Lehmann äußert sich anlässlich der Präsentation des Buches vor Journalisten am Dienstag, 8. April im Erbacher Hof in Mainz. Der 703-seitige Band dokumentiert das Schicksal von fast 6.000 Zwangsarbeitern, die während des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) zum Arbeitseinsatz in katholischen Einrichtungen verpflichtet waren. Neben einer historischen Einführung, einer Datendokumentation und Berichten aus den 27 deutschen Bistümern werden die Arbeit des Entschädigungsfonds der katholischen Kirche in Deutschland und die kirchlichen Versöhnungsinitiativen dargestellt. Herausgegeben wird das Buch von der Kommission für Zeitgeschichte im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz; es ist jetzt erschienen.
Weiter sagte Lehmann, dass die Entschädigungs- und Versöhnungsarbeit der katholischen Kirche von Anfang an mit der Aufgabe verknüpft gewesen sei, weitere Quellen aufzuarbeiten und wissenschaftlich auszuwerten. „Die Notwendigkeit wissenschaftlicher Begleitforschung war nicht nur der aktiven und systematischen Suche nach Fremdarbeitern in katholischen Einrichtungen geschuldet, wie sie in unseren Archiven durch den Einsatz einer großen Zahl von Engagierten vorbildlich geleistet worden ist. Der Wunsch der Bischöfe lag vielmehr in der tieferen Einsicht begründet, dass Entschädigung und Versöhnung in der historischen Erinnerung wurzeln und ohne sie richtungs- und letztlich leblos bleiben", sagte der Kardinal. Es dürfe nicht verschwiegen werden, dass auch die Erinnerung der katholischen Kirche „allzu lange blind war für das Schicksal und die Leiden der aus ganz Europa zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppten Männer, Frauen, Jugendlichen und Kinder". Die vorliegende Dokumentation arbeite dieses „vergessene Kapitel kirchlicher Zeitgeschichte" wissenschaftlich auf und rufe sie ins Gedächtnis zurück. Sie könne und solle aber nicht im Sinne einer Schlussbilanz verstanden werden, unterstrich Lehmann.
In der Publikation werden das Schicksal von 4.829 Fremdarbeitern und 1.075 Kriegsgefangenen, die während des Zweiten Weltkrieges zum Arbeitseinsatz in katholischen Einrichtungen verpflichtet waren, die Entschädigung und die kirchlichen Versöhnungsinitiativen umfassend dokumentiert. „Die vergleichsweise geringe Zahl nachgewiesener Arbeitskräfte, die oftmals kaum ein Jahr in katholischen Einrichtungen beschäftigt waren, erreicht gemessen an der Gesamtzahl von geschätzten 13 Millionen reichsweit eingesetzten Zwangsarbeitern nicht einmal die Promillegrenze", sagte der Kardinal. Dennoch blieben sie „eine historische Last, die unsere Kirche auch für die Zukunft herausfordert", unterstrich er: „Zwar gibt es keine Kollektivschuld, aber als Christen und Kirche wissen wir um die Verantwortung, die aus der Last der historischen Vergangenheit erwächst." Bis zum Abschluss der Suche nach ehemaligen Zwangsarbeitern am 31. Dezember 2004 wurde 587 Fremdarbeiter mit insgesamt 1,5 Millionen Euro entschädigt. Aus dem Versöhnungsfonds wurden 206 Projekte mit 2,71 Millionen Euro gefördert.
Dr. Karl-Joseph Hummel, Direktor der Forschungsstelle der Kommission für Zeitgeschichte, unterstrich in seinem Statement, dass der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in der katholischen Kirche nicht „flächendeckend" bzw. „nicht einmal die Regel" gewesen sei. Ein Programm „Vernichtung durch Arbeit" habe es in katholischen Einrichtungen nicht gegeben. Hummel verwies darauf, dass die Verfolgung der katholischen Kirche durch das nationalsozialistische Regime auch in den Kriegsjahren zugenommen habe; einen „Burgfrieden" habe es nicht gegeben. Gleichzeitig sei die Kirche ihrerseits mit der NS-Kriegsgesellschaft in vielfacher Weise verschränkt gewesen. Sie habe jedoch weltanschaulich einen klaren, christlich verwurzelten Abstand gehalten. Hummel bezeichnete diese Situation als „kooperativen Antagonismus".
In den Berichten aus den 27 deutschen Diözesen wird der je eigene Gang der Nachforschungen, die diözesangeschichtlichen Rahmenbedingungen, die Verhältnisse in den Einrichtungen und den Einsatz vornehmlich aus Polen und der Sowjetunion deportierter Männer und Frauen als Zwangsarbeiter geschildert. Zudem informieren die Berichte über die Bemühungen der Seelsorge und markante Einzelschicksale sowie über die seit dem Sommer 2000 erfolgten Versöhnungsinitiativen. Die Abschlussberichte des kirchlichen Entschädigungs- und Versöhnungsfonds, eine umfangreiche Datendokumentation sowie die offiziellen Presseverlautbarungen aus den Jahren 2000, 2004 und 2005 ergänzen die Ergebnisse aus den einzelnen deutschen Bistümern.
Der Bericht über das Bistum Mainz stammt vom Leiter des Dom- und Diözesanarchivs, Dr. Hermann-Josef Braun. Dort heißt es unter anderem: „Im Bistum Mainz beschränkte sich der Einsatz der wenigen in kirchlichen Einrichtungen nachweisbarer Zwangsarbeiter auf das Krankenhauswesen. Innerhalb der Krankenhäuser erfolgte der Einsatz im hauswirtschaftlichen Sektor ebenso wie im Pflegedienst. Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft sind wegen des Fehlens entsprechender Betriebe nicht nachweisbar." Den Angaben des Berichtes zufolge waren im Bistum Mainz währen des Zweiten Weltkrieges 13 Zwangsarbeiter beschäftigt.
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