Den Islam ernst nehmen

Gastvorlesung mit Professorin Krämer im Rahmen der Mainzer Stiftungsprofessur

KRÄMER--LEHMANN--STIFTUNGSPROFESSUR (c) Bistum Mainz / Blum (Ersteller: Bistum Mainz / Blum)
Datum:
Mi. 3. Juni 2009
Von:
tob (MBN)
Mainz. „Die Wahrnehmung, nicht ernst genommen zu werden, ist im Islam weit verbreitet und eine der wichtigsten Triebfedern für die heutigen Spannungen.“ Das sagte Professorin Gudrun Krämer am Dienstag, 2. Juni, beim Kolloquium im Anschluss an ihre Gastvorlesung im Rahmen der zehnten Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur an der Mainzer Universität.
KRÄMER--STIFTUNGSPROFESSUR (c) Bistum Mainz / Blum (Ersteller: Bistum Mainz / Blum)

„Ich betrachte es als riesiges Problem, dass der Islam auch in der deutschen Debatte immer nur als Quelle von Problemen dargestellt wird", sagte Krämer, etwa wenn er als unaufgeklärte Religion mit einer mittelalterlichen Rechtsauffassung dargestellt werde. In der Begegnung sollte darum nicht nur auf die großen Leistungen etwa in der Wissenschaft der arabischen Welt in der Vergangenheit verwiesen werden, sondern auch auf aktuelle positive Entwicklungen, betonte Krämer.

Professorin Dr. Dr. h.c. Gudrun Krämer ist am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin tätig. Ihre Gastvorlesung stand unter der Überschrift „Einheit, Vielfalt und die Spannung zwischen diesen beiden: Eine Einführung in den Islam". Der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, hatte als Inhaber der diesjährigen Stiftungsprofessur die Vorlesungsreihe unter die Überschrift „Weltreligionen - Verstehen, Verständigung, Verantwortung" gestellt.

Sie verwies darauf, dass sich der Islam in der Geschichte immer seiner Umwelt angepasst habe. Insofern sei es denkbar, dass sich der Islam in europäischen Ländern integrieren könne. Allerdings halte sie die Idee eines „Euro-Islam für schwierig und vielleicht für zu hoch gegriffen", da sich die Gegebenheiten in den einzelnen europäischen Ländern doch stark unterscheiden würden, sagte Krämer. Bei einem solchen Integrationsprozess sei die Diskussion innerhalb der Glaubensgemeinschaft von großer Bedeutung. „Wenn wir klug sind, reden wir nicht ständig hinein", sagte Krämer. Sie verwies darauf, dass es für muslimische Gesprächspartner oftmals eine große Gefahr darstelle, vom Westen vereinnahmt zu werden, da dies deren Position im Islam schwäche.

In ihrer Vorlesung hatte Krämer einen Überblick über die Entstehung und die Grundlagen des Islam gegeben, ohne aktuelle Positionen oder Diskussionen über den Islam in den Mittelpunkt zu stellen. Für jeden Moslem sei das Glaubensbekenntnis „Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet" Grundlage des Glaubens. Daneben seien der Koran als Gotteswort und die Sunna als Überlieferung des Propheten Mohammed die fundamentalen Texte des Islam. Trotz dieser scheinbaren Einheit habe es jedoch immer eine große Vielfalt gegeben, wie der Islam verstanden und gelebt worden sei, sagte Krämer. So habe es teilweise auch eine charismatische Vermittlung, etwa durch Sufi-Meister gegeben, die sogar fast ganz an die Stelle der Schriften getreten sei.

Krämer erläuterte, dass heute im Islam oft die Auffassung vertreten werde, dass die Scharia alle Lebensbereiche des Menschen erfasse. Dagegen werde jedoch in der klassischen islamischen Gelehrsamkeit die Auffassung vertreten, dass Koran und Sunna nicht alle Lebensbereiche geordnet haben, und „es deswegen Bereiche gibt, zu denen Gott keine klare Aussage getroffen hat". Und weiter: „Es gibt mehr Raum zum Atmen, als manche Islamisten uns heute glauben machen." An Beispielen zeigte sie, dass eine wörtliche Koranauslegung andere unliebsame Aspekte, die ebenfalls im Koran vorkommen, ausblende.

Auch an diesem sechsten Abend der Vorlesungsreihe hatten sich vor Öffnung des Hörsaals, eine halbe Stunde vor Beginn, wieder lange Schlangen vor den Türen gebildet. Der größte Hörsaal der Mainzer Universität mit rund 1.200 Plätzen war erneut voll besetzt. Kardinal Lehmann, der auch das Gespräch nach der Vorlesung moderierte, hatte in seiner Einführung auf die zahlreichen Veröffentlichungen von Krämer hingewiesen, unter anderen „Geschichte Palästinas", „Gottes Staat als Republik" und „Geschichte des Islam". Von anderen Wissenschaftlern werde ihr „unverbrauchter Blick" auf den Islam gerühmt, zitierte der Kardinal eine Einschätzung.

Nächste Vorlesung mit Professorin Bettina Bäumer über den Hinduismus (9.6.)

Die nächste Gastvorlesung der Mainzer Stiftungsprofessur übernimmt am Dienstag, 9. Juni, Professorin Dr. Dr. h.c. Bettina Bäumer. Die österreichische Religionswissenschaftlerin ist derzeit als Direktorin der „Samvidalaya - Abhinavagupta Research Library" in Varanasi/Indien tätig.  Ihre Vorlesung steht unter der Überschrift „Vielfalt und Nicht-Dualität: Zugänge zum Hinduismus".

Hinweis: Weitere Informationen im Internet unter http://www.stiftung-jgsp.uni-mainz.de/