Jahr, im September 2018, wurde die MHG-Studie veröffentlicht. Diese Studie war im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführt worden; sie brachte Erschütterndes ans Licht über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs durch Mitarbeiter der katholischen Kirche, sowie darüber, wie mit den Fällen sexuellen Missbrauchs in unserer Kirche, insbesondere von Seiten der Verantwortlichen, umgegangen wurde. Mir selbst – wie auch den anderen Bischöfen – war damals klar: Die MHG-Studie kann nur ein erster Schritt sein. Ihre Erkenntnisse zeigen uns, dass wir als Kirche einen langen Weg der Aufarbeitung vor uns haben. Diese Aufarbeitung können wir nicht aber selbst leisten, sondern wir müssen sie in die Hände von externen Fachleuten geben, die unabhängig und unparteiisch das Thema bearbeiten.
Das Bistum Mainz hat daher bereits im Juni Herrn Rechtsanwalt Ulrich Weber aus Regensburg beauftragt, ein Projekt zur Aufklärung der Missbrauchstaten durchzuführen. Wir haben in der Öffentlichkeit ausführlich darüber berichtet. Das Projekt trägt den Titel „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“. Es nimmt Taten sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt im Zeitraum von 1945 bis heute in den Blick und fragt insbesondere danach, wie in unserem Bistum damit umgegangen wurde.
In den vergangenen beiden Jahren meiner Amtszeit haben mir immer wieder Menschen von ihren Erfahrungen mit dem Thema Missbrauch erzählt. Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass bei vielen Menschen in unserem Bistum Wissen vorhanden ist über Fälle sexueller Gewalt sowie darüber, wie Verantwortungsträger damit umgingen, wenn sie davon erfuhren. Dieses verborgene Wissen ans Licht zu bringen und auszuwerten, ist uns ein großes Anliegen, das wir als Bistum mit diesem Projekt verfolgen.
Heute bitte ich Sie noch einmal um Beachtung des Projektes. Ich bitte alle, die Kenntnis haben von Taten sexueller Gewalt in unserem Bistum und dem Umgang damit, die Arbeit von Herrn Weber zu unterstützen und den Kontakt mit ihm zu suchen. Meine Bitte richtet sich an die Betroffenen, deren Familien und Freunde, aber auch an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Bistums, die Mitglieder der Gemeinden und alle, die irgendeiner Weise zur Aufklärung beitragen können. Herr Weber und sein Team sind unparteiisch und unabhängig, sie unterliegen keiner Weisung des Bistums. Alle Gespräche, die er oder sein Team führen, sind streng vertraulich. Es ist vereinbart, dass Herr Weber einen Untersuchungsbericht erstellt, der auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben werden wird. In diesem Untersuchungsbericht werden alle Angaben anonymisiert erscheinen.
Genauere Informationen zum Projekt „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen“, zum Vorgehen von Rechtsanwalt Weber und wie Sie mit ihm in Kontakt kommen können, entnehmen Sie bitte dem Flyer (Auslage in der Kirche) oder der Homepage des Bistums Mainz.
Das Leid derer, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind, lässt sich nicht ungeschehen machen, auch nicht die Versäumnisse und Verfehlungen der Verantwortlichen in unserer Kirche. Daran kann auch unser Bemühen heute nichts mehr ändern. Aber wir müssen den Betroffenen zuhören und wir müssen versuchen, umfassend aufzuklären, was geschehen ist, um daraus Konsequenzen ziehen zu können – für unseren Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch und für unsere Kirche insgesamt. Ohne unabhängige Aufarbeitung des Geschehenen gibt es keine wirksame Veränderung.
Ich bitte Sie daher, nach Möglichkeit die Arbeit von Herrn Weber zu unterstützen.
Ihr + Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz
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