Allerseelen sei „eine Art Wegweiser und eine Art Rastplatz, der uns das Ziel zeigt, aber der uns auch innehalten lässt im Gespräch und im Nachdenken. Letztlich ein Tag der Dankbarkeit für die Menschen, ohne die ich nicht der oder die wäre, der oder die ich bin, und die alle auf ihre Art ein Geschenk Gottes waren.“
Wörtlich sagte Kohlgraf: „‚Es ist schön, dass ich dir begegnen durfte. Du warst für mein Leben sehr wichtig, ich vermisse dich.’ Solche Sätze werden viele von uns heute und in diesen Tagen am Grabe eines lieben Menschen sprechen. Allerseelen ist auch ein Tag der Dankbarkeit, an dem ich mir klar werde, wie viel ich bestimmten Menschen verdanke, aber auch wie sehr sie mir fehlen. Es ist nicht verkehrt, sich für ein Gespräch mit einem verstorbenen Menschen Zeit und Ruhe zu nehmen, denn der Verstorbene ist da. Und manchmal kann ich ihn sprechen hören.“
Und weiter: „Der Verstorbene wird uns vielleicht mahnen, uns rechtzeitig um ein Fundament zu bemühen, das uns trägt, wenn alles andere vergeht. Die heilige Teresia von Avila etwa hat es kurz und knapp so formuliert: ‚Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber, Gott allein bleibt derselbe. Wer Gott hat, hat alles, Gott allein genügt.’ Damit redet sie nicht unsere irdischen Güter schlecht. Aber sie erinnert uns daran, dass eines Tages vielleicht ein Punkt unseres Lebens kommt, an dem uns nichts mehr trägt außer unser Glaube an ihn. An diesem Fundament, sagt an einer Stelle die Bibel, muss ich arbeiten, solange ich gesund und jung bin. Es kann sein, dass ich den rechten Zeitpunkt verpasse. Jesus nennt diese Haltung Wachsamkeit für das Notwendige, und er spricht von der Kürze der Zeit, die ich nicht vertun darf.“
„Es lohnt sich, dass wir uns Zeit für die Verstorbenen nehmen“, betonte Kohlgraf. „Es ist immer wieder ein großer Augenblick in der Heiligen Messe, wenn wir Gott alle Verstorbenen anempfehlen. Er möge ihrer gedenken, sich ihrer erinnern, denn wenn Gott sich ihrer erinnert, werden sie nicht sterben. Gemeint sind nicht nur unsere Toten, die wir kennen, an die wir uns erinnern. Gott kennt die Millionen und Abermillionen Menschen, die je gelebt haben. Keiner ist bei Gott verloren, aus einer Erinnerung gelöscht. Er kennt und liebt sie alle. Daher ist der Name des heutigen Tages sehr schön: Gedenken aller Seelen. Im Gebet vergessen wir niemanden.“
Nach der Eucharistiefeier ging Kohlgraf gemeinsam mit den Konzelebranten und den Gläubigen zu den Gräbern der Bischöfe im Mainzer Dom. Dabei besprengte Bischof Kohlgraf jedes Grab mit Weihwasser. An jedem Grabstein war außerdem eine Kerze aufgestellt. Die Prozession führte vom Westchor über den Mittelgang des Domes auf den Domfriedhof, in die Memorie zum Kettelergrab und schließlich in die Bischofsgruft unter dem Hauptaltar. Die musikalische Gestaltung hatten die Männerstimmen der Chöre am Dom unter Leitung von Domkapellmeister Karsten Storck sowie Domorganist Daniel Beckmann an der Orgel übernommen.