Plakative Maßnahmen seien dabei keine Hilfe. „Die Kirche ist noch nicht am Ende dieses Lernweges.“ Gemeinsam mit verschiednen externen Fachleuten gehe es derzeit darum, sinnvolle Wege der Aufarbeitung zu definieren. Kohlgraf äußerte sich am Dienstagabend, 30. Oktober, im Erbacher Hof in Mainz bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Sexueller Missbrauch in der Kirche. Die MHG-Forschungsstudie: Ergebnisse und Perspektiven“, die von der Bistumsakademie Erbacher Hof veranstaltet wurde.
Kohlgraf hob hervor, dass die Betroffenen von sexuellem Missbrauch „wichtige Gesprächspartner für mich sind. Ich möchte von den Betroffenen lernen.“ Der Bischof sagte, dass er sich am vergangenen Wochenende zum ersten Mal mit einem Betroffenen zu einem persönlichen Gespräch getroffen habe. Es gehe ihm dabei darum, herauszufinden, wie den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren könne. Und weiter: „Wir müssen lernen, nicht über die Betroffenen zu sprechen, sondern mit den Betroffenen zu sprechen. Das gehört zur Verantwortung für die Geschichte des Bistums. Wir verhandeln dabei nicht über Akten oder Zahlen, sondern wir haben es mit Menschen und deren Lebensgeschichten zu tun, die auch zur Geschichte des Bistums gehören.“
Bei aller Abwendung von der Kirche durch Betroffene gebe es Menschen, die auch nach einem Missbrauch noch ihre Heimat in der Kirche finden, sagte Kohlgraf. Für sie könne auch der von Papst Franziskus angeregte Gedenktag am Sonntag, 18. November, eine Hilfe sein. An diesem Tag findet im Mainzer Dom um 15.00 Uhr zum „Tag des Gebetes und der Buße für die Opfer sexuellen Missbrauchs“ ein Gottesdienst mit Bischof Kohlgraf statt.
Professor Dr. Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und zugleich Verbundkoordinator der MHG-Studie hatte zu Beginn des Abends zentrale Ergebnisse der MHG-Studie vorgestellt. In der katholischen Kirche gebe es „spezifische Strukturen, die Missbrauch begünstigt haben“. Es sei erforderlich, in der Kirche die Diskussion etwa über die Sexualmoral und das Thema Klerikalismus aufzunehmen. Das Risiko von sexuellem Missbrauch bestehe nach wie vor, allerdings sei es durch die ergriffenen Präventionsmaßnahmen „deutlich geringer“ geworden. Dreßing sagte, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema durch die MHG-Studie nicht abgeschlossen sein dürfe. Er betonte, dass die MHG-Studie von den Wissenschaftlern „komplett unabhängig“ erstellt worden ist: „Die Bischöfe haben uns nicht reingeredet.“ Aus datenschutzrechtlichen Gründen habe es Limitierungen bei Zugang zu den Personalakten der Bistümer gegeben.
Pater Dr. Klaus Mertes SJ aus St. Blasien beklagte, dass es in der Kirche teilweise „ein falsches Opfergefühl“ gebe, weil sich viele Kleriker unter Generalverdacht gestellt sähen. „Nicht alles, was wehtut, bedeutet jedoch, dass man Opfer ist.“ Von der Deutschen Bischofskonferenz erhoffe er sich, „dass sie bei der Missbrauchskonferenz im Februar im Vatikan, das Tabu über Homosexualität bricht“. Eine solche politische Positinierung der Bischofskonferenz sei wichtig.
Die MHG-Studie sei für die Kirche „ein Auftrag zum Handeln“ sagte Jürgen May, Leiter des Städtischen Jugendamtes Ludwigshafen. Missbrauch habe immer auch mit Missbrauch von Macht zu tun. Daher müsse die Kirche über ihre Machtstrukturen sprechen. „Dieser Prozess wird Jahre dauern und er braucht eine Veränderung von Haltung.“ Die Moderation hatte Matthias Drobinski von der Süddeutschen Zeitung übernommen. Der Direktor der Bistumsakademie Erbacher Hof, Professor Dr. Peter Reifenberg, hatte die Teilnehmer im Ketteler-Saal begrüßt.