Im Jahr 2015 hat Kohlgraf den Band „Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche“ im Matthias Grünewald-Verlag veröffentlicht. Im Schlusskapitel schreibt er dazu (Seite 153): „Das vorliegende Buch sollte ein Versuch sein, ein beinahe 50 Jahre altes Buch eines großen Konzilstheologen mit den Augen eines Theologen zu lesen, der selbst nicht mehr Zeitzeuge des Konzils ist, aber in seiner Tradition aufgewachsen ist. Ältere Freunde und Kollegen erzählen oft über die Aufbruchsstimmung während und nach dem II. Vatikanum. Für mich selbst sind viele Dinge, die damals umwälzend waren, zur Selbstverständlichkeit geworden. Das Buch von Yves Congar hat mir jedoch gezeigt, dass es Grundthemen des Konzils gibt, die sich erst mühsam durchsetzen müssen. Die Rezeption mancher Themen steckt noch ganz in den Anfängen. Dass das Bemühen um eine arme und dienende Kirche das eigentliche Thema des Konzils gewesen sein soll, wäre mir als junger Theologiestudent kaum in den Sinn gekommen. Es ist gut, dass dieses zentrale Thema heute auch durch den Papst und seine Verkündigung aus der Versenkung geholt wird.“
„Wie man es auch wendet, die Glaubwürdigkeit der Kirche wird immer auch daran festgemacht, dass ihre Boten selbst das leben, was sie verkünden. Gegen Lüge, besonders in der Kirche, reagieren Menschen sehr empfindlich, und der Kirche wird nicht mehr geglaubt, so feierlich und ehrwürdig sie sich auch präsentieren mag. Was ist hieran der diakonische Aspekt? Kirche handelt dort diakonisch, wo sie als einladend, wahrhaftig und ehrlich erlebt wird. Menschen müssen erleben, dass ihre Erfahrungen ernstgenommen werden und im kirchlichen Handeln Platz finden.“
Aus „Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche“ (Seite 73)
„Autorität ist gelebte Beziehung, Diakonie ist verwirklichte Autorität. Autorität ohne Diakonie und Beziehung kann sich nicht auf Gottes Wort berufen und verhindert den Zugang der Menschen zu ihm. Autorität eines Amtsträgers ohne Anerkennung durch das Volk kann es demnach nicht geben und zahlreiche Erfahrungen der Kirche in Geschichte und Gegenwart bestätigen diese theologische Einsicht. Wie schnell Autorität verloren geht, wenn ein kirchlicher Würdenträger - zu Recht oder nicht, sei dahingestellt - als autoritär empfunden wird, kann man sich gut vorstellen. Ein nur äußerlicher Gehorsam ist der Tod der Autorität.“
Aus „Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche“ (Seite 100)
„Wenn Congar vom Bischof fordert, Vorbild im Glauben und im Leben zu sein, geht dies der beschriebenen Definition zufolge nur, wenn es eine positive Beziehung zwischen ihm und seinen Gläubigen gibt, wenn es ihm um die Mündigkeit seiner Mitchristen geht, wenn er Freiheit und Individualität fördern will. Dann kann es sein, dass andere Christen spüren, dass er jemand ist, der ihren eigenen Weg der Nachfolge motiviert. Zieht sich jedoch ein Priester oder Bischof zu sehr in seine Sonderwelt zurück, lassen sich fruchtbringende Beziehungen kaum leben. Vielleicht wird es dann auch Menschen geben, die seinen Weg positiv bewerten. Ob es aber eine erwachsene Beziehung zweier geistbegabter Christen sein wird, kann angefragt werden. Schaut man sich heilige Hirten der Vergangenheit an, haben zumeist diejenigen über lange Zeit Verehrung erfahren, die nahe bei den Menschen waren und die auch heute