Mainz. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die vor 60 Jahren veröffentlichte Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils als „bedeutenden Perspektivwechsel“ gewürdigt: „Die Kirche wollte zunächst die Wirklichkeit wahrnehmen, die Themen und Fragen hören, bevor sie Antworten gibt.“ In seiner Predigt bei der Martinusvesper am Sonntagabend, 16. November, im Mainzer Dom, warnte Kohlgraf davor, die Hinwendung zu den Fragen und Themen der Menschen nur als pastorale Methode zu verstehen, um in der aktuellen Krisensituation der Kirche noch anschlussfähig zu sein. „Das ist vielleicht eine ernste Versuchung, der wir erliegen können.“
Wörtlich sagte Bischof Kohlgraf: „Die Nähe zu den Themen der Menschen unserer Zeit ist jedoch keine Methode, sondern eine echte Haltung – sofern wir das Konzil ernst nehmen.“ Die Kirche müsse sich die Frage stellen: „Haben wir dieses wirkliche Interesse oder entwickeln wir nur Methoden?“, erläuterte Kohlgraf. „Ein Blick in das Evangelium ist notwendig, denn am Handeln Jesu wird deutlich, dass es ihm nicht um Institutionen geht und er nicht zur Selbstbestätigung handelt. Er nimmt den einzelnen Menschen in seiner Suche nach Heil ernst und spricht gleichzeitig nicht alles heilig, was im Menschen ist. Von Jesus kann die Kirche, die analog zu ihm Sakrament ist, alles Notwendige für das eigene Handeln lernen, ohne dass dies in eindeutige Konzepte, unveränderliche Positionen und Methoden gegossen werden dürfte. Wenn wir nicht nur Methoden entwickeln, sondern personale Begegnung ermöglichen, ist das genau das Gegenteil einstudierter Methoden.“ Die Praxis der Kirche könne „Not wenden, wenn sie wirkliches Interesse für die Menschen mitbringt und selbstlos handelt, ohne Hintergedanken oder Profilierungssucht“.
Weiter sagte der Bischof: „Natürlich brauchen wir auch Konzepte, Strategien und Methoden der Pastoral. Aber sie selbst sind noch nicht die Verkündigung. Die erste Voraussetzung ist das Hinschauen und Hinhören auf Gottes Wort, seinen Willen sowie die Themen der Menschen. Dabei verändern wir uns möglicherweise auch. Zu Recht werden die Menschen misstrauisch, wenn wir ihre Themen nur als Aufhänger nehmen für unseren Erhalt und unsere Botschaften. Der heilige Martin ermutigt uns, nicht in erster Linie Methoden zu suchen, sondern uns erfüllen zu lassen vom Evangelium, echtes Interesse an Menschen und der Welt zu haben. Zeugnis eines Lebens kann dann Fragen auslösen, muss es aber nicht. Martin ist ein Glaubender, der lebt, was er bekennt. Und das überzeugt Menschen bis heute. Menschen ernst nehmen, Gott ernst nehmen – nicht als Methode, sondern als eigenes Lebensprogramm.“
Die Martinusvesper im Mainzer Dom mit anschließendem Bistumsempfang im Erbacher Hof fand erstmals im Jahr 2023 statt und ersetzt den früheren Neujahrsempfang des Bistums Mainz. Der Abend stand unter der Überschrift „Glaube in Krisenzeiten: Woher – Wohin? Kirche zwischen Suche und Auftrag“. In seiner Ansprache beim anschließenden Empfang im Ketteler-Saal des Erbacher Hofes vor rund 200 Gästen erinnerte Kohlgraf daran, „Gaudium et spes“ und der Grundlagentext der Würzburger Synode („Unsere Hoffnung“) angesichts von Krisen „nicht für den Rückzug eines heiligen Restes plädieren. Diese Grundtexte sind davon überzeugt, dass die Christen die Kraft haben, ihre Überzeugungen in die Gesellschaft zu tragen“, sagte Kohlgraf. Er dankte den Haupt- und Ehrenamtlichen im Bistum, „die an vielen Stellen das Bistum bereichern und echte Hoffnungsträger sind“.
Die Geschäftsführende Vorsitzende der Diözesanversammlung im Bistum Mainz, Dr. Susanne Barner, warb dafür, im eigenen Umfeld von seinen Glaubenserfahrungen zu berichten: „Wo wir wohnen und arbeiten, können wir einzeln christliche Werte leben und erzählen, dass die Liebe zum Nächsten verbunden ist mit der Liebe zu Gott.“ Barner verwies darauf, dass sich der Diözesan-Pastoralrat in seiner kommenden Sitzung mit dem Thema Synodalität als Prinzip der Weltkirche befassen werde und nächste Schritte für das Bistum Mainz beraten wird.
Die Begrüßung beim Empfang hatte die Bevollmächtigte des Generalvikars, Ordinariatsdirektorin Stephanie Rieth, übernommen. Sie betonte, dass „die Gemeinden und Kirchorte im Rahmen des Pastoralen Weges auf einem guten Weg sind“. Bereits 14 von 46 neuen Pfarreien sind gegründet. Anfang des kommenden Jahres folgen elf weitere Pfarreien. Rieth verwies außerdem auf den Organisationsentwicklungsprozess des Bischöflichen Ordinariates, „mit dem wir uns gemeinsam zukunftsfähig machen wollen, damit Kirche auch in Krisenzeiten Orientierung geben kann“. Der Mainzer Generalvikar Dr. Sebastian Lang dankte in ihrem Schlusswort allen Beteiligten, die den Bistumsempfang ermöglicht haben.
Musikalisch gestaltet wurde der Empfang im Erbacher Hof durch die den Chor der Mainzer Maria Ward-Schule, unter Leitung von Maren Kleemiß, begleitet von Andreas Weith am Klavier. Die Vesper im Dom war musikalisch gestaltet worden von der Domkantorei St. Martin unter Leitung von Domkapellmeister Professor Karsten Storck sowie vom Mainzer Domorganisten, Professor Daniel Beckmann.