Kirche müsse von der Grundhaltung geprägt sein, „die Menschen wahrzunehmen, die uns brauchen“. Weiter sagte er: „Bewahrung um jeden Preis darf nicht unser Ziel sein, sondern wir müssen auch den Mut haben, uns von dürren Ästen zu trennen. Genauso brauchen wir auch den Mut zum Experiment und müssen geistliche Aufbrüche im Bistum fördern.“ Mit dem Austausch bei der Diözesanversammlung solle „ein erstes Fenster geöffnet werden, für den gemeinsamen pastoralen Weg, den wir im Bistum gehen werden. Und dabei können wir auf viel Gutem aufbauen“, sagte Kohlgraf.
Am Ende der Beratungen kündigte Kohlgraf an, dass er sich im Oktober zu Gesprächen mit allen 20 Dekanen des Bistums Mainz treffen werde. Im ersten Halbjahr 2018 schließen sich eintägige Besuche in allen 20 Dekanaten des Bistums an. Bei den Besuchen will er das Bistum genauer kennenlernen und das Gespräch mit den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen. Die Gespräche auf Dekanatsebene bis Mitte nächsten Jahres sind der Einstieg in die Beratungsphase für den künftigen pastoralen Weg im Bistum Mainz. Um das weitere Vorgehen zu gestalten, wird der „Pastorale Weg im Bistum Mainz“ von einer noch zu bildenden Steuerungsgruppe begleitet. Bischof Kohlgraf würdigte die Diözesanversammlung und die Rätestruktur im Bistum als „wichtige Beratungsgremien“ und ermutigte zur Beteiligung am Gespräch über die Zukunftsperspektiven im Bistum.
Kohlgraf stellte bei dem Treffen im Erbacher Hof zu Beginn einige Impulse für die künftige Seelsorge im Bistum Mainz vor: „Wir werden in der Pfarrseelsorge zu größeren Einheiten finden. Wir würden uns aber mit einem Einheitskonzept keinen Gefallen tun. Es wird daher wichtig sein, für die verschiedenen Regionen des Bistums jeweils passende Lösungen zu finden.“ Neben den anstehenden Sachfragen halte er es für sehr wichtig, „dass wir im Bistum trotz aller regionalen Unterschiede eine verbindende pastorale Idee als Grundlage unserer seelsorglichen Arbeit formulieren“. Kohlgraf regte an, den heiligen Martin als Bistumspatron zur Leitfigur für diesen geistlichen Weg zu machen.
Notwendig seien auch Überlegungen zur Teilhabe von Leitung, „ohne allerdings das sakramentale Priesterverständnis auszuhebeln“, betonte Kohlgraf. Dabei dürfe es aber keinesfalls zu einer Überforderung der Ehrenamtlichen kommen. Grundsätzlich bedeute der „Mut zum Experiment, dass man Fehlschläge nicht als Niederlage versteht“, sagte Kohlgraf. Er plädierte für „eine Kultur der Evaluation“: „Wenn etwas nicht klappt, müssen wir das stärker reflektieren als bisher und uns ehrlich Rechenschaft darüber geben, warum etwas nicht funktioniert hat.“ Genauso müssten aber auch gelungene Projekte evaluiert werden.
Bischof Kohlgraf warb unter anderem dafür, „neue Formen von Kirche neben den traditionellen Pfarreien zu akzeptieren und zu fördern“. Wörtlich sagte er: „Die Menschen suchen sich heute ihre Form von Kirche. Das sind legitime Entwicklungen, dass sich die Menschen einen Ort suchen, der zu ihnen passt.“ Der Bischof plädierte außerdem für die Öffnung von Kirchen auch außerhalb der Gottesdienstzeiten: „Unsere Kirchen sind geistliche Orte, die wir oft zu wenig nutzen.“
Er sprach sich dafür aus, das Bewusstsein für die Bedeutung der Taufe jedes Einzelnen wieder zu stärken. Dadurch ergebe sich auch ein nicht nur auf kirchliche Berufe beschränkter Begriff der Berufungspastoral: „Es wird ganz grundsätzlich darauf ankommen, getaufte Christen zu ermutigen, ihr Christsein auf die für sie passende Weise zu leben“, sagte Kohlgraf. „Wenn es dann auch junge Leute gibt, die sich vorstellen können in der Kirche zu arbeiten, dann wäre das meine Vorstellung von Berufungspastoral.“
Nach der Aussprache über die Impulse von Bischof Kohlgraf tauschten sich die Delegierten in fünf regionalen Gruppen aus: Oberhessen, Südhessen, Darmstadt/Bergstraße/Odenwald, Rheinhessen und Stadt Mainz. Dabei wurden drei wesentliche Leitfragen für die verschiedenen Regionen des Bistums besprochen: „Erstens: Wo gibt es in unserer Region Instrumente der Wahrnehmung, was Menschen heute bewegt? Welche Kommunikationsplattformen haben wir in unserer Region für die Begleitung einer pastoralen Weiterentwicklung? Zweitens: Welche Zielvorstellungen haben wir für unsere Region? Welche strukturellen Fragen und Lösungsansätze sehen wir? Drittens: Wo gibt es in unserer Region bereits Bewegungen, Projekte, Lösungsansätze, die stärker ins Bewusstsein geholt werden müssten?“
Geleitet wurde die Sitzung von Dr. Hildegard Dziuk, der geschäftsführenden Vorsitzenden der Diözesanversammlung. An der Sitzung nahmen unter anderen auch der Generalvikar des Bistums Mainz, Weihbischof Udo Markus Bentz, sowie der Bischofsvikar für die Pastoralen Räte, Domkapitular Prälat Dietmar Giebelmann, teil. Zum Abschluss feierte Bischof Kohlgraf mit den Delegierten der Diözesanversammlung in der St. Bernhard-Kapelle des Erbacher Hofes gemeinsam Eucharistie.
Die Diözesanversammlung des Bistums Mainz tritt in der Regel einmal im Jahr zusammen und versteht sich als „kleine Synode des Bistums“ mit seinen rund 740.000 Katholiken. Ihr gehören 123 Mitglieder an. Das Gremium setzt sich unter dem Vorsitz des Bischofs aus den diözesanen Räten (Priesterrat, Katholikenrat und Konferenz der Dekane) und den Vertretern der Bistumsleitung zusammen. Hinzu kommen Vertreter der Ordensfrauen, der Ständigen Diakone, der Pastoralreferentinnen und -referenten, der Gemeindereferentinnen und -referenten sowie des Diözesan-Caritasverbandes. Außerdem können bis zu sieben Persönlichkeiten hinzugewählt werden. Die Organe der Diözesanversammlung sind der Vorstand mit dem Bischof als Vorsitzendem, der Diözesan-Pastoralrat (eine Art Hauptausschuss) und neun Sachausschüsse, die bei der konstituierenden Sitzung gebildet wurden.