Der ökumenische Theologe Karl Lehmann

Ein Schwerpunkt seines Wirkens liegt im Gespräch der christlichen Konfessionen

LEHMANN (c) Bistum Mainz (Ersteller: Bistum Mainz)
Datum:
Mi. 13. Apr. 2011
Von:
tob (MBN)
Mainz. Die ökumenische Theologie, also der Dialog der christlichen Konfessionen, ist mit Sicherheit ein Schwerpunkt im Wirken des Mainzer Bischofs, Kardinal Karl Lehmann.

Gleichzeitig zählt er zu den Pionieren der Ökumene, da die katholische Kirche erst mit dem Dekret über den Ökumenismus (Unitatis redintegratio) des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1964 ausdrücklich in diesen Dialog eingetreten ist. Stets hat Lehmann betont, dass es „keine Alternative" zum ökumenischen Gespräch gibt, aber nach über 40-jähriger Erfahrung hat er beim Zweiten Ökumenischen Kirchentag 2010 in München auch nüchtern festgestellt: „Ökumene braucht den langen Atem."

Schon Pfingsten 1976 hatte er unter der Überschrift „Neuer ökumenischer Mut" bei einem Vortrag in Freiburg klar formuliert, dass die Ökumene eine mühsame und langwierige Aufgabe ist: „Und genau dies muss unser neuer ökumenischer Mut sein: Zur Stange halten, wo diese Sache der kirchlichen Einheit zu ermatten scheint, wo ihr der Glanz des Neuen schwindet, wo man auch Fehltritte nüchtern verkraften muss, wo undankbare Kärrnerarbeit zu tun ist."

Stationen von Lehmanns ökumenischer Arbeit

Allein ein Blick auf seine wichtigsten Mitgliedschaften und Funktionen in diesem Bereich zeigt, dass sich diese „Kärrnerarbeit" wie ein roter Faden durch seinen Lebenslauf zieht. Bereits während seiner Mainzer Dogmatikprofessur wurde er im Jahr 1969 Mitglied des Arbeitskreises katholischer und evangelischer Theologen, der nach den beiden Gründern benannte Jaeger-Stählin-Kreis. In Freiburg übernahm Lehmann 1971 bis zu seiner Bischofsernennung den Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät. 1975 wurde er wissenschaftlicher Leiter des 1946 gegründeten Jaeger-Stählin-Kreises von katholischer Seite und 1988 übernahm er in der Nachfolge von Kardinal Hermann Volk den Vorsitz von katholischer Seite. Gerade auch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (1987 bis 2008) hat der Mainzer Bischof das ökumenische Gespräch maßgeblich geprägt; bis heute unter anderem als Mitglied des Kontaktgesprächskreises zwischen Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Vertretern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Darüber hinaus ist er seit 2002 Mitglied des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Eine Bilanz seiner Erfahrungen bietet Lehmanns Vortrag auf dem Zweiten Ökumenischen Kirchentag in München unter der Überschrift „Wie viel Hoffnung bringt die Ökumene?". Ziel der Ökumene sei „eine theologische Übereinstimmung um der kirchlichen Einheit willen, damit wir der Welt ein glaubwürdiges Zeugnis geben". Entscheidendes Kriterium bei den Gesprächen müsse sein, „ob eine Divergenz kirchentrennenden Charakter hat", betont der Kardinal. Die Kirchen seien dazu verpflichtet, „durch das Gebot des Herrn, dass wir mit allen Kräften Trennungen, wo es notwendig und möglich ist, überwinden und die zerbrochene Einheit wieder suchen und finden". Die Tragik der Kirchenspaltung werde besonders bei konfessionsverschiedenen Ehen deutlich: „Hier erleben viele Menschen die Jahrhunderte lange Entfremdung furchtbarer als im öffentlichen Verhältnis der Konfessionen selbst. Diese Unruhe muss ein wichtiger Motor unseres ökumenischen Einsatzes bleiben. Dies hat nachhaltig bis heute mein eigenes ökumenisches Engagement bestimmt."

Nicht gedeckte Schecks sind in der Ökumene besonders gefährlich

Ausdrücklich plädiert Lehmann für eine theologisch fundierte Aufarbeitung der Unterschiede zwischen den Konfessionen: „Es gehört zur Nüchternheit und auch Glaubwürdigkeit der ökumenischen Arbeit, dass man sich des bleibenden Wegcharakters bewusst sein muss. Dabei werden Enttäuschungen und auch manchmal rückläufige Tendenzen unvermeidlich sein. Es gibt im Leben des Geistes und des Glaubens nie bloß breite Königs-Straßen ohne verschlungene Pfade, Umwege und Holzwege, Abwege und Irrwege. Dennoch wäre es fatal, wenn eine resignierende Grundstimmung sich gegen ihre letzte Absicht daran beteiligen würde, das immer noch brennende ökumenische Feuer löschen zu helfen. Wer die gewachsenen Differenzen in ihrer Tiefenwirkung zu gering schätzt und auf ihre ernsthafte Aufarbeitung meint verzichten zu können, wird nur Scheinerfolge erreichen können. Nach meiner Erfahrung sind jedoch nicht gedeckte Schecks in der Ökumene besonders gefährlich, weil nach ihrer Entlarvung die Enttäuschung entsprechend groß ist. Dies darf uns nicht überraschen, denn das Leid und der Schmerz der Ökumene verlangen nach einer gediegenen Überwindung, die sich bewährt."

Gleichzeitig müsse sich die ökumenische Theologie aber auch „vor einer Selbstüberschätzung hüten, allein in der wissenschaftlichen Retorte den Weg zur Einheit planmäßig konstruieren und vorschreiben zu können", betont er bereits in einem Vortrag aus dem Jahr 1982. Unter der Überschrift „Stillstand auf dem Weg zur einen Kirche?" formuliert er damals: „Gerade die ökumenische Theologie, die jenseits der traditionellen Fronten neue gemeinsame Formulierungen wagen muss, darf die in Übereinkunft vereinbarten Aussagen nicht unbesehen vom Glaubenszeugnis der Kirchen ablösen und auf die Macht allein von freischwebenden Sätzen vertrauen. Eine abstrakte Synthese gemeinsamer Haltungen und Meinungen hat längst noch nicht Herz und Geist der Christen für sich gewonnen und die Bewährungsprobe in einer gemeinsamen kirchlichen Lebenswelt noch nicht bestanden. Gerade hier bedarf die ökumenische Theologie der sorgfältigen Verwurzelung in den konkreten Kirchen, ohne ihre nach vorne weisende Pionierfunktion zu verlieren."

Ihm ist dabei bewusst, dass das Verständnis für die Eigenheiten dieses theologischen Ringens in der Öffentlichkeit begrenzt ist: „Freilich sind die Bemühungen und die Ergebnisse der theologischen Gespräche kaum noch überschaubar", schreibt er 1982. „Die Fülle der Dialoge gelangt auch immer wieder zu ähnlichen Einsichten. Was aber zuerst als unnütze Wiederholung aussehen mag, ist in Wahrheit ein positives Phänomen, denn darin vollzieht sich eine umfassende Konsensbildung."

Wichtige Stationen des Dialogs

Wichtige Stationen im ökumenischen Gespräch sind für Lehmann etwa die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" in Augsburg (1999), die Unterzeichnung der ökumenischen Taufanerkennung in Magdeburg (2007) und nicht zuletzt die zahlreichen Beispiele gemeinsamer Stellungnahmen von evangelischer und katholischer Kirche zu ethischen Fragen in den vergangenen Jahrzehnten. Gleichwohl musste er 2010 auf dem Ökumenischen Kirchentag eine ernüchternde Zwischenbilanz ziehen, was die Erklärung zur Rechtfertigungslehre angeht. „Dies ist ein Mark- und Meilenstein in der ökumenischen Gesprächsserie. Die Diskussion darüber und auch die bleibende Ablehnung nicht weniger evangelischer Theologen bis heute zeigen aber deutlich, wie Manches noch tiefer geklärt und fortgeführt werden muss. Das Echo darauf ist noch schwach und kraftlos, wie das zehnjährige Jubiläum am 31. Oktober 2009 in Augsburg zeigte."

Das ökumenische Grundgesetz

In seinem Münchner Referat hat der Kardinal „ein wichtiges Grundgesetz des ökumenischen Miteinanders" hervorgehoben: „Gerade wenn man das eigene Profil stärker betont, wie es auch zum Beispiel durch die Hervorhebung der Luther-Übersetzung der Bibel geschieht, gibt es ein gutes Kriterium, nämlich ob wir uns freuen können an der Stärke des Anderen, nicht nur an Johann Sebastian Bach, sondern zum Beispiel auch am Wiedererstehen der Frauenkirche in Dresden. Aus dieser Anerkennung des Anderen - und vielleicht zuerst oder manchmal auch auf längere Strecke Fremden - wird echte und nachhaltige Gemeinschaft, die uns im Geist Jesu Christi enger zusammenführt." Solange keine wirkliche Einheit gefunden sei, lasse sich „irgendeine Form von Konkurrenz zwischen den Kirchen nicht völlig vermeiden".

Es ist mehr möglich, als getan wird

Die Mahlgemeinschaft könne nur Endpunkt der Ökumene sein, betont Lehmann immer wieder und fordert gleichzeitig dazu auf, das zu verwirklichen, was im ökumenischen Miteinander bereits möglich ist. In einem Interview (Mannheimer Morgen vom 21. Januar 1988) bringt er diese Position auf den Punkt: „Ich wehre mich dagegen, dass man alles an den großen dicken Brocken, die noch vor uns stehen und ungelöst sind, misst: Eucharistie-Gemeinschaft, Amtsfrage und das schwierige Miteinander in einer bekenntnisverschiedenen Ehe. Man geht ein bisschen selbstgerecht darüber hinweg, dass wir sehr viel mehr jeden Tag tun könnten, ohne dass uns das jemand verbietet. Der Geist Gottes wirkt in der echten Sehnsucht nach Einheit, aber nirgendwo ist verheißen, dass wir zu unserer Lebzeit schon die Früchte ernten könnten. Wenn das erst in der nächsten oder übernächsten Generation geschieht, dann dürfen wir auch dankbar bleiben für all das, was in den letzten 20 Jahren erreicht worden ist im Vergleich zu den 400 und 450, die zurückliegen. Und insofern wünsche ich mir beides: Das ökumenische Feuer darf nicht erlöschen, aber ich möchte auch eine große, aktive Geduld fördern, die schwierige Lasten nicht abschüttelt."

Nach den Perspektiven der Ökumene wird Lehmann gefragt, seit er sich mit der Ökumene befasst. In einem Interview mit der Mainzer Kirchenzeitung („Glaube und Leben" vom 27. April 1986) sagte er dazu: „Man kann hier Manches vorschlagen, aber niemand weiß, welche Wege die Geschichte geht und wie der Geist uns führt. Uns ist die Last auferlegt, alles zu tun, dass wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch wirklich weiterkommen. Wir wissen, dass das Stunden und Jahre des Scheiterns und der verpassten Gelegenheiten werden können, aber auch Sternstunden. Ich könnte die ganze Arbeit nicht tun, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass es einmal Sternstunden werden können."

Mose als Gestalt der ökumenischen Hoffnung

Seiner eigenen begrenzten Möglichkeiten ist sich der Kardinal dabei stets bewusst. In seiner Rede beim Ökumenischen Kirchentag in München hat er dafür in der Gestalt von Mose ein aussagekräftiges Bild gefunden: „Beim Nachdenken bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es verschiedene Stile und Gestalten ökumenischer Hoffnung gibt. Darum bin ich auch überzeugt, dass man diese Pluralität der verschiedenen Hoffnungsformen achten muss. Dabei denke ich vor allem an die Gestalt des Mose, der dem verheißenen, gelobten Land entgegenwandert. Er hat für sein Volk alles getan, um es zur Erfüllung dieser Verheißung zu führen. Aber er selbst konnte dieses gelobte Land nicht mehr betreten. Vorher zeigte ihm der Herr das verheißene Land vom Gipfel des Nebo her: ‚Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen. Hinüberziehen wirst du nicht. Danach starb Mose, der Knecht des Herrn.' (Dtn 34,3 f.). Dies ist gewiss auch in der Zeit des Neuen Bundes und der Kirche eine wichtige Gestalt der Hoffnung und der Einlösung der Verheißungen. Aber sie ist nun, da Gott in Jesus Christus zu uns gekommen ist und immer noch Spaltungen sind, noch dringlicher geworden. Mose ist keine Gestalt zur falschen Beunruhigung."

Hinweise:

  • Der Vortrag „Wie viel Hoffnung bringt die Ökumene?" vom 14. Mai 2010 ist im Internet verfügbar unter: www.oekt2010.de/presse/dokumente/dateien/HV4_002_1119.pdf
  • Den Vortrag „Stillstand auf dem Weg zur einen Kirche? Das Ökumenische Gespräch der Kirchen heute" hielt Lehmann am 19. November 1982 vor der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg. Der Text ist in dem 1983 erschienenen Sammelband „Signale der Zeit - Spuren des Heils" abgedruckt.