„Das Gebet vor der Pietà macht realistisch“

Bischof Peter Kohlgraf eröffnete Dieburger Wallfahrt

Wallfahrt Dieburg (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
Fr. 7. Sept. 2018
Von:
tob (MBN)
Mainz. „Wer zur schmerzhaften Mutter betet, wer sich in ihre Situation hineinmeditiert, wird und bleibt sensibel für das Leid anderer.“ Das hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf in seiner Predigt bei der Wallfahrt zum Heiligtum der schmerzhaften Muttergottes nach Dieburg am Freitag, 7. September, im Eröffnungsgottesdienst betont.
Wallfahrt Dieburg (c) Bistum Mainz / Blum

Weiter sagte Kohlgraf: „Das Gebet vor der Pietà macht realistisch. Ich verdränge das Leid nicht, sondern teile es mit Maria und denen, die hier mit mir beten. Ich erkenne meine eigene Verantwortung, die ich trage.“ Auch er selbst sei schuldig geworden und habe anderen Menschen Leid verursacht, „in Gedanken, Worten und Werken, ich habe nicht hingeschaut, sondern das Gute unterlassen“, sagte Kohlgraf. „Das wird mir im Gebet vor dem Marienbild deutlich. Wer hier vor dem Bild Marias betet, weicht der Frage nach der eigenen Verantwortung nicht aus, sondern stellt sich ihr und zieht die nötigen Konsequenzen.“ Das Umsetzen dieser Verantwortung dürfe man jedoch nicht einfach vertagen, sagte Kohlgraf: „Vieles kann ich nicht auf die lange Bank schieben. Ich muss jetzt beginnen, mein Leben zu ordnen, Dinge anzugehen, Beziehungen zu klären. Ich habe nicht ewig Zeit. Für den pilgernden Gläubigen ist dies jedoch kein bedrohlicher Gedanke.“ 

Kohlgraf verwies darauf, wie leicht es geschehe, dass man das Leid anderer Menschen etwa aus den Nachrichten „gar nicht mehr an sich heranlassen will oder kann“. Wörtlich sagte er: „Die harten, lieblosen Debatten in der politischen Landschaft über Menschen auf der Flucht erreichen uns doch auch täglich, und nicht wenige sprechen eine lieblose Sprache oder werden gewalttätig gegenüber Fremden. Gefährlich wird es, wenn bestimmte Gruppen mit falschen Informationen und Emotionen anderer spielen, um andere Menschen fertig zu machen. Natürlich müssen wir in den anstehenden Fragen nach politisch tragfähigen Lösungen suchen, die nicht einfach auf der Hand liegen. Aber sobald ein Mensch bedroht ist an Leib und Leben, ist es menschliche Pflicht, ihm zu helfen. Nehmen wir ernst, dass wir alle Menschen als Ebenbilder Gottes bezeichnen und das Antlitz des Schöpfers in ihnen sehen, und auch das leidende Antlitz Christi. Das ist ja kein frommer Zuckerguss, sondern Messlatte für mein Denken, Reden und konkretes Handeln.“ 

Verantwortung für kirchliches Versagen bei sexuellem Missbrauch

Bischof Kohlgraf ging auch auf sexuellem Missbrauch in der Kirche ein: „In diesen Tagen muss ich als Bischof auch erneut an die Opfer denken, denen kirchliche Amtsträger unsägliches Leid angetan haben und auch heute vielleicht noch antun. Wir lernen heute schmerzhaft, dass es hier mit einigen frommen Worten der Betroffenheit nicht getan ist, dass wir offenbar ganz am Anfang eines Weges stehen, daraus die Konsequenzen zu ziehen.“ Er wies darauf hin, dass sich die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda mit dem Thema beschäftigen werde. Weiter sagte Kohlgraf: „Als Bischof muss ich die Verantwortung übernehmen für kirchliches Versagen und darf die Opfer nicht abhaken. Wie das gehen kann, treibt mich um, weil auch hier markante Sprüche nicht helfen.“ Der Dieburger Pfarrer Alexander Vogl hatte die zahlreichen Pilger zu Beginn des Gottesdienstes begrüßt. Dem Gottesdienst schloss sich eine Lichterprozession durch die Stadt an.

Weitere Gottesdienste

Den Festgottesdienst am Fest Mariä Geburt, Samstag, 8. September, um 10.00 Uhr zelebriert Abtprimas em. Dr. Notker Wolf (OSB) aus St. Ottilien; außerdem findet an diesem Tag um 14.30 Uhr eine Marienandacht statt. Den Gottesdienst im Rahmen der Stadtwallfahrt am Sonntag, 9. September, um 10.00 Uhr zelebriert Bischof Victor Agbanou aus Benin in Westafrika. Am Dienstag, 11. September, um 14.30 Uhr ist ein Wallfahrtsgottesdienst für Senioren mit Prälat Dietmar Giebelmann aus Mainz. 

Stichwort: Die Wallfahrtstradition in Dieburg

Der Anfang der Dieburger Wallfahrt liegt im Dunkeln. Das heute noch in Dieburg verehrte Gnadenbild entstand um das Jahr 1420. Der Künstler der Pietà ist unbekannt. Sie stellt Maria als Inbegriff von Leid und Schmerz dar, wie ihr toter Sohn an ihrer Brust lehnt. Am 7. April 1498 weihte der Mainzer Weihbischof Erhard die Dieburger Pietà. Verehrt wurde diese schmerzhafte Muttergottes in der 1232 erbauten Muttergotteskapelle neben der Pfarrkirche. Ob dort vorher ein anderes Gnadenbild verehrt wurde, ist nicht überliefert. 

Der von 1670 bis 1679 in Dieburg tätige Pfarrer Johann Caspar Diemer erwarb sich besondere Verdienste um die Wiederbelebung der Wallfahrt nach dem Dreißigjährigen Krieg. Auf ihn geht die jetzige Form der Wallfahrt im Wesentlichen zurück. Er bestimmte das Fest Mariä Geburt am 8. September als Hauptwallfahrtstag, da ihm dieser Termin nach Abschluss der landwirtschaftlichen Arbeiten besonders günstig erschien. Für das 18. Jahrhundert wird von einer größeren Zahl wunderbarer Heilungen vor dem Gnadenbild berichtet. 1697 wurde die Marienkapelle im Zuge der Erweiterung der angrenzenden Wallfahrtskirche abgerissen. 1930 entstand im Rahmen einiger baulicher Erneuerungen ein Außenaltar an der Wallfahrtskirche. 

Der Standort der heutigen Wallfahrtskapelle war Mittelpunkt des römischen Dieburg gewesen. Bereits im neunten Jahrhundert wurde dort eine dreischiffige Basilika erbaut, auf deren Grundmauern das Hauptschiff der heutigen Wallfahrtskirche steht. Heute wird die Wallfahrt an Mariä Himmelfahrt (15. August) mit Kräuterweihe in Dieburg üblicherweise als „Kleine Wallfahrt“ bezeichnet und die Wallfahrt an Mariä Geburt (8. September) als „Große Wallfahrt“. 

Stichwort: Fest Mariä Geburt (8. September)

Das Fest Mariä Geburt am 8. September ist eines der ältesten Marienfeste. Das Fest feiert Marias Geburt vor allem mit Blick auf ihre Gottesmutterschaft. Sein Ursprung liegt wahrscheinlich im Weihefest einer Marienkirche in Jerusalem im fünften Jahrhundert. Diese soll in der Nähe des Geburtshauses von Maria gelegen haben. Die spätere Annakirche in Jerusalem hat diese Tradition übernommen. In Rom ist das Fest ab dem siebten Jahrhundert nachweisbar. Vom Termin der Geburt Mariens her - der sicher nicht historisch ist - wurde auch das Datum ihrer Empfängnis am 8. Dezember (Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria) festgesetzt.


Zum gesamten Text der Predigt von Bischof Peter Kohlgraf, alle Predigten: hier

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