noch eine positive Beziehung zulassen. Nie war der Amtsbesitz an sich Auslöser für längere Verehrung, sondern seine positive und beziehungsreiche Ausgestaltung. Aktuell kann jeder, der in der Kirche Verantwortung trägt, nur bescheiden seinen Weg des Glaubens in der Gemeinschaft der Kirche gehen, indem er versucht, den Glauben in der Liebe wirksam werden zu lassen bzw. die Wahrheit des Glaubens im Tun zu erweisen. Ob Menschen ihn sich zum Vorbild nehmen, wird er ihrer Freiheit und auch ihrem kritischen Gespür überlassen müssen. Ohne Beziehung aber geht es nicht. Sobald jemand beginnt, den anderen zu funktionalisieren oder auf den von ihm gedachten Weg zu drängen, hört er auf, Vorbild zu sein. So kann jeder Christ für den anderen zum Vorbild werden, indem er konsequent seinen Glauben diakonisch, das heißt im Sein für andere, lebt.“
Aus „Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche“ (Seite 104)
„Das Thema Kirche und Geld beschäftigt die Öffentlichkeit nicht von ungefähr. Bischöfliches und diözesanes Finanzgebaren wird zunehmend kritisch diskutiert – vielleicht ist diese zunehmende Transparenz für die Kirche heilsam, weil auch ihr das Geld anvertraut ist, das ihr im Sinne von Papst Franziskus nicht für eigene Zwecke gehört. Zum Realismus gehört aber auch, dass die Kirche Geld braucht, um ihre Aufgaben in der Welt wahrzunehmen. Sie lebt damit in der ständigen Spannung zwischen dem Anspruch Jesu und ihrem Auftrag in der konkreten Welt.“
Aus „Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche“ (Seite 146)
„Mit einer manchen Einschätzungen zufolge sterbenden Pfarreienlandschaft im rheinhessischen Teil des Bistums Mainz feiere ich Sonntag für Sonntag die Eucharistie. Ich bemühe mich, die Themen der Literatur mit den Menschen dort in Verbindung zu bringen. Und nicht selten stellt sich die Frage: Wer legt eigentlich fest, was Wirklichkeit ist?
Natürlich sitzen in den Gottesdiensten Menschen eher höheren Alters, und es bedarf nicht großer Phantasie, sich die Veränderung der Gottesdienstgemeinde in zwanzig Jahren vorzustellen. Dennoch herrscht meiner Wahrnehmung nach keine Agonie. Die Menschen in den Gemeinden bemühen sich nicht alle krampfhaft um die Wahrung von Traditionen, aber dennoch ist die Kirche im Übergang für sie ein wichtiger lebendiger Teil ihres Lebens. Eltern bringen ihre Kinder zur Taufe, auch wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Intention hohen theologischen Ansprüchen entsprechend zu artikulieren. Über Predigten wird gesprochen, ich lerne von den Leuten viel über meinen Glauben und meine Theologie. Jugendliche lassen sich firmen, Kinder gehen zur Erstkommunion, Messdienerinnen und Messdiener engagieren sich, Erwachsene bringen Leben in die Gemeinden. Auch das ist Wirklichkeit einer kleinen Pfarrgruppe auf dem Lande, die man vielleicht zu schnell totsagt. Das kann ich nicht einfach schlechtreden.
Als Theologe den Menschen einfach zu unterstellen, sie lebten im Zustand dauerhafter Wirklichkeitsverdrängung, verkennt, dass das aktuelle Leben ihre Wirklichkeit ist. Sie dort nicht stehen zu lassen, sondern sie mitzunehmen auf dem Weg in neue Formen von Kirche, ist eine herausfordernde Aufgabe.“
Aus dem Artikel „Ist die Pfarrei tot? Eine Befragung von Gläubigen zur Zukunft der Gemeinden“ (Seite 28), in: Herder Korrespondenz 70 (10/2016), 28-31.
„Die neue Perspektive wird darin bestehen, dass Modelle und neue Denkweisen nicht als Notlösungen verstanden werden, sondern als vom Geist Gottes für diese Zeit und diese Welt gestellte Aufgabe, Kirche zu gestalten. Es darf nicht darum gehen, eine bestimmte gewachsene Struktur zu konservieren, sondern im Vertrauen darauf zu beginnen, dass Christus auch heute in seiner Kirche lebt und der Geist sie antreibt. Gelassenheit, Gottvertrauen und der Mut, Wesentliches von Sekundärem zu unterscheiden und dies in geduldigen geistlichen Prozessen herauszufinden, sind Haltungen, die für ein Gelingen des Weges von entscheidender Bedeutung sind. Es ist keine Schande zuzugeben, dass auch die Verantwortlichen keine klaren und eindeutigen pastoralen Lösungen für komplexe Themen im Gepäck haben.“
Aus dem Artikel „Überlegungen zur Pastoral der Zukunft“ (2016), der online verfügbar ist in dem Dokument „Pastoral in großen Einheiten“ (Seite 8-9): www.seelsorge.bistummainz.de
„Die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, war jedenfalls nie katholisch. Sich der Wirklichkeit zu stellen, ist wohl eines der herausragendsten Merkmale des Katholischen, weil es dem Wesen Gottes entspricht, der in seinem Sohn Fleisch annimmt, um sich der menschlichen Wirklichkeit auszusetzen – mit allen Konsequenzen. Billiger geht es dann für die Kirche auch nicht.“
Aus dem Artikel „Katholisch sein in der Welt von heute. Im und um den Glauben ringen“ (Seite 7), in: Impulse 108/03 (2014), 4-7. Der Text ist online verfügbar unter: www.erzbistum-koeln.de/kultur_und_bildung/schulen/religionsunterricht/zeitschrift_impulse/Jahrgang_2014/Heft_3/14imp3basisartikel.pdf
„Dass das Bemühen, sich in den Glauben der Kirche einzupassen, nicht bedeuten darf, das eigene Denken abzuspalten und es anderen zu überlassen, scheint klar zu sein. Daraus ergibt sich nämlich das Phänomen einer religiösen Sonderwelt, die mit der alltäglichen Erfahrung eines Menschen nicht mehr in Beziehung gebracht werden kann. Alles, was den Glauben, den ich eigentlich teilen müsste, in Frage stellt, was Klarheiten zerbricht, was Selbstverständlichkeiten hinterfragt, darf mich dann nicht mehr beschäftigen. Beinahe zwangsläufig gerate ich in eine katholische Parallelwelt, die mich von einer kritischen Gesellschaft, von Freunden, von Themen einer pluralen und säkularen Umwelt, ja selbst von Familienangehörigen und auch einer als Bedrohung empfundenen kirchlichen Realität absondert. Wer seinen Wahrheitsbesitz so definiert, wird einsam, und er wird es sogar als normal empfinden. Wer so denkt, verkennt die Tatsache, dass auch ‚die Kirche’ als solche stets um Wahrheit ringen muss.
Wenn Katholisch-Sein und der Anspruch auf Wahrheit jedoch bedeutet, kirchlichen Glauben und eine sich immer schneller verändernde Wirklichkeit in Beziehung zu bringen, ein persönliches und gereiftes Glaubensleben zu versuchen, Glaube und Vernunft auch im eigenen Leben spannungsreich zu korrelieren, den eigenen Verstand als göttliches Geschenk zu akzeptieren, und schließlich das Katholisch-Sein als ein Zeugnis der Gegenwart Gottes mitten in der Welt (und nicht ihr gegenüber) zu verstehen, wird der Glaubende aller Wahrscheinlichkeit nach die Erfahrung machen müssen, dass sich Wahrheit entfaltet, konkretisiert, ja sogar im Gespräch neuen Situationen anpasst. Das hat notwendigerweise Suchen, Ringen im und um den Glauben zur Folge. Die Auffassung, Glaubenswahrheit sei über Jahrhunderte von den Realitäten unberührt überliefert worden, mag ein theologisches Konstrukt sein, der Realität der Dogmenentwicklung und der Lebendigkeit kirchlichen Lebens wird sie nicht gerecht. Nicht nur der einzelne Glaubende, auch die Kirche hat im und um den Glauben gerungen, indem sie sich immer wieder den Wirklichkeiten und der Kultur der ihr anvertrauten Menschen ausgesetzt hat. Dabei hat sie ja nicht einfach ewig gültige theoretische Lehrsätze wiederholt, sondern sie hat selbst von ihren Adressaten gelernt, das Evangelium immer neu zu verstehen.“
Aus dem Artikel „Katholisch sein in der Welt von heute. Im und um den Glauben ringen“ (Seite 4-5), in: Impulse 108/03 (2014), 4-7. Der Text ist online verfügbar unter: www.erzbistum-koeln.de/kultur_und_bildung/schulen/religionsunterricht/zeitschrift_impulse/Jahrgang_2014/Heft_3/14imp3basisartikel.pdf