Am Aschermittwoch, 14. Februar, hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf ein Pontifikalamt im Mainzer Dom gefeiert. Im Anschluss daran nahm der Bischof an der Auftaktveranstaltung des Themenschwerpunkts „Anthropozän - Mensch und Mitwelt“ im Rahmen der Reihe ZEICHEN LESEN in der Bistumsakademie Erbacher Hof in Mainz teil. Privatdozent Dr. Roman Köster hielt einen Vortrag zum Thema „Der Mensch und sein Müll“. Roman Köster ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München und hat sich über die deutsche Abfallwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg habilitiert. Einleitung und Begrüßung übernahmen der Direktor der Akademie, Dr. Andreas Linsenmann, und die Direktorin der Akademie, Privatdozentin Dr. Marita Liebermann.
In seiner Predigt wies Bischof Peter Kohlgraf darauf hin, dass jeder Mensch in Deutschland über 600 Kilogramm Abfall pro Jahr produziere. „Damit sind wir in einer Spitzenposition weltweit“, sagte er. Die Verschwendung von Lebensmitteln in Privathaushalten sei ein wesentlicher Faktor. Auch die Weltmeere seien voller Plastikmüll. „Nicht nur die Industrie, jeder und jede einzelne trägt durch das Konsumverhalten zu dieser Entwicklung bei“, stellte Kohlgraf klar. „Die Fastenzeit könnte demnach eine Zeit sein, sich über das eigene Konsumverhalten und den eigenen Beitrag zur Wegwerfkultur Rechenschaft zu geben“, sagte der Bischof.
Bischof Kohlgraf nahm in seiner Predigt Bezug zu Papst Franziskus und dessen Enzyklika „Laudato sí“: „Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln“, zitierte er den Papst. Weiter sagte der Bischof: „Das Buch Genesis formuliert den Auftrag an den Menschen, im Dienst Gottes über die Erde zu herrschen. Heute wird uns klar, dass es nicht um Ausbeutung gehen kann, sondern um das Mittragen der Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung.“ Dabei gehe es um mehr, als nur „Naturromantik“, betonte er. Als Geschöpfe, die alle in einem großen Netzwerk verbunden sind, „werden wir von der Heiligen Schrift und den Quellen der langen christlichen Tradition zur Verantwortung gerufen“.
„Auch Menschen werden manchmal wie Abfall behandelt“, stellte Bischof Kohlgraf fest und nahm damit Bezug zur 2020 veröffentlichten Enzyklika „Fratelli Tutti“ von Papst Franziskus. „Menschenrechte werden dann nicht mehr für alle anerkannt, sondern für die Menschen, die nützen“, mahnte Kohlgraf. Er zog eine Verbindung zu den aktuellen Protesten gegen rechtsradikale Menschenverachtung: „Unsere kirchliche Kernbotschaft muss sein: Menschenrechte gelten für alle, und es gibt keinen Menschen, der ausgesondert und auf die Müllhalde der Geschichte gehört.“ Auch im Hinblick auf das Lebensende betonte Kohlgraf, dass auch der Verstorbene kein Abfall seien, und dass es wichtig sei, die Würde des Menschen auch in den Beerdigungsformen zu wahren.
Abschließend richtete er einen Appell an alle Gläubigen: „Als Christinnen und Christen müssen wir an einer Welt arbeiten, die diese Würde aller anerkennt und in allen Lebensphasen für die Würde des menschlichen Lebens eintritt. Niemand ist Abfall“, betonte Bischof Kohlgraf. „Menschen als Abfall – einen schlimmeren Gedanken kann es nicht geben.“ Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Mädchenchor am Dom und St. Quintin unter der Leitung von Domkantor Michael Kaltenbach, Domorganist Professor Daniel Beckmann spielte die Orgel.
Bei der anschließenden Abendveranstaltung im Erbacher Hof hielt Dr. Roman Köster einen Vortrag zum Thema „Der Mensch und sein Müll“. Köster gab den Teilnehmenden einen Überblick über die Geschichte des Mülls im Lauf der Jahrhunderte. Eine besondere Dynamik zeichnete sich dabei in der Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ab. Es herrsche eine zunehmende Diskrepanz zwischen der hocheffizienten Warenproduktion und der sehr ineffizienten Müllverwertung, erklärte er. In allen vormodernen Gesellschaften wurden Gegenstände und Materialien umfassend wiederverwertet oder repariert. „Dies war zwangsläufig das Resultat einer Knappheitsgesellschaft“, sagte Köster. Und weiter: „Fragen von Hygiene oder Umweltschutz sind im Vergleich dazu jüngerer Natur und haben erst in den letzten Jahrzehnten angefangen, unser Denken über Abfall zu bestimmen.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg seien nicht nur die Müll-Mengen gestiegen, sondern auch die Arten des Abfalls hätten sich verändert, erklärte Köster. „Abfall ist vielfältiger, komplexer geworden. Bereits von seiner materiellen Basis lässt er sich immer schwieriger wiederverwerten und in Produktionslebenszyklen zurückführen. Auch deswegen haben Entsorgungsprobleme, sowohl was die Menge, als auch die konkrete Umweltgefährdung durch Abfallstoffe angeht, nach dem Zweiten Weltkrieg stark zugenommen. Die wachsenden Abfallmengen im Meer zeigen, dass wir von einer Lösung noch weit entfernt sind“, resümierte Köster. Müllprobleme seien nicht leicht zu lösen, räumte Köster ein. Er sagte: „Insofern reicht es nicht, einen Einstellungswandel zu fordern. Vielmehr braucht es eine Mischung aus neuer Technik, besserer, globaler Politik und Verbraucherverhalten, um eine Alternative zu den seit Jahrzehnten anwachsenden Müllmengen zu entwickeln.“
Hinweis: Buch von Roman Köster: „Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit“, C.H. Beck-Verlag, Oktober 2023, 422 Seiten, ISBN 978-3-406-80580-6.