Grundsätzlich stehe die Frage im Raum, „welchen Stellenwert und welche Wertschätzung Menschen zugesprochen bekommen, die nicht mehr zu den Schnellen, den Starken, den Gesunden gehören“, sagte Kohlgraf.
Der Gottesdienst am Montag, 30. April, war Auftakt zum traditionellen Empfang am Vorabend des 1. Mai - „Tag der Arbeit“. Das traditionelle Treffen stand unter dem Leitwort „Lohn der Arbeit!? - Wenn am Ende des Erwerbslebens Armut droht.“ Der Bischof erinnerte daran, dass der alte Mensch in der Bibel hoch geschätzt wird: „Die alten Menschen nehmen auch in ihrer zunehmenden Schwäche am gesellschaftlichen Leben teil, sie sind keine Belastung, sondern Reichtum und Ressource, würden wir heute sagen. Eine Gefahr der Vereinsamung und der Ausgrenzung hätte wohl zu biblischen Zeiten nicht bestanden.“
Wörtlich sagte Kohlgraf: „Ich glaube, dass die Kirche immer wieder in den Mittelpunkt stellen muss, dass nicht nur die Schnellen und die Reichen das Tempo vorgeben, sondern dass auch in Situationen, in denen ein Mensch hilfebedürftig ist, ein gutes Leben möglich ist, das von anderen geschätzt und begleitet wird. Es ist schon ein Alarmsignal, wenn Menschen darüber nachdenken, ihrem Leben im Alter und in der Krankheit ein Ende zu setzen, weil sie niemandem zur Last fallen wollen oder weil sie ein Leben in Schwäche als nicht mehr menschenwürdig erleben. Wenn eine Gesellschaft solch ein Menschenbild fördert, dann müssen wir als Christen gegenhalten. Es geht um eine Grundeinstellung dem Leben gegenüber: Der Wert und die Würde eines Menschen hängt nicht von seinen Fähigkeiten ab.“
Er verwies darauf, dass die Kirche gute Angebote habe, um Menschen in allen Lebensphasen Teilhabe und Gemeinschaft zu ermöglichen. Das sei jedoch nicht nur Sache von professionellen Mitarbeitern, sagte der Bischof: „Nachbarschaft wahrzunehmen, Hilfen anzubieten, Ansprache und Aufmerksamkeit ist etwas, was jeder Mensch einem anderen schenken kann. Da sind die biblischen Themen, die eben genannt wurden, eine gute Motivation, neu den Respekt und die Ehrfurcht vor Menschen zu lernen, die viel im Leben geleistet haben - und nun vielleicht Hilfe brauchen.“
Weiter sagte Kohlgraf: „Armut ist auch für alte Menschen schambesetzt. Deswegen braucht es Sensibilität, solche Formen wahrzunehmen. Wenn man eine derartige Situation wahrnimmt, soll man aktiv helfen. Das kann manchmal nicht einfach sein, weil es für manchen schwer ist, Hilfe anzunehmen. Die Möglichkeit der Kirche und ihrer Gläubigen besteht aber darin, dass sie das Thema lebendig hält und den Menschen eine Stimme gibt, die für sich nicht mehr sprechen können oder wollen. In der Bibel sind dies die Propheten, die gesellschaftliche Verantwortung einfordern und Themen ins Licht halten. Viele tun dies, in der Kirche und ihrer Caritas, in den Verbänden, Gemeinden und Gruppen. Dafür bin ich dankbar, auch für diejenigen, die sich privat in die Politik als Christinnen und Christen einbringen.“
Konzelebranten des Gottesdienstes waren Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Generalvikar des Bistums Mainz, Domdekan Prälat Heinz Heckwolf, Dekan Dieter Bockholt, Präses der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Bezirk Main-Rodgau, Dekan Hans-Joachim Wahl, Präses des Kolpingwerkes Diözesanverband Mainz, Pfarrer Dr. Friedrich Franz Röper, Mainz, Präses der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Diözesanverband Mainz, und Pfarrer Harald Christian Röper, Ehren-Präses von Kolping im Bistum Mainz; Diakon war Markus Dannhäuser. Musikalisch wurde der Gottesdienst gestaltet vom Projektchor Rheinhessen unter Leitung von Franz-Josef Schefer sowie Domorganist Professor Daniel Beckmann an der Domorgel. Veranstaltet wird der traditionelle Vorabend zum „Tag der Arbeit“ vom Referat Berufs- und Arbeitswelt im Bistum Mainz, dem Diözesanverband Mainz der KAB und dem Diözesanverband Mainz des Kolpingwerkes.
Beim anschließenden Empfang im Ketteler-Saal des Erbacher Hofes hielt Professor Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz das Eingangsreferat. Er erläuterte, dass es in Deutschland in den kommenden Jahren „eine zunehmende Polarisierung im Alter geben werde, zwischen Menschen in Altersarmut und Menschen, denen es gut geht. Uns explodiert die Armutsgefährdungsquote für Ältere.“ Sell wies darauf hin, dass die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) festgestellt habe, „dass in keinem Land Menschen, die unter dem Durchschnitt verdienen, so schlecht abgesichert sind, wie in Deutschland“. Mit Blick auf Nachbarländer wie die Schweiz, die Niederlande oder Österreich verwies er auf Alternativen bei den Rentenmodellen. „Wir sollten diese Alternativen wieder denken in unserem Land“, sagte Sell.
Bei der anschließenden Diskussion hob Ingrid Reidt von der Katholischen Betriebsseelsorge Rüsselsheim hervor, dass besonders Frauen von Altersarmut betroffen sind und ihre Zahl zunehmen werde. Sie beklagte, dass etwa das Großziehen von Kindern keinerlei Relevanz für die Rente besitze. Max Zeiher, IG Metall Jugend aus Darmstadt, und Horst Gobrecht, ver.di Südhessen, Fachbereich Handel, sprachen sich für Veränderungen beim bisherigen System aus. Da derzeit nur drei Prozent der über 65-Jährigen Grundsicherung bezögen, sehe er keinen Handlungsbedarf bei den Renten, sagte Dr. Alexander Dombrowsky, Landesvereinigung der Unternehmerverbände (LVU) Rheinland-Pfalz. Hans-Peter Greiner, Diözesanvorsitzender der KAB, erläuterte als mögliche Alternative das Cappucino-Rentenmodell, das von der KAB und weiteren katholischen Verbänden erarbeitet worden ist. Die Moderation der Aussprache, in die auch das Publikum einbezogen wurde, hatte Claudia Deeg vom Südwestrundfunk (SWR) übernommen.
In seinem Schlusswort dankte Bischof Kohlgraf allen Beteiligten für ihr Engagement zum Vorabend der „Tag der Arbeit“. Bei aller Diskussion und dem notwendigen Ringen um Lösungen „müssen wir uns klar machen, dass hinter all diesen Zahlen immer Menschen mit individuellen Erfahrungen und Geschichten stehen“, sagte der Bischof. „Es geht darum, jedem einzelnen Menschen zu helfen. Dem muss die Politik und auch das kirchliche Engagement dienen.“
Hans-Georg Orthlauf-Blooß von der Katholischen Betriebsseelsorge in Mainz hatte die Gäste im Ketteler-Saal des Erbacher Hofes begrüßt. Er verwies auf die Wanderausstellung „Altersarmut stoppen - Rente sichern“, die vom Verein „Fototeam Hessen“ gestaltet wurde, und an diesem Abend erstmals zu sehen war. „13 Menschen im Alter zwischen 20 und 77 Jahren zeigen mutig ihr Gesicht und erzählen, warum Altersarmut für sie ein Thema ist, jetzt oder in der Zukunft. Die Wanderausstellung ist ein Dokument, das zeigt, dass nicht individuelles Fehlverhalten, sondern politische Entscheidungen immer mehr Menschen im Alter arm machen“, sagte Orthlauf-Blooß.
Für besonderes Engagement im Bereich der Ausbildung hatte Bischof Kohlgraf am Ende des Gottesdienstes im Mainzer Dom den Preis der „Pfarrer Röper-Stiftung“ verliehen. Preisträger in diesem Jahr ist das Fliesenstudio Derst GmbH in Worms; das Ehepaar Christian Derst und Nina Senettin-Derst nahm den Preis entgegen.
Das Fliesenstudio Derst hat seit 2013 durch Vermittlung von Daniel Scheirich von der Beschäftigungsförderung der Stadt Worms bereits mehreren Jugendlichen eine Ausbildung ermöglicht, die Schwierigkeiten hatten, einen Ausbildungsplatz zu finden. „Es ist auch heutzutage nicht selbstverständlich, dass ein Meisterbetrieb jungen Menschen eine Chance gibt, deren Lebenslauf Lücken und Brüche aufweist oder die sogar ein dauerhaftes Handicap haben. Deshalb danken wir dem Fliesenstudio Derst für sein Engagement gegenüber benachteiligten Jugendlichen“, sagte Kohlgraf.
Der „Röper-Preis“ wird seit 2004 an Menschen und Firmen verliehen, die sich in besonderer Weise für die Integration von benachteiligten Jugendlichen in die Arbeitswelt einsetzen. Der Preis wurde von den Zwillingsbrüdern Pfarrer Dr. Friedrich Franz Röper, Mainz, und Pfarrer Harald Christian Röper, Eppertshausen, gestiftet. Zusammen mit den Diözesanverbänden der KAB und dem Kolpingwerk wählen sie die Preisträger aus. Die Preisträger erhalten neben einer Urkunde eine Bronzeskulptur. Sie stellt eine Frauengestalt als Symbol der „Caritas-Nächstenliebe“ dar. Die Figur wurde vom Bildhauer Karlheinz Oswald entworfen und ausgeführt. Bisher wurde damit das Engagement von 28 Einzelpersonen, Unternehmen und Initiativen herausgehoben und öffentlich gewürdigt.
Hinweis:
Zum gesamten Text der Predigt von Bischof Peter Kohlgraf
Weitere Informationen unter: www.arbeitswelt-bistum-mainz.de