„Ich habe keinen Hass“

Mieczysław Grochowski spielt auf seiner Trompete das von ihm komponierte Lied „Die Tränen der Kinder von Potulice“ (c) Bistum Mainz/Hoffmann
Datum:
Di. 25. Apr. 2023
Von:
hoff (MBN)

Trompetentöne erklingen in einem Raum des Tagungshauses Klosters Jakobsberg bei Ockenheim. Mieczysław Grochowski spielt auf seiner Trompete das von ihm komponierte Lied „Die Tränen der Kinder von Potulice“. Schülerinnen der Maria Ward-Schule Mainz hören ihm dabei zu. Grochowski ist pensionierter Berufsmusiker. Als einer der wenigen verbliebenen Zeitzeugen ist der 84-Jährige auf den Jakobsberg gekommen, um den Jugendlichen auch von einem anderen Kapitel in seinem Leben zu erzählen: Er überlebte als Kind das Arbeitslager der Nationalsozialisten im polnischen Potulitz.

Mieczysław Grochowski (Mitte) erzählte Schülerinnen der Maria Ward-Schule seine Erlebnisse während der Zeit des Nationalsozialismus (c) Bistum Mainz/Hoffmann

„Am Schlimmsten waren der Hunger, die Kälte, die juckenden Wanzenbisse und die Angst vor den Kommandanten im Lager, denn sie schlugen uns mit ihrer Peitsche“, erzählt Grochowski. Als jüngstes von acht Kindern kam er im nordpolnischen Pommern zur Welt. Dort sprachen viele Deutsch. Teile Pommerns waren nach Kriegsausbruch daher für die „Germanisierung“ vorgesehen. Sein Großvater und sein Vater weigerten sich jedoch, die sogenannte „Volksliste“ zu unterschreiben. Die Familie wurde deshalb Mitte 1943 getrennt und inhaftiert. Grochowski kam gemeinsam mit seiner Mutter ins Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz und blieb dort 14 Monate bis Anfang 1945.

 

„Die schlimmste Zeit für mich kam erst nach dem Lager“, sagt Grochowski. Nach der Befreiung 1945 lebte er zunächst drei Monate bei seiner Tante, bis seine Mutter heimkehrte. Auch seine Geschwister hatten überlebt, sein Vater jedoch war im Lager umgekommen. Grochowski erzählt, dass ihn seine beiden Cousinen, die dort wohnten, immer wieder in einen Wohnkeller einsperrten, ein Loch im Boden. Diese Erlebnisse wirken bei ihm bis heute nach.

 

Trotz seiner Erlebnisse hegt Grochwoski keinen Hass: „Ich habe keinen Hass. Unsere Mutter hat uns schon früh beigebracht, sich nicht mit der Vergangenheit aufzuhalten, sondern nach vorne zu schauen, und nicht zu hassen.“ Grochowski machte eine Lehre zum Automechaniker, ging dann aber als Trompetenspieler zur Marine. 16 Jahre lang spielte er in einer Zirkuskapelle und reiste mit ihr durch ganz Europa. Mit seiner Familie sprach er nie über seine Zeit im Lager. „Wir waren frei, wir wollten leben. Das war alles, was zählte“, sagt er.

 

„Mich hat der Vortrag sehr berührt, weil er so persönlich war“, sagt Celine Uhrig aus Mainz. Die 16-Jährige hat gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen Nina Tillmann und Kiara Kehr an der Begegnung teilgenommen. Alle drei besuchen die Jahrgangsstufe elf der Maria Ward-Schule. „Es ist etwas ganz anderes, die Person persönlich zu treffen, als in einer Videokonferenz zu sehen“, sagt Tillmann. Kehr ergänzt: „Man hat gemerkt, dass es ihm noch schwerfällt, manche Erlebnisse zu erzählen.“ Etwa 120 Schülerinnen sind an diesem Tag zur Begegnung auf den Jakobsberg gekommen und hören aufgeteilt in Gruppen insgesamt drei Zeitzeugen zu.

 

Hintergrund: Zeitzeugenbesuch

Seit dem Jahr 2001 organisiert das Bistum Mainz in Kooperation mit dem Maximilian-Kolbe-Werk Begegnungsveranstaltungen mit Überlebenden der NS-Herrschaft. Die Zeitzeugen sind überwiegend polnische Staatsangehörige, die während der Besatzung Polens durch NS-Deutschland verhaftet und in Konzentrationslager oder Ghettos verschleppt wurden oder aber in Verstecken unter äußerst schwierigen Bedingungen überlebten. Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wollen mit ihrer Arbeit ein Zeichen der Versöhnung setzen, mit ihren Berichten die Schülerinnen und Schüler aufklären und sie dazu motivieren, sich für eine friedliche Zukunft eizusetzen.

 

Hinweise:

  • Weitere Informationen unter www.bistummainz.de/zeitzeugenbesuche
  • Kontakt: Stephanie Roth, E-Mail: zeitzeugen@stephanie-roth.de, Handynummer 0171 / 828 99 73