Kohlgraf: Europa eine Seele geben

Gottesdienst mit dem Mainzer Bischof zur Generalversammlung der Görres-Gesellschaft

Görres-Gesellschaft-Kohlgraf (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
So. 1. Okt. 2017
Von:
tob (MBN)
Mainz. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die Christen aufgerufen, an der Gestaltung der Identität Europas mitzuwirken: „Es ist heute notwendiger als je zuvor, den Menschen nicht nur als Bürger oder wirtschaftliches Subjekt zu sehen, sondern als Person, als mit Würde ausgestattetes Ebenbild Gottes: und zwar jeden Menschen, geboren oder ungeboren, jung oder alt, gesund oder krank, arm oder reich“, sagte Kohlgraf bei einem Gottesdienst am Sonntag, 1. Oktober, in Mainz-St. Stephan.

„Das ist eine der Identitäten Europas, und wir als Kirche, als Christinnen und Christen müssen unserem Europa mit Gottes Hilfe diese Seele einhauchen.“ Und weiter: „Was vielleicht hochtrabend klingt, wird schnell konkret: Sobald ich persönlich menschlich handeln und menschlich sprechen soll.“ 

Wörtlich sagte Kohlgraf: „Der Einfluss der Kirchen und des Christentums schwindet. Dennoch dürfen wir nicht aufhören, mit vielen anderen, denen die Identität der Menschlichkeit wichtig ist, zusammen zu arbeiten. Das Evangelium bleibt unser Angebot, das hilft, der Freiheit ein Gewissen zu geben, und den Wert des Füreinander-Daseins zu leben.“ Der Festgottesdienst fand im Rahmen der Generalversammlung der „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft“ (29. September bis 1. Oktober) in Mainz statt. Die 120. Generalversammlung der Görres-Gesellschaft stand unter der Überschrift „Europas Krisen - Europas Identitäten“.  

Ausgangspunkt seiner Predigt war die Aussage von Papst  Franziskus, dass es bei der Frage nach der Identität Europas darum gehe, „dass Europa seine gute Seele wiederentdeckt“. Weiter sagte Kohlgraf: „Tatsächlich ist Menschlichkeit eine der Identitäten Europas. Der Mensch, und zwar der einzelne Mensch, steht im Zentrum dieser Menschlichkeit: die Würde jeder Person. Damit verbindet sich die Rede von den Menschenrechten, mit denen sich auch die Kirche nicht immer leicht tat.“ Er erinnerte daran, dass die Kirche erst im Zweiten Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit anerkannt habe und die Anerkennung der Menschenrechte „im letzten nicht der Theologie, sondern dem säkular-weltlichen Recht“ verdanke. 

Weiter sagte er: „Für uns als Kirche sind die Menschenrechte nicht verhandelbar, im Besonderen nicht das Recht auf Leben, gerade auch im Hinblick auf die Ungeborenen. Die Kirche kennt keine mehr oder weniger wertvollen Menschen. So sehr die Kirche von den säkularen Quellen gelernt hat, die Freiheitsrechte des Menschen zu achten, so sehr ist es heute ihre Aufgabe, aus Gründen der Menschlichkeit an mögliche Grenzen der Freiheit zu erinnern. Freiheit braucht, so Papst Franziskus, ein Gewissen und ein geschichtliches Gedächtnis. Das ist Aufgabe der Seele, die wir Europa geben müssen. Freiheit ohne Gewissen ist Diktatur.“  

„Der Mensch wird arm, wenn er den Himmel vergisst“

Ebenso gehöre aber auch die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz zur Identität Europas, sagte der Bischof: „Der Mensch wird arm, wenn er den Himmel vergisst, daran hat die Theologie, daran hat die Kirche zu erinnern. Auch das ist eine der Identitäten Europas, die vielleicht zunehmend vergessen wird. An Gott zu erinnern, bleibt die Kernaufgabe der Kirche und jedes einzelnen Glaubenden.“ 

Kohlgraf betonte, dass zahlreiche Heilige wie Augustinus, Thomas von Aquin, Elisabeth von Thüringen, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola zur Identität Europas gehörten. Diese Heiligen machten auch deutlich, dass Theologie „keine abstrakte Wissenschaft“ sei: „Solche Menschen geben auch heute Europa eine Seele. Es ist eine der Hauptsorgen auch in den Fragen der Pastoral heute, wie getaufte Menschen ihre Identität als Christin oder Christ entdecken und froh leben können. Das ist offenbar nicht nur eine Frage für die Zukunft der Kirche, sondern auch eine Frage nach der Seele Europas.“