Mainz. Der erste ökumenische Nachhaltigkeitskongress in Mainz beschäftigte sich mit der Frage, welchen Beitrag die Kirchen zur Umsetzung der Agenda 2030 leisten können. Bei der
Tagung am Samstag, 16. Juli, im Erbacher Hof in Mainz mit dem Titel „Den Riesen wecken“ wurde darüber diskutiert, wo die Kirchen aktuell stehen, welche praktischen Anknüpfungspunkte es gibt, und wie die Vernetzung der Akteurinnen und Akteure in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main funktionieren kann.
2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 beschlossen und darin 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung festgelegt. „Die 17 Ziele wollen nicht weniger als eine Transformation dieser Welt“, bemerkte Dr. Johannes Bremer, Studienleiter der Katholischen Akademie Erbacher Hof, in seiner Begrüßungsrede. Das freilich könne nur gelingen, wenn auch die Kirchen mitzögen. „Erstes Ziel heute ist die Vernetzung“, erklärte Dr. Eva Baillie vom Bistum Mainz im Namen des Veranstalterkreises. „Es geht um Lernen und Austausch vor dem Hintergrund einer Handlungsperspektive.“ Idealerweise solle die Fachtagung der Beginn eines kooperativen Prozesses sein, richtete Moderatorin Kristina Oldenburg den Blick in die Zukunft.
Bevor es an die inhaltliche Arbeit ging, schuf das Improvisationstheater Subito mit gemeinsamen Lockerungsübungen die Voraussetzungen dafür, den Riesen in Gestalt der Agenda 2030 zu wecken. Wie dies in der Praxis geschehen kann, war Thema des Impulsvortrags von Dr. Thomas Bruhn, Forschungsgruppenleiter am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Potsdam. „Ich bin nicht als Physiker hier, sondern als Brückenbauer“, machte der Referent zunächst seine spezielle Herangehensweise an das Thema deutlich. Es gehe darum, wissenschaftliche Erkenntnisse so zu kommunizieren, dass es auch zur Umsetzung komme. „Das Grundproblem ist, dass Wissenschaftler eine andere Sprache sprechen. Wir müssen also besser kommunizieren.“ Die 17 Ziele der Agenda 2030 bezeichnete Bruhn als Korridor, innerhalb dessen sich die Zivilisation weiterentwickeln müsse. „Wachstum ja, aber kein ausbeuterisches, sondern ein gemeinsames Gedeihen“.
Voraussetzung für einen Wandel hin zur Nachhaltigkeit ist aus Sicht des Experten ein Perspektivwechsel, den der Mensch vollziehen muss. Ausgangspunkt ist, dass Mensch und Erde nicht getrennt zu sehen sind, sondern als verbundenes, komplexes System. „Der Mensch kann sich nicht herausnehmen und von außen analysieren“, betonte der Referent. Stattdessen müsse man eigene Muster hinterfragen. Es braucht also einen Wandel der eigenen Geisteshaltung, und es braucht die Bereitschaft zur Umsetzung. „Doch Veränderungsprozesse fallen schwer“, wie der Nachhaltigkeitsexperte mit Blick auf die guten Vorsätze verdeutlichte, an denen man regelmäßig scheitert. Der Übergang zu gelebtem Wandel funktioniere nur, wenn man sich nicht allein der Notwendigkeit der Veränderung bewusst sei, sondern wenn das Thema auch ans Herz gehe. „Beide Ebenen“, sagte Bruhn, „müssen miteinander verbunden sein.“
In der anschließenden Diskussionsrunde gab es durchaus ermutigende Signale. Dr. Anselm Meyer-Antz (Misereor Aachen) appellierte an das Auditorium, ein gedankliches Experiment zu wagen. Es gebe Beispiele, bei denen die Menschheit schon erfolgreich war, meinte er und erinnerte an den Kampf gegen erste Waldsterben oder das Ozonloch. „Das“, sagte Dr. Meyer-Antz, „könnte eine Fährte sein, auf der man vorwärts kommt.“ Als wichtigen Anknüpfungspunkt sah der Regionalreferent das, was in den Kirchengemeinden passiert - etwa, wenn Ehrenamtliche nach dem Gottesdienst fair gehandelten Kaffee verkaufen.
„Die Kirchen sollten die Menschen zur Selbstwirksamkeit ermächtigen“, meinte Dr. Hubert Meisinger vom Zentrum für Gesellschaftliche Verantwortung. Ziel sei, dass man an dem Ort, an dem man stehe, etwas verändere. Als aktuelles Beispiel nannte Dr. Meisinger ein freiwilliges Tempolimit. „Ich bin überzeugt, dass die Kirchen wirklich Zukunftshoffnung vermitteln können“, so seine Einschätzung der Rolle der Kirche in Zeiten der Krise.
In den Workshops am Nachmittag ging es dann um konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten und um Netzwerkbildung. Bearbeitet wurden Themen wie faires Einkaufen, Energiemanagement an Gebäuden, Mobilität in den Kirchen oder Klimagerechtigkeit. Im abschließenden Plenum der Ideen wurden die Ergebnisse zusammengetragen. Eine Teilnehmerin bezeichnete Inhalt und Motto des Konferenztages als „urchristliches Thema des Weckrufes“ und betonte, dass die Arbeit in den Workshops nur ein Anfang gewesen sei. Aus der Gruppe der Teilnehmenden kam der deutliche Wunsch, Organisationen und Akteure weiter zu vernetzen und sich auf Schwerpunktthemen zu fokussieren. Deutlich wurde im Plenum die Freude am Handeln und eine neu
erwachte Motivation, an den Themen der Agenda 2030 zu arbeiten.
„Wir haben erfahren, wie Menschen zur Selbstwirksamkeit ermächtigt und mit Freude engagiert tätig werden“, zog Winfried Montz, Abteilungsleiter Weltkirche Bistum Limburg, eine positive Bilanz der Tagung. „Es gibt zwar keine zentrale Schaltstelle, die Veränderung ermöglicht, aber wir können als Teil unseres kirchlichen Systems Akzente setzen.“ Als „Panorama des Handelns“ wurde schließlich der Auftrag mitgenommen, nach einer Selbstvergewisserung der kirchlichen Akteure auch eine gute und zielgerichtete Vernetzung mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren anzudenken.