Mainz. „Wir leben hoffentlich zunehmend in einem ökumenischen Zeitalter, denn wenn wir nicht glaubwürdig leben und bezeugen, machen wir Türen zu, durch die Gott wohl in diese Welt kommen soll.“ Das sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf am Donnerstagabend, 31. Oktober, bei seinem Festvortrag in der Christuskirche in Mainz. Unter der Überschrift: „Die Zeichen der Zeit deuten. Ein Auftrag in vielfältiger Gestalt“ sprach er bei der Reformationsfeier der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zum 507. Jahrestag der Reformation.
Weiter sagte er: „Die Kirchen haben in einer Welt, in der Bindungsbereitschaft nachlässt, den Wert der Gemeinschaft zu leben, so dass andere glauben können.“ Und weiter betonte Kohlgraf: „Wir werden keine Einheitskirche werden, aber Kirchen, die den anderen zusprechen können, dass in ihnen der Auferstandene lebt und wirkt. Wir begegnen vielen Aufgaben und vielen Zeichen der Zeit, aber auch einem Geist, einem Herrn, einem Gott und Vater aller. Er möge uns segnen und begleiten, Mut machen hinzuschauen, zu deuten und zu entscheiden.“
Bischof Kohlgraf würdigte die gute ökumenische Zusammenarbeit: „Vor genau 25 Jahren wurde die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unterschrieben, damit ist eigentlich der tiefste Spalt überwunden. Ökumene vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen, die voneinander wissen sollten. Auf Gemeindeebene und im persönlichen Miteinander geschieht ganz viel gemeinsam, dafür können wir dankbar sein. Ich bin Kirchenpräsident Volker Jung sehr dankbar für das gute, persönliche Miteinander. Für die Zukunft wünsche ich Gottes Segen. Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Gemeinschaft auch mit der kommenden Kirchenpräsidentin Christiane Tietz fortsetzen wird. Ihr wünsche ich von Herzen Gottes Segen für ihren Dienst am Volk Gottes und an der Einheit.“
Kohlgraf ging auch auf Herausforderungen ein, die beide Kirchen betreffen: „Die jüngst erschienene Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung hat uns Themen der Zeit vor Augen geführt. Nicht nur die Kirchen verlieren an qualitativer Bedeutung, auch die Gottesfrage gibt es für viele Menschen nicht mehr. Wir leben in einer säkularen Welt, die auch zur Neuorientierung und zur Entscheidung ruft, wenn ich sie als Zeichen der Zeit lese.“ Wörtlich sagte er: „Vielleicht lehren uns unsere Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, dass wir Gott nicht besitzen, dass er nicht für unsere Zwecke und Ideen verfügbar ist. Er lässt sich in unsere kirchlichen Pläne und Ideen nicht einbinden. Daneben höre ich, was viele Menschen von uns erwarten: gesellschaftlichen Einsatz, seelsorgerische Präsenz, Diakonie, sicher, wenn auch weniger, spirituelle Hilfe und Begleitung. Was wir tun, müssen wir mit der Offenheit und dem Respekt vor der Freiheit der Menschen anbieten. Und doch eine klare und überzeugende Rede über Gott führen. Ich halte es für ein Zeichen Gottes, dass wir für unsere Positionen, unsere Botschaft und unsere Werte werben müssen. Die Kirchenmitglieder haben das Heil nicht gepachtet.“
Kirchenpräsident Volker Jung predigte im vorangegangenen Gottesdienst über das Verhältnis von Kirche und Staat. In der Demokratie seien alle in der Pflicht, das Gemeinwesen mitzugestalten, betonte Jung: „Zum Glauben gehört es, das Leben miteinander zu gestalten – in der Gemeinde, in der Gesellschaft und im Staat. Deshalb kann der Glaube nicht unpolitisch sein – schon gar nicht in einer Demokratie. Und es geht hier nicht um Parteipolitik.“ Für Kirchenpräsident Jung war es die letzte Reformationsfeier im Amt als Kirchenpräsident der EKHN. Im Januar tritt er in den Ruhestand.
Jung erinnerte außerdem an das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetztes in diesem Jahr: „Ich bin sehr dankbar für diese Verfassung und die Friedenszeit, die auch durch diese Verfassung möglich wurde – besonders auch in der Gemeinschaft anderer europäischer Staaten. Im Zusammenhang der Jubiläumsveranstaltungen zum Grundgesetz war immer wieder vom ,Verfassungspatriotismusʼ die Rede. Dafür gibt es wirklich gute Gründe. Und es gibt noch mehr Gründe, diesen auch zu pflegen. Hier sind wir alle in der Pflicht, als Einzelne und als Kirche.“
Musikalisch gestaltet wurde die Feier durch den Bachchor Mainz unter Leitung von Tristan Meister sowie Martin Köhrer (Saxophon) und Arno Krokenberger (Orgel). An den Gottesdienst schloss sich ein Empfang im Landesmuseum Mainz an. Seit 1994 veranstaltet die EKHN einen Festakt anlässlich des Reformationstags. Bei der Feier blickt stets eine bekannte Persönlichkeit mit einem besonderen Fokus auf das protestantische Leben in der Gesellschaft.