Identitäre Politik als „christliche Tradition“?

Bischof Peter Kohlgraf predigte beim Seminarfeiertag in der Mainzer Augustinerkirche (c) Bistum Mainz/Hoffmann
Datum:
Di. 10. Dez. 2024
Von:
hoff(MBN)

Werden extrem rechte, rechtspolitische Strömungen immer deutlicher? Und welche Rolle spielt die katholische Kirche dabei? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der Seminarfeiertag des „Haus der kirchlichen Berufe“, dem bischöflichen Priesterseminar St. Bonifatius in Mainz, am Montag, 9. Dezember. Zur Eröffnung des Tages feierte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf ein Pontifikalamt in der Mainzer Augustinerkirche. In seiner Predigt ging er auf die Heilszusage Gottes an alle Menschen ein, und leitete daraus auch eine politische Verantwortung der Gläubigen ab. Bei der anschließenden akademischen Feier in der Aula gab Dr. Sonja Strube, katholische Theologin und Dozentin an der Universität Osnabrück in ihrem Vortrag „Identitäre Politik als ‚christliche Tradition‘?“ Einblicke in das Thema.

„Allen Menschen wird zuteil, Gottes Heil“- diese Zeile des Kirchenliedes (GL 221) griff Bischof Peter Kohlgraf in seiner Predigt zum Seminarfeiertag auf. Der Feiertag wird traditionell am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria gefeiert. Gottes Heil werde eben allen Menschen zuteil, nicht nur wenigen, ausgesuchten, betonte der Mainzer Bischof. Wörtlich sagte er: „Wir leben in einer Zeit einfacher Parolen: Die Kirche soll sich aus der Politik heraushalten, sie soll sich um das sogenannte Seelenheil kümmern, was immer das ist. Ich höre, dass Glaube etwas Privates sein solle, der nichts in der Öffentlichkeit zu suchen habe.“ In Bezug auf den Propheten Jesaja, auf dessen Text das Lied zurückgeht, betonte Kohlgraf: „Gottes Heil, Gottes Liebe gilt allen Menschen. Nicht einem Volk, nicht einer Religion, nicht einer Kultur. Allen Menschen wird zuteil, Gottes Heil. Dieser Satz ist alles andere als harmlos. Er erlaubt nämlich keine Unterteilung der Menschen mehr in wertvollere und weniger wertvolle.“ Kohlgraf sagte, die Menschheit sei eine Schicksalsgemeinschaft, in der es dem einen nicht gut gehen könne, solange der andere leide.  

Der Regens des Mainzer Priesterseminars, Pfarrer Michael Leja, begrüßte die Gäste beim Seminarfeiertag (c) Bistum Mainz/Hoffmann

„Gott unterscheidet die Menschen und ihren Wert offenbar nicht aufgrund von Herkunft, Hautfarbe und Religion. Allen Menschen wird sein Heil zuteil, besonders jenen, die arm sind vor ihm. Diese Botschaft in die Welt zu tragen ist eine politische Botschaft, eine öffentliche Botschaft“, sagte Kohlgraf. Und weiter: „Wer meint, Religion solle sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, hat weder den Propheten Jesaja noch die Evangelien gelesen, geschweige denn verstanden. Wer die Bibel versteht, versucht seine eigene Identität nicht durch Herabsetzung und Geringschätzung anderer und durch den Rückzug in die Innerlichkeit zu retten.“ Dem Volk Gottes komme in dieser Situation die Rolle zu, als Gottes Werkzeug zu dienen, nicht zum Selbstzweck. Jegliches Handeln müsse dem Ziel dienen, Gott Raum zu schaffen und sein Heil zu vermitteln, so der Bischof. Er appellierte an die Anwesenden, zu „Expertinnen und Experten der Barmherzigkeit“ zu werden, und sich für gerechte Strukturen einzusetzen. Denn „Glaube hat immer eine politische Seite.“

Akademischer Vortrag zum Thema „Neue Intellektuelle extreme Rechte“

Dr. Sonja Strube beim Seminarfeiertag im Mainzer Priesterseminar/Haus der kirchlichen Berufe Mainz (c) Bistum Mainz/Hoffmann

An das Pontifikalamt schloss sich eine akademische Feier an. Im Rahmen dieser Feier sprach die Theologin Dr. Sonja Strube von der Universität Osnabrück sowie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) in Kaiserslautern-Landau über die Unterwanderung konservativer christlicher Gruppierungen durch Rechtsextreme. Sie skizzierte die Entwicklung der „Neuen intellektuellen extremen Rechten“ in den 1990er Jahren. Es gebe eine Schnittmenge von christlichen Themen, und einem Rechtskatholizismus, der mit politischem Traditionalismus einhergehe. Innerhalb dieser Szene gebe es etwa Gruppierungen, die versuchten, antidemokratische Ziele dadurch zu legitimieren, dass sie Bezug nehmen auf die „christliche Soziallehre“. Deshalb sei es wichtig, auch scheinbar rein religiös auftretende Gruppen unter politischen Gesichtspunkten ernst zu nehmen und zu beobachten.

Bei der Feierstunde wurde auch der Joseph Maria Reuß-Preis der Stiftung Mainzer Priesterseminar verliehen. David Zerfaß erhielt diesen Preis für herausragende theologische Abschlussarbeiten für seine Masterarbeit mit dem Titel: „Verratene Ideale? Sterbebegleitung während der Corona-Pandemie. Eine pastoraltheologische Untersuchung“. Der Förderpreis wurde ihm von Bischof Kohlgraf überreicht und ist mit 600 Euro dotiert. Musikalisch begleitet wurde die Feier von Judith Quinker an der Oboe und Regionalkantorin Mechthild Bitsch-Molitor am Klavier.

Bischöfliches Priesterseminar Haus Bonifatius