"Erste Hilfe" für Kunstwerke aus dem Ahrtal

Dr. Anja Lempges, stellvertretende Direktorin des Mainzer Dom- und Diözesanmuseums (c) Bistum Mainz/ Emmel
Datum:
Di. 5. Okt. 2021
Von:
hoff (MBN)

Als das Hochwasser Mitte Juli kam, riss es alles mit sich: Menschen, Häuser, Autos. Auch viele Kunstschätze versanken in Wasser und Schlamm. Zehn Tage später klingelte das Handy von Dr. Anja Lempges, stellvertretende Direktorin des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums in Mainz. Sie wurde um Hilfe gebeten. Gemeinsam mit Benediktinerin Schwester Johanna Stüer organisierte sie eine Nothilfe für versehrte Skulpturen und andere Kunstgegenstände.

Viele Skulpturen haben tagelang im Wasser gelegen, waren mit Schlamm, Fäkalien und Schimmel überzogen. Ein LKW brachte die versehrte Fracht nach Mainz. Als Lempges die Figuren aus den Kisten auspackte, hatte sie Tränen in den Augen: „Mir hat es die Sprache verschlagen, mit welchem Ausmaß an Zerstörung ich es hier zu tun hatte“, sagt sie. Und weiter: „Der Geruch ist unbeschreiblich, mit einem Hauch von Verwesung, man kann es kaum ertragen.“  Das Dom- und Diözesanmuseum übernahm Möbel und einige Skulpturen in sein Außendepot und beauftragte Sr. Johanna aus dem Kloster Engelthal mit der Nothilfe für neun Skulpturen.

Unter den Kunstschätzen war zum Beispiel eine Figur der Anna selbdritt aus dem 15. Jahrhundert, die eigentlich in der St. Anna-Kapelle in Bachem stehen sollte. Sie war kurz vor der Flutkatastrophe restauriert worden. Als die Figur in Mainz ankam, war sie vollständig mit Schlamm überzogen. Ein idealer Nährboden für Schimmelpilze. „Schimmelpilze sind ja nicht nur oberflächlich, sondern sie gehen in die Tiefe des Holzes und zerstören es mit der Zeit. Das Holz beginnt von innen zu zerfallen“, erklärt Lempges. „Die Figur wird viel Hilfe brauchen, um wieder in ihrer alten Pracht erstrahlen zu können“, sagt sie.

Neben materiellem auch spiritueller Wert

Benediktinerin Schwester Johanna Stüer (c) Bistum Mainz/ Emmel

„Es geht nicht nur um das Materielle, es geht auch um den ideellen und spirituellen Wert“, betont Schwester Johanna. „Die Menschen identifizieren sich mit diesen Figuren“, erklärt sie. Die Benediktinerin ist Diplom-Restauratorin im Kloster Engelthal bei Altenstadt. Seit 1984 existiert im Kloster eine Restaurierungswerkstatt. Seit fast 30 Jahren arbeitet Schwester Johanna als Restauratorin. Doch Kunstwerke, die in diesem Ausmaß beschädigt sind, hat sie noch nie gesehen. Obwohl sie über den Zustand der Werke sehr erschrocken war, zeigt sie sich optimistisch: „Dass diese Skulpturen aus der Flut gerettet wurden, ist ein Hoffnungszeichen für die Menschen im Ahrtal.“ Doch bis die Kunstwerke gerettet sind, ist es ein weiter Weg.

 

Zuerst werden die Figuren mit sanftem Wasserstrahl vom Schlamm befreit. Das ist nicht üblich, aber der kontaminierte Schlamm verbindet sich sonst mit den darunterliegenden Schichten. „Wenn er trocknet, wird er hart wie Beton. Deshalb gibt es keine Alternative“, erklärt Schwester Johanna. Danach werden die Figuren unter kontrollierten Bedingungen in einem Klimazelt getrocknet. Erneut aufblühender Schimmel wird vorsichtig abgesaugt. Sobald die Oberflächen trocken sind, werden die Figuren entweder mit reinem Alkohol oder einer Isopropanol-Lösung besprüht, um die Schimmelsporen abzutöten. Dieser Arbeitsschritt muss mehrfach wiederholt werden.

Einige Skulpturen weisen dunkle Flecken auf, vermutlich schon Schäden durch den Schimmelpilz-Befall. Schwester Johanna erklärt, dass es die Möglichkeit gibt, mit einem Laser diese dunklen Stellen farblich zu reduzieren. Auch wenn der Schimmel manchmal von außen nicht zu sehen sei, könne er die Figuren durchdringen. „Bei einer weiteren Figur ist ein Teil abgebrochen, da sehen Sie verschiedene Kulturen, eine grüne, eine anthrazitfarbene, rote, gelbe und weiße. Wir haben Proben eingeschickt, lassen diese analysieren, und entsprechend der Ergebnisse stellen wir Maßnahmen zusammen.“ Manche Schimmelpilzkulturen lassen sich durch eine vorsichtige Erwärmung der Skulpturen abtöten, bis maximal 55 Grad Celsius. Andere sind hingegen resistent. „Außerdem ist es nötig, konservatorisch die Hohlräume zu kitten, mit Materialien, die sich mit dem Holz vertragen“, sagt Schwester Johanna.

Symbol, dass das Leben weitergeht

Beschädigtes Kunstwerk (c) Bistum Mainz/ Emmel

Trotz aller Schwierigkeiten freut sich Schwester Johanna, dass sie an der Aufgabe beteiligt ist, „Erste Hilfe“ zu leisten. „Wir haben es ja mit Werken zu tun, die eine spirituelle Aussage haben. Sie wiederherzustellen und in der Substanz zu sichern, ist für mich ein Erfolg.“ Gleichzeitig betont sie, dass sie nur eine Notversorgung leisten könne. Sie bereitet die Objekte vor, damit sie an andere Spezialisten weitergegeben werden können. Mit der Schimmelpilzbekämpfung wird zum Beispiel ein Dienstleister beauftragt, denn dafür ist die Restaurierungswerkstatt im Kloster nicht eingerichtet.

Eines der Kunstwerke ist der so genannte Schmerzensmann. „Wir nennen ihn Schmerzensmann, aber wir gehen davon aus, dass es ein Kruzifix war“, sagt Schwester Johanna. Für dieses Kruzifix, das später zu einem Grablege-Christus umgestaltet wurde, war die Flutkatastrophe im Ahrtal nicht das erste Flut-Unglück: „Soweit ich weiß, wurde er 1804 schon einmal angeschwemmt“, sagt Schwester Johanna. „Jetzt hat er eine vergleichbare Katastrophe erlebt, und es ist für uns wie eine Offenbarung, dass er unversehrt wieder aus allem hervorgegangen ist. Er ist wie ein Symbol, dass das Leben weitergeht.“

 

Hinweis: Zur Unterstützung der Restaurierungsarbeiten von Sr. Johanna in der Abtei Engelthal können „Skulpturen-Patenschaften“ übernommen werden.

Aktuelle Infos und Spenden auch unter: www.museumsverband-rlp.de/hochwasser 

Das Dommuseum in Mainz hilft den Museen im Ahrtal

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"Ich habe die Skulpturen ausgepackt und hatte Tränen in den Augen", sagt die Stellvertretende Direktorin des Dom und Diözesanmuseums Dr. Anja Lempges. Zwei Wochen nach der Flut bekam sie einen Anruf, ob sie bei der Rettung der Skulpturen aus dem Ahrtal helfen könnte. Ganz unbürokratisch sagte sie Hilfe zu. Das Dommuseum beauftragte Sr. Johanna aus dem Kloster Engelthal, eine Filialstelle des Museums mit der Restaurierung. In Mainz wird außerdem Platz im Depot bereitgestellt und Verschiedene Möbelstücke restauriert. Wir freuen uns, dass wir helfen können, sagt Dr. Anja Lempges.

Engelthaler Notfallhilfe für Skulpturen aus dem Ahrtal

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Am 15. Juli 2021 brachte eine gigantische Hochwasserflut Trauer und Zerstörung, vor allem in das Ahrtal. Viele Menschen verloren ihr Leben, andere ihr Hab und Gut. Gleichzeitig versanken auch viele Kunstschätze in Wasser und Schlamm. "Es geht nicht nur um das Materielle, es geht auch um den ideellen und spirituellen Wert", sagt Sr. Johanna. Die Benediktinernonne ist Dipl. Restauratorin im Kloster Engelthal. Das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum hat unverzüglich gemeinsam mit ihr eine Notfallhilfe organisiert. In Engelthal werden derzeit 9 Skulpturen vor dem Verfall gerettet. Unter anderem ein Grab-Christus und eine wertvolle Anna selbdritt aus dem 15. Jahrhundert. "Dass diese Skulpturen aus der Flut gerettet wurden, ist ein Hoffnungszeichen für die Menschen aus dem Ahrtal", sagt Sr. Johanna.