Besonders betroffen seien osteuropäische Gast- und Wanderarbeiter, die „oft sprachlich kaum in der Lage sind, sich in diesen konkreten Verhältnissen zu wehren und zu verteidigen. Es gibt leider auch in manchen Situationen so etwas wie Ausbeutung", betonte der Kardinal. Der Gottesdienst war Auftakt zum traditionellen Empfang am Vorabend des 1. Mai - „Tag der Arbeit" - , der in diesem Jahr unter der Überschrift „Gute Arbeit im freien Fall" stand.
Der Kardinal rief dazu auf, die Ursachen für das Anwachsen prekärer Arbeitsverhältnisse sorgfältig zu betrachten. „Die Arbeitgeber berichten uns von den Zwängen und Schwierigkeiten, denen sie in einer globalen Wirtschaftswelt gegenüberstehen und in denen sie oft bei einer mörderischen Konkurrenz überleben müssen. Man kann sich gewiss auch fragen, ob wir in unserer Gesellschaft genügend tun, um Geringqualifizierte zu fördern", sagte er. Trotz der hohen Qualifizierung in der deutschen Arbeits- und Wirtschaftswelt „dürfen wir nicht die Augen vor der Spaltung unseres Arbeitsmarktes verschließen. Wir dürfen uns mit dem sehr fest gewordenen Sockel von Geringqualifizierten oder eben auch von Langzeitarbeitslosen nicht abfinden. Man muss auch noch intensiver danach forschen, warum es in unserem Land trotz vieler Bemühungen so schwer ist, junge Menschen aus Unterschichten bildungsmäßig erfolgreicher herauszuführen und zu qualifizieren", betonte Lehmann.
Konzelebranten des Gottesdienstes waren Domdekan Prälat Heinz Heckwolf, der Präses der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) im Bistum Mainz, Dr. Friedrich Franz Röper, Kolping-Präses Harald Christian Röper und KAB-Bezirkspräses Dekan Pfarrer Dieter Bockholt. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst von Domorganist Daniel Beckmann an der Domorgel. Veranstalter des Abends waren das Referat Berufs- und Arbeitswelt des Bischöflichen Ordinariates, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung und das Kolpingwerk.
Beim anschließenden Empfang kritisierte Dietmar Muscheid, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Rheinland-Pfalz, den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit in vielen Branchen. Er rief dazu auf, dass Leiharbeit wieder zur Ausnahme werden müsse. „Für Leiharbeit muss endlich gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", sagte er. Gleichzeitig hätten in manchen Branchen viele so genannte Mini-Jobber normale Arbeitsverhältnisse verdrängt. „Der Niedriglohnsektor hat sich in einem Maß entwickelt, von dem ich nicht gedacht hätte, dass so etwas geschieht", sagte Muscheid. In diesem Zusammenhang forderte er einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro.
Muscheid erinnerte außerdem an den 2. Mai 1933: An diesem Tag vor 80 Jahren wurden nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten die Gewerkschaftshäuser gestürmt. Mit Blick auf den gescheiterten Verbotsantrag der NPD erklärte er: „Wir müssen den ewig Gestrigen die Chance nehmen, dass ihre Arbeit weiterhin durch Steuergelder finanziert wird."
Auch bei der anschließenden Podiumsdiskussion kritisierte Katja Deusser von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die selbst langjährige Mitarbeiterin im Einzelhandel war, die Zunahme der Leiharbeit. Leiharbeiter würden nicht mehr dazu eingesetzt, um Produktionsspitzen abzubauen, sondern dazu, „Menschen systematisch auszubeuten". Dr. Dirk Hohn, Geschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände Mittelhessen und Geschäftsführer des Verbandes der Metall- und Elektrounternehmen Hessen, verteidigte den Niedriglohnsektor, „da er vielen den Einstieg in Arbeit ermögliche". Darüber hinaus berichteten Mihai Balan vom Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen über die Situation von Wanderarbeitern, und Sigurd Holler von ver.di, Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik, über die Situation von Arbeitnehmern in der Logistikbranche. Die Diskussion wurde von Klaus Pradella vom Hessischen Rundfunk moderiert. Zu dem Empfang im Ketteler-Saal des Erbacher Hofes waren über 250 Teilnehmer gekommen.
Für besonderes Engagement im Bereich der Ausbildung verlieh Kardinal Lehmann am Ende des Abends zwei Preise der „Pfarrer Röper-Stiftung". Ausgezeichnet wurden Dirk Caspary, Raumausstatter-Meister aus Alsfeld, und Reinhard Westhäuser, Betriebsratsvorsitzender der Firma Renolit in Worms. Caspary erhalte den Preis für sein „außerordentliches Engagement als Ausbilder und seinen vielfältigen sozialen und ehrenamtlichen Einsatz in Alsfeld", sagte Lehmann. So habe Caspary bei seinen Auszubildenden nicht nur auf die schulische Qualifikation, sondern auch auf die persönlichen Fähigkeiten geachtet. Der Kardinal wies darauf hin, dass Caspary im vergangenen Jahr wieder einen Förderschüler als Praktikant in seinem Betrieb aufgenommen habe. Auch Westhäuser habe in seinem Betrieb vielen Jugendlichen eine Chance zur Ausbildung ermöglicht. Lehmann betonte, dass das Unternehmen Renolit seit Jahren eng mit der Arbeitsagentur und dem Jobcenter Worms zusammenarbeite und regelmäßig Jugendliche in Betriebspraktika übernehme.
Die Preise der „Pfarrer Röper-Stiftung" werden seit 2003 bei der Begegnung zum „Tag der Arbeit" verliehen. Die Preisträger, die sich für die Ausbildung von benachteiligten Jugendlichen besonders einsetzen, werden mit einer vom Mainzer Bildhauer Karlheinz Oswald gestalteten kleinen „Caritas"-Bronzefigur geehrt.