Am Mittwoch, 29. Mai, hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf seine Antrittsvorlesung anlässlich seiner Bestellung zum Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gehalten. In seiner Vorlesung mit dem Titel „Zwischen falschen Alternativen und scheinbaren Gegensätzen. Evangelisierung als theologischer Begriff und pastorale Praxis“ setzte sich Kohlgraf mit dem Begriff der Evangelisierung auseinander und beleuchtete die kontroverse Diskussion darum, was der Begriff bedeutet, und welche Handlungsanweisungen sich daraus ableiten lassen.
Bischof Kohlgraf benannte die „scheinbaren Gegensätze in der Bewertung des kirchlichen Verkündigungsauftrags, die oft gegeneinander in Stellung gebracht werden“. Auf der einen Seite gebe es diejenigen, die sagten: „In Deutschland findet kaum noch Evangelisierung statt, anstelle dessen kümmert man sich um Strukturen“, benannte Bischof Kohlgraf eine der Positionen. Darin werde der Vorwurf deutlich, die Kirche kümmere sich etwa im Zuge des Synodalen Weges zu sehr um ihre Strukturen, und zu wenig um die Inhalte des Evangeliums.
Zugleich äußerten angehende Priester häufig den Wunsch, besonders als Seelsorger tätig sein zu wollen, und weniger in der Verwaltung, sagte Kohlgraf. Er betonte: „So verständlich die Sorge ist, die sich darin ausdrückt, so sehr muss man den scheinbaren Gegensatz durchaus reflektieren. Aus eigener Erfahrung kenne ich durchaus Pfarrer, die dies zu verbinden wissen und um den seelsorglichen Wert einer guten und soliden Verwaltung wissen.“ Bischof Kohlgraf zitierte dazu eine Studie über das Selbstverständnis junger Priester in Deutschland. „Mit den Themen des Synodalen Weges, der ja immerhin seinen Grund vor allem auch die systemischen Themen wie Macht, Rolle, Tabuisierung bestimmter Themen und Missbrauch Schutzbefohlener hat, identifizieren sich nur wenige. Das heißt: Die Konzentration auf die eigene Spiritualität, Liturgie und spirituelle Förderung der Gläubigen steht gegen systemische Überlegungen“, sagte Kohlgraf.
Es gebe auch die andere Position: „Man müsse nur die Strukturen ändern, dann könne es gut weitergehen“, wie sie etwa von der Initiative Maria 2.0 vorgetragen wurde. Eine Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung habe ergeben, dass „die Befragten kirchliche Reformen und ein gesellschaftspolitisches Engagement erwarten, weniger spirituelle Unterstützung“, zitierte Kohlgraf. Dies mache ihn nicht glücklich, sagte der Bischof, sei aber ein valides Ergebnis. Dem stehe die genannte Priesterstudie entgegen. Daraus werde deutlich: „Spiritualität und Innerlichkeit treten in Konflikt mit politischem und gesellschaftlichem Engagement“. Das Ziel, durch eine Fokussierung auf Spiritualität die eigene Identität zu stärken, könnte dazu führen, „einen Teil der Gläubigen in die innere und äußere Emigration zu führen, sofern die Kirche dadurch den Kontakt zur säkularen Gesellschaft verliert“, erläuterte Kohlgraf.
Die Studie zur Kirchenmitgliedschaft zeige „dass es falsch ist zu meinen, man müsse nur den Inhalt besser vertreten. Es gilt zu respektieren, dass Menschen keine Sehnsucht nach Transzendenz, nach Religion oder Gott in sich tragen“, sagte Kohlgraf. Hier könne man wohl nur ein überzeugtes, reflektiertes und überzeugendes Christentum ins Gespräch bringen, gab Kohlgraf zu bedenken. „Die persönliche Begegnung wird der wichtigste Weg der Evangelisierung bleiben“, sagte er. Und weiter: „Aber: Gute Seelsorge braucht eine gute Verwaltung, der heilige Bonifatius in Mainz hat es vor Jahrhunderten nicht anders gemacht. In seinen Briefen schreibt er mehr über strukturelle Fragen als über innerliche Frömmigkeit. Ohne die von ihm geschaffenen Strukturen gäbe es den ‚Apostel der Deutschen‘ nicht“. Der Bischof mahnte: „Es wäre fatal, wenn das kirchliche Leitungspersonal, die Priester, die Kluft zwischen Evangelium und Kultur vergrößerten, indem sie nicht den geforderten Dialog auch mit den Menschen der Säkularität suchten, sondern sich allein den Frommen im Inneren der Kirche zuwenden. Und sie werden den strukturellen Fragen nicht ausweichen dürfen. Den Themen des Synodalen Weges werden wir nicht ausweichen dürfen, sie bemühen sich um eine glaubwürdige Gestalt der Kirche, sind daher wichtiger Teil der Evangelisierung, wenn auch nicht das Ganze.“
„Verkündigung im Wort braucht die Verkündigung durch die Tat, beides gegeneinander zu stellen, ist gegen das Evangelium und die Offenbarung in Tat und Wort“, resümierte Kohlgraf. Sein Fazit lautete: „Der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, ist der Kirche aufgetragen. Wir sollten es nicht als Kampfbegriff nehmen, sondern die Vielfalt des Auftrags neu schätzen lernen. Mit nur einem Weg werden wir dem Auftrag nicht gerecht. Es war immer katholisch, nicht das ‚entweder-oder‘, sondern das ‚sowohl-als auch‘, das et-et zu leben“.
Zuvor hatte Fakultätsdekanin Professorin Dr. Heike Grieser die anwesenden Gäste begrüßt. Professor Dr. Philipp Müller, Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie, hielt eine Laudatio. Nach seiner Vorlesung bedankte sich Bischof Kohlgraf besonders beim Präsidenten der Johannes Gutenberg-Universität, Dr. Georg Krausch, dem Vizepräsidenten für Studium und Lehre, Professor Stephan Jolie, Fakultätsdekanin Professorin Grieser, Professor Müller und dem Geschäftsführer Dr. Uwe Glüsenkamp für ihre Anwesenheit, sowie seinem theologischen Referenten, Manuel Krumbiegel, seiner Mitarbeiterin Alexa Stendtke, seiner Büroleiterin Martina Friedrich und allen Beteiligten an Vorbereitung und Organisation der Veranstaltung für ihre Unterstützung. Anschließend kamen die Gäste bei einem Empfang miteinander ins Gespräch